London – besser ohne?

Immer wieder London. Egal, ob im Finanzsektor oder bei Zukunftstechnologien – die Hauptstadt des Vereinigten Königreichs gilt als Megalopolis im europäischen Wirtschaftsgeschehen. Bei Startups konkurriert sie mit Berlin um den Spitzenplatz, beim neuen Standort für die fusionierten Börsen von London und Frankfurt mit der Mainmetropole. Mode, Musik, Medien – das alles trug schon mal zum Glanz und Gloria der Themsestadt bei. Übriggeblieben ist davon nicht allzu viel. Jetzt höhlt das Investmentgeschäft aus, während die New Economy aufholt.

Im föderalen Deutschland freilich gibt es diese Ausrichtung auf einen einzigen Standort nicht. Hier konkurrieren Berlin mit Frankfurt, Hamburg mit München, Köln mit Stuttgart – und alle mit den westeuropäischen Zentren von London über Paris bis Rom. Und das ist auch gut so.

Das Wowereit-Wort über Berlin, das „arm, aber sexy“ sei, kann bald auf den Müllhaufen der Wiedervereinigungsgeschichte. Denn mit jedem erfolgreichen Startup, das in Berlin gegründet wird, nährt sich die Hoffnung, dass die ganze Region von der New Economy profitiert. Zwar ist der größte Teil der Startups (noch) nicht oder kaum profitabel, doch neben Zalando kommen mehr und mehr Unternehmen in die Gewinnzone.

In nahezu allen Bereichen – vom verfügbaren Venture Capital über die Offenheit der Gesellschaft bis zu den Lebenskosten – ist Berlin mindestens gleichauf mit London. 2015 wurden sogar rund 300 Millionen Euro mehr Wagniskapital an der Spree ausgelobt als an der Themse. Die Kosten für Miete, Ernährung und Gesundheit liegen sogar signifikant unter den Aufwänden, die im Großraum Londons zu berappen sind. Und: Berliner Startups sind nicht mehr nur mit der klassischen Berliner Kreativszene verbandelt. Sie investieren Zeit und Geld nicht mehr in Content-Dienste und Lieferservices. Mehr Technik im Umfeld von Industrie 4.0 findet sich derzeit in Berlin – mit klarer Orientierung aufs Business-to-Business.

Auch wenn London der Hauptsitz der neuen gemeinsamen Börsengesellschaft sein wird, scheint für London auch der Wettstreit mit Frankfurt um Europas Finanzmetropole alles andere als entschieden zu sein. Das deutlich größere Volumen wird inzwischen am Main generiert. Und auch hier bildet sich allmählich eine Startup-Szene rund um Fintech-Angebote, die mit London in ernsthafte Konkurrenz tritt. Es wäre nicht unwahrscheinlich, wenn sich in Frankfurt nachvollzieht, was sich in Berlin in Sachen Gründergeist schon getan hat. Am Kapital zumindest sollte es am Bankenstandort Frankfurt nicht scheitern…

Sollten im Juni die Briten darüber hinaus für einen Brexit stimmen, also den gemeinsamen Weg der Europäischen Union aufkündigen, dann dürfte sich die Waagschale weiter zur deutschen Startup-Szene neigen. Ausländische Investoren – und von ihnen leben die Gründergesellschaften vor allem – werden sich zweimal überlegen, ob sie einen Standort wählen, über den sie 500 Millionen Europäer direkt oder – bei einem dann abgekoppelten Wirtschaftsstandort London – indirekt erreichen.

Das ist auch für Jungunternehmen nicht irrelevant. Denn tatsächlich sind Startups vom ersten Tag der Gründung an in einem internationalen Kontext. Da geht es nicht nur um die Frage, woher das Risikokapital zur Finanzierung herkommt und wo die potenziellen Kunden sitzen. Es geht schon vor dem ersten Tag darum, mit welchem Aufwand die Gründung überhaupt über die Bühne geht. In Berlin braucht es dazu im Durchschnitt sieben Tage und 700 Euro. In London sind es fünf Tage und 50 Euro. Da geht doch noch was, oder?

