220620 Castell

Dringend gesucht: Lauter laute Mittelständler!

Ein paar Tage bei 30 Grad auf Malle – da ist das Klischee vom Ballermann mit Jürgen Drews, Mickie Krause und einem ordentlichen Eimer Sangria nicht mehr weit. Doch am zweiten Wochenende im Juni trafen sich im Hotel „Castell Son Claret“ am „Puig de Galatzó“ – wie es so schön heißt: – „Manager, Politiker und Experten“, um über Geopolitik und den Wirtschaftsstandort Deutschland nachzudenken. Wohlgemerkt: der Hotelname ist Catalan und somit nicht zu verwechseln mit dem Französischen „Sans Clarté“, was so viel heißen würde wie „Ohne Klarheit“.

Aber Klartext wurde wohl gesprochen bei diesem Wirtschaftsforum „Neu Denken“, wo sich die Hochvermögenden in dem von der Hamburger Logistik-Familie Kühne restaurierten Hotel drei Tage hinter der Chatham-House-Rule eingeschlossen hatten. Sprich: Inhaltliches wird nur mit ausdrücklicher Genehmigung der zitierten Person weitergegeben. Dennoch darf die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU, Julia Klöckner, mit den Worten zitiert werden: Der Mittelstand müsse lauter werden und für seine Interessen stärker eintreten.

Da ist was dran. Denn wie anders konnte sich seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Klischee vom miefigen, piefigen Mittelstand halten, in dem der Unternehmer noch nach Gutsherrenart regiert, Innovationen auf die lange Bank geschoben und der Pfennig (pardon: inzwischen heißt der Pfennig Cent) mehrfach umgedreht wird, ehe er doch nicht ausgegeben wird. Aber nichts wäre weiter von der Realität entfernt. Der Mittelstand in Deutschland ist nicht nur das vielbeschworene Rückgrat der Wirtschaft, er ist auch Treiber der digitalen Transformation und des Wandels zu mehr Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung. Aber darüber redet kaum einer. Vor allem nicht die Familienunternehmen selbst.

Denn tatsächlich sind vier von fünf Unternehmen in Deutschland Personenunternehmen. Das bedeutet aber, dass „deren Gewinne auf Ebene der Gesellschafter der Einkommensteuer unterliegen“, wie jetzt der Vorsitzende des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft (BVMW), Markus Jerger, betont. Mitteständische Unternehmen im Familienbesitz stecken gleich zweifach in der Steuerschraube fest, die weit über die sogenannte „kalte Progression“ hinaus Gewinne abschöpft und damit Zukunftsinvestitionen verhindert.

Denn erstens führt das ohnehin sehr hohe Steuerniveau in Deutschland bereits heute dazu, dass persönlich haftende Gesellschafter ihren Unternehmen weniger Kapital zur Verfügung stellen können, das eigentlich für Rücklagen, Innovationen und Investitionen dringend benötigt wird. Und zweitens sehen sich mittelständische Unternehmen angesichts des ohnehin grassierenden Fachkräftemangels auch noch vor das Problem gestellt, dass ihre gut verdienenden Fachkräfte selbst in die steuerliche Progression geraten und den Spitzensteuersatz von 42 Prozent verkraften müssen. Dabei steht gerade die Beschäftigung von hochqualifizierten Fachkräften inzwischen in einem weltweiten Wettbewerb und damit im direkten Vergleich der Steuerlasten.

Plakativ formuliert: Der Staat verhindert durch seine Steuerpolitik die digitale Transformation im Mittelstand, obwohl er von der Modernisierung des Mittelstands unmittelbar fiskalisch profitieren würde. Wäre es nicht Stammtisch-Niveau, von dem wir uns hier in aller Form distanzieren, würde sich ein Vergleich mit der Verteuerung der Energiepreise aufdrängen: hier profitiert der Staat ebenfalls davon, dass er die Energieverbraucher mit hohen steuerlichen Aufpreisen auf den eigentlichen Öl- oder Gaspreis knebelt.

Nun, das alles lässt sich nicht einfach von einem Tagungsort kommunizieren, an dem die Übernachtung in der Pool Suite schon rund 800 Euro kostet. Das genau befördert aber die Neiddebatte in Deutschland, in der immer wieder – und mit wachsender Anhängerschaft – eine stärkere Belastung der Hochvermögenden und Superreichen zugunsten des Prekariats gefordert wird. Natürlich wäre eine Umverteilung aus kurzfristiger, wenn nicht sogar kurzsichtiger Perspektive sinnvoll. Aber sie schadet eben auch der wichtigsten Säule unseres wirtschaftlichen Wohlstands – dem mittelständischen Unternehmen im Familienbesitz. Denn dort würden wichtige Wachstumsimpulse und Zukunftsperspektiven durch eine stärkere Belastung gekappt. Und daran hängen immerhin Millionen Arbeitsplätze.

Aber warum muss ich das eigentlich schreiben / sagen? Weil, wie Julia Klöckner ganz richtig feststellt, der Mittelstand zu wenig und vor allem zu kleinlaut für seine Interessen eintritt. Wir brauchen lauter laute Mittelständler. Geht in die Parlamente, eröffnet Podcasts und formuliert Meinungsbeiträge. In aller Klarheit. Es lohnt sich.

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