Ganz Deutschland fragt sich immer wieder, ob das Krisenmanagement von Bundeskanzler Olaf Scholz nun tatsächlich – wie bei den Koalitionsverhandlungen versprochen – Führungsverhalten ist oder nicht doch eher der Mangel eines solchen. Es ist sicherlich nicht verkehrt, Meinungsverschiedenheiten durch die Kontrahenten zunächst austragen zu lassen, als selbst durch Basta-Politik einen Kompromiss, mit dem schließlich alle zufrieden sein können, auszuschließen. Aber es ist schon befremdlich, dass der Bundeskanzler die tiefen Risse, die sich offensichtlich in der Koalition zeigen, nicht zu kitten versucht, sondern den Streit sich eskalieren lässt.
Zuletzt hat es 30 Stunden gebraucht, ehe diese Risse nach der Sitzung des Koalitionsausschusses mit einem 16-Punkte-Papier notdürftig übertüncht wurden. Doch schon am darauffolgenden Wochenende verhaken sich die Grün/Gelben erneut – diesmal wegen der im Koalitionsvertrag vereinbarten Kindergrundsicherung. Gegenüber der Bild am Sonntag sieht Bundesfinanzminister Christian Lindner die Grenzen erreicht – auch weil es wichtigere (oder dringendere) Aufgaben gebe, wie zum Beispiel die Aufrüstung der Bundeswehr.
Wird jetzt wieder „gescholzt“ und das Problem ganz einfach ausgesessen? Oder gibt es doch ein Basta aus dem Kanzleramt? Wahrscheinlich wird auch dieses Problem ganz einfach „wegmoderiert“ werden – eine Managementtugend, die gerade unter der aktuellen Führungsriege in deutschen Unternehmen en Vogue ist. „Wegmoderieren“ funktioniert im Extremfall so, dass so lange diskutiert wird, bis keiner mehr Bock darauf hat, seinen Standpunkt zum wiederholten Mal darzustellen und dieser zum Kompromiss weichgekocht ist. Es ist eine bewährte Variante des „Scholzens“, aber es ist kein zukunftsorientierter Führungsstil.
Viele DAX-Vorstände und Vorständinnen haben die Methode des „Wegmoderierens“ gelernt – auf dem langen Weg in die Führungsetage. Sie ist der legitime Nachfolger der Methode „Führen durch Fragen“, bei der Kontrahenten so lange ihren Standpunkt erklären müssen, bis sie sich in Widersprüche verstrickt haben. Auch diese Methode zeigt einen deutlichen Mangel an Zukunftsorientierung. Es ist also kein Wunder, dass so oft weder in der Politik, noch in der Wirtschaft begeisternde Perspektiven oder Visionen zu erkennen sind.
Kann man so ein Land nach vorne bringen? Vielleicht sollten wir uns an Microsoft ein Beispiel nehmen – einem Unternehmen, das vor etwas mehr als einem Jahrzehnt in den Ranglisten immer weiter nach hinten durchgereicht wurde. Der Versuch, in Kooperation mit Nokia ins verpennte Smartphone-Geschäft einzusteigen, führte zu einer milliardenschweren Abschreibung. Den Mut dazu hatte der auf Steve Ballmer folgende neue CEO Satya Nadella. Er hatte auch den Mut, eine krankhafte und vergiftete Streitkultur abzuschaffen, die nicht auf gegenseitiges Fördern ausgerichtet war, sondern aufs Vernichten konkurrierender Ideen.
Jetzt ist es nahezu keine Nachricht, dass Satya Nadella in diesen Tagen in seinem Amt als Chief Executive Officer bestätigt wurde. Wer könnte eine charismatische Führungsfigur in Frage stellen, die aus einem paralysierten, ja sogar vergangenheitsorientierten Unternehmen, in dem alles dem Windows-Primat unterstellt oder weggebissen wurde, zu einem „Trillionaire“ gemacht hat, und der auf nahezu allen Feldern der Digitalisierung zur Zeit das Tempo vorgibt. Das gilt mit Sicherheit für Cloud Computing und künstliche Intelligenz. Das kann aber in absehbarer Zeit auch für den gigantischen Gaming-Markt gelten, wenn – wie es sich jetzt abzeichnet- die Übernahme von Activison Blizzard nach einer Hängepartie doch genehmigt wird.
Was unterscheidet das „Scholzen“ vom „Nadellern“? Seine Weggefährten stellen stets seine Fähigkeit zur Empathie heraus, die sich gerade darin zeigt, dass auch unbequeme Ideen mit Hingabe angehört, bewertet und eventuell verfolgt werden. Er selbst hängt seine Leistung einige Zacken tiefer: „Du kannst nicht wachsen, wenn du deinen aktuellen Job nur als Hindernis auf dem Weg zum nächst besseren Job siehst“, hat er jetzt in einem Interview rausgehauen. Der sicherste und womöglich schnellste Karrieretrick bestehe darin, sich durch Hingabe, Leistung und Zielorientierung im aktuellen Job zu beweisen – auch für den nächsten Job…
Ach, so einfach ist das? Ist es aber nicht – schon gar nicht in einer Organisation, in der es jedem darum geht, vor allem das eigene Profil zu schärfen. Es ist mit Blick auf die Ampel-Koalition eher so, als würden sich die roten, gelben und grünen Akteure schon zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl vor allem Gedanken um ihren nächsten Job machen – statt den Job gut auszufüllen, den sie gerade innehaben.