Liebesgrüße aus Moscone

Es ist irgendwie ein Treppenwitz der IT-Industrie, dass ausgerechnet zum 40. Geburtstag von Apple das legendäre Moscone Center in San Francisco schon ausgebucht ist – durch Microsofts Entwicklerkonferenz BUILD. Dabei hat das Moscone Center so ziemlich jede Innovation gesehen, die Apple zum wertvollsten Unternehmen der Welt gemacht hat. Hier hat Steve Jobs seine legendären Ankündigungen mit dem berühmtesten Halbsatz der IT-Geschichte präsentiert: „…und dann noch eine Sache:…“

Microsofts CEO Satya Nadella hat jetzt auf der BUILD sich nicht „mit noch einer Sache“ begnügt, sondern so ziemlich nach jedem Technologie-Luftballon gezielt, der derzeit am Megatrend-Himmel zu beobachten ist: Virtuelle Realität, Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge – für all diese Multimilliarden-Märkte der Zukunft will Microsoft ein Infrastrukturangebot unterbreiten, das auf den beiden Eckpfeilern der „Cloud First, Mobile First“-Strategie beruht, die seit fast zwei Jahren die Entwicklungsrichtung für Microsoft vorgibt. Microsoft war noch nie so breit aufgestellt wie jetzt.

Apple war noch nie so breit aufgestellt wie jetzt am Ende der vierten Dekade seines Bestehens. Und dennoch wirkt das Unternehmen aus Cupertino geradezu eng fokussiert im Vergleich zu dem Redmonder Allüberall-Anspruch, der jetzt auf der BUILD im Moscone Center postuliert wurde. Dabei waren es der iPod, der iTunes Store, das iPhone, der iMac und das MacBook Pro, der Apple Store und schließlich der Apple Retail Store, die von den Ankündigungen im Moscone Center aus die Welt eroberten und Apple einen aktuellen Börsenwert von mehr als 600 Milliarden Dollar bescherten. Wäre Apple ein Staat, würde die Weltbank ihn auf Listenplatz 54 der reichsten Länder dieser Erde aufführen – Kopf an Kopf mit Neuseeland.

Dabei war vor zwei Jahrzehnten mit Apple nicht viel Staat zu machen. Auf der ersten Macworld Conference & Expo, die übrigens wie alle folgenden Macworlds gar nicht von Apple, sondern vom IT-Publizisten IDG veranstaltet wurde, musste Steve Jobs nach dem Rettungsreifen greifen, den Bill Gates ihm vom scheinbar unsinkbaren Microsoft-Mutterschiff ins kalte Wasser der Bay geworfen hatte. Die angeschlagene Apple Company war nach zahlreichen Flops und Management-Fehlern einen „Pakt mit dem Feind“ eingegangen. Der Auftritt von Bill Gates per Videoschalte wurde von den MacFans enthusiastisch ausgebuht.

Jetzt ist Bill Gates der reichste Mann der Welt, aber Apple das reichste Unternehmen der Welt. Sein Nach-Nachfolger, Satya Nadella, unternimmt nun alles, das allzu lange auf Wintel-Architektur fokussierte Unternehmen Microsoft wieder in die Mainstreams der IT-Welt zurückzubringen – und dort am besten gleich als Technologie- und Wortführer. Seit langem zeigen die Börsianer, dass sie auch bei Apple auf das nächste ganz große Ding warten – egal, ob virtuelle Realität, künstliche Intelligenz, autonomes Fahren oder Weareables mit neuen, körperoptimierenden Funktionen.

Auch unter dem Jobs-Nachfolger Cook hat Apple seine DNA nicht verloren, nach der es beste Firmenkultur ist, auf einen zwar noch nicht ausgereiften, aber in seiner Marktbedeutung erkennbaren Trend aufzuspringen und dabei eigene, bewährte Cash Cows zu opfern. Wir können damit rechnen, dass das fünfte Apple-Jahrzehnt mit so einem Knall beginnen wird. Das Moscone Center ist jedenfalls bereit für die nächsten Liebesgrüße.

 

ERP: Dirigent für Industrie 4.0

Industrie 4.0 ist eine Herausforderung für Politik und Wirtschaft. Auf der politischen Seite müssen die Anstrengungen verstärkt werden, eine flächendeckende Versorgung mit schnellen und sicheren Internetverbindungen bereitzustellen. Denn die Milliarden Akteure im Fertigungsprozess – wenige Menschen, aber viele Maschinen – müssen jederzeit Nachricht geben können über ihren Status und neue Nachrichten über die nächsten Schritte empfangen. Das geht nur, wenn das Netz zwischen diesen Akteuren schnell und sicher funktioniert.

Die Unternehmen aber müssen ebenfalls ihre Infrastruktur aufbohren – sie muss nicht nur schnell und sicher sein, um das immense Aufkommen an Daten zu verkraften. Sie muss auch die Voraussetzung dafür liefern, dass die Daten analysiert und zusammengefast werden können. Dabei ist in den meisten Unternehmen die Grundvoraussetzung für diese Infrastruktur schon gegeben. Es ist das ERP-System, das als Rückgrat in der Lieferkette nicht nur die eigenen Firmengrenzen überwindet und Lieferanten und Kunden mit einbezieht. Es soll als Dirigent Menschen, Maschinen, Waren und Werte orchestrieren.

