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Die Cloud frisst den Channel

 Cloud Computing ändert nicht nur die Art und Weise, wie Unternehmen ihre IT-Infrastruktur gestalten und verwalten. Sie ändert auch von Grund auf jeden Verkaufsprozess. Das gilt für Konsumgüter ebenso wie für Investitionsgüter. Es gilt für Dienstleistungen ebenso wie für nicht-materielle Angebote wie Musik, Video, Spiele oder Literatur. Denn die Cloud ist selbst ihr bester Vertriebskanal. Die Abo-Kultur ist inzwischen das gängigste Geschäftsmodell: Mieten ist das neue Kaufen.

Dabei wiederholt sich in der Informationstechnik, was sich bereits mit der Profanisierung der Datenverarbeitung durch den Personal Computer ereignet hat: die Kaufentscheidungen über IT-Infrastrukturen entgleiten erneut der IT-Leitung und werden stattdessen von den Fachabteilungen getroffen. Hier ein Abo für eine CRM-Lösung aus der Cloud, dort eine Miete für Speicherplatz. Cloud-Services aller Nuancen können quasi aus der Portokasse bezahlt werden, weil kleine und kleinste Mietbeiträge im Budget verschwinden.

Und umgekehrt entscheiden sich immer mehr Anwender für den ganz großen Wurf und verlagern nicht nur die eigene IT-Infrastruktur in die Cloud, sondern wechseln selbst mit ihren Produkten in die Cloud, um zusätzliche Services anzubieten. Dazu gehen sie umfassende Rahmenverträge mit den großen Fünf des Cloud Computings ein – Amazon, Microsoft, Google. Alibaba und Tencent – mit IBM unter „ferner liefen“.

73 Prozent der von Forrester Research befragten IT-Einkäufer können sich vorstellen, direkt bei den großen Cloud Providern einzukaufen und ihrem bisherigen Vertriebspartner den Rücken zu kehren. Und zwei von drei Kauf-Entscheidern haben keinen IT-Hintergrund, sondern verantworten das Marketing, den Vertrieb, die Produktion oder das Controlling. Und bei der Hälfte dieser Käufe wird die interne IT-Abteilung nicht einmal gefragt.

Das bedeutet, dass dem klassischen IT-Channel der Ansprechpartner verloren geht. Denn traditionell ist die Verbindung zwischen dem Vertrieb im Software- und Systemhaus einerseits und dem IT-Verantwortlichen andererseits etabliert und bewährt. Und umgekehrt ist der Erklärungsbedarf gegenüber Cloud-Produkten auch nicht mehr so groß, als dass Marketing und Vertrieb, Produktion und Controlling einen professionellen Übersetzer benötigten. Die Cloud erklärt sich selbst.

Wer dabei überleben will, muss sich seine neue „ökonomische Nische“ schaffen, in der Beratung und Betreuung wichtiger sind als Preise und Konditionen. Dabei reicht es vielleicht noch, sich für eine bestimmte Branche zu spezialisieren – beispielsweise im Gesundheitswesen oder in den Life Science-Industrien, wo Branchenwissen, Sicherheitsdienstleistungen, regulatorische Compliance und vertikale Features immer noch den Unterschied machen.

Doch auf lange Sicht werden auch hier die Geschäftspraktiken durch die Cloud profanisiert: in der Cloud gibt es für alles eine (Einzel-)Lösung. Deshalb sind Partner gut beraten, aus einem Baukasten von Services wie in einer Mall für den Kunden zusammengesetzte Komplettlösungen zu kreieren, die sowohl maßgeschneidert als auch weitgehend standardisiert sind. Dazu müssen Channel-Partner in die Rolle eines „Trusted Advisors“ schlüpfen, dem es gelingt, die Anforderungen des Kunden ganz zu verstehen und den Weg zur Verwirklichung der digitalen Transformation auch vollständig zu begleiten. Da ist es gut, dass vor allem in Deutschland dieser Beratungsbedarf unter mittelständischen Unternehmen besonders ausgeprägt ist. Dennoch steht auf lange Sicht nicht die technische Lösung im Vordergrund, sondern die Fähigkeit zur permanenten Dienstleistung.

Schließlich zeichnet sich ab, dass auch im Business to Business-Geschäft nicht die strategische Entscheidung der IT-Abteilung die Richtung vorgibt, sondern das „Bauchgefühl“ der Anwender. „Customer Experience“ ist nicht nur eine Herausforderung im Konsumermarkt, wo die Leichtigkeit und Bedienbarkeit eines Angebots über dessen Nutzung entscheidet. Auch bei den Corporates beginnt dieser Aspekt bei der Gestaltung eines Lösungsangebots zu überwiegen.

Die Cloud frisst den Channel – und gebiert zugleich einen völlig neuen Kanal. Das klassische Co-Marketing zwischen Plattform-Anbieter und Vertriebspartner funktioniert nicht mehr, wenn der Partner keine zusätzlichen Mehrwerte erbringt. Denn mehr und mehr kaufen die Kunden dort, wo ihnen die Mehrwerte erbracht werden. Deshalb müssen sich Vertriebspartner die Mächtigkeit der Cloud selbst zu eigen machen – als Basis für den selbst kreierten Value Add, aber auch als Plattform für das eigene Marketing. Denn nichts verkauft die Cloud besser als die Cloud.

 

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