So jedenfalls sieht es der Arbeitskreis ERP-Systeme im Bitkom, der von Dirk Bingler, dem Geschäftsführer der Kölner GUS Deutschland, sowie von Dr. Karsten Sontow, Vorstand des ERP-Analysten Trovarit, und Sven Frenzel von Sycor geleitet wird. Denn Enterprise Resource Planning wird künftig sowohl das Internet der Dinge, als auch die selbststeuernde Produktion und die auf der Fertigungsebene angesiedelten Manufacturing Execution Systeme miteinander verbinden müssen.

Die ERP-Experten sehen Enterprise Resource Planning als Integrationshub, als Brücke zwischen den Welten, deren Bausteine wiederum die Daten sind. ERP-Systeme filtern, klassifizieren und geben Daten an die entsprechenden Systeme weiter. Weiterhin liefern sie zusätzliche (semantische) Informationen, um Daten richtig interpretieren zu können. Als verbindendes Element wird eine neue Logistik der Daten benötigt, um alle Ressourcen wie Maschinen, Werkzeuge, Personal, Arbeitspläne, Parameter, Hilfsmittel, Prüfpläne rechtzeitig verfügbar zu machen und optimal auszulasten.

Und hier kommt die Infrastruktur des Webs ins Spiel: Denn schließlich spielt der kontinuierliche Datenfluss bei Industrie-4.0-Szenarien eine wichtige Rolle und erfordert eine Vernetzung über die Cloud z.B. durch IoT-Plattformen. Diese für den Datenaustausch im Internet of Things spezialisierten Plattformen sind eine zwingende Voraussetzung für die neue Rolle der ERP-Systeme als Integrationshub. Zur Zeit ist abzusehen, dass sowohl in den USA, wo Industrie 4.0 als „Industrial Web“ gehandelt wird, als auch hierzulande die dafür notwendigen Standards entwickelt und einander angeglichen werden.

Hinzu kommt: die durch Industrie 4.0 vernetzten Systeme sind nicht länger nur stationär zu sehen wie feststehende Maschinen. Sie nutzen vielmehr die Einsatzmöglichkeiten des mobilen Internets. So kann zum Beispiel durch Geo-Fencing mittels GPS sichergestellt werden, dass das richtige Werkstück oder das richtige Werkzeug am richtigen Arbeitsplatz im Einsatz ist. Gleichzeitig werden auch die Mitarbeiter in der Fertigungshalle mobiler. Sie betreuen nicht mehr notwendigerweise eine Maschine oder eine Linie, sondern wandern im Fertigungsprozess mit, so dass auch sie mit mobil verfügbaren Daten ausgestattet werden müssen.

Nur wenige ERP-Systeme sind freilich heute schon auf die zukünftigen Aufgaben ausgerichtet. Deshalb sind nicht nur Anwender, sondern auch Anbieter gefordert. Sie müssen in einen ERP-Dirigenten investieren, der aus MES (Manufacturing Execution) MIS, also Manufacturing Information, macht. Das wären dann quasi die Noten, die das Fertigungsorchester im Gleichtakt erklingen lässt.

 

 

…und keiner geht hin!

Dem Fußballverein Hertha BSC ist soeben erstaunliches gelungen: Er hat in weniger als zehn Minuten – nein: kein Spiel gedreht, sondern einen Kredit von einer Million Euro aufgenommen. Dazu musste kein zeichnungsberechtigter Vereinsvertreter in einer Berliner Bankfiliale erscheinen. Der Kredit wurde bei den Fans aufgenommen – in Werten von 100 bis 10000 Euro, die über das Internetportal von Kapilendo gezeichnet werden konnten. Auch die Fans mussten dafür nicht ins Stadion kommen. Crowdlending nennt man das. Zehn Minuten! In dieser Zeit hat der Bankangestellte noch nicht einmal seinen Kreditantrag aus der Schublade geholt.

Amazon geht offensichtlich demnächst den exakt entgegengesetzten Weg. Der Lieferlogistiker „für so gut wie fast alles“ machte erst den Buchläden Konkurrenz, bis dort kaum einer mehr hinging. Jetzt eröffnet Amazon eigene Buchläden. Das gleiche Modell wird offensichtlich bei Modeartikeln wiederholt, bei denen Amazon und Zalando hierzulande dem Einzelhandel das Leben schwer machen. Niemand muss mehr drei Jeans überm Arm jonglieren, um in engen und muffigen Kabinen das passende zu finden. Wer aber den Stoff fühlen, die Farbe bei Tageslicht sehen will, der kann sich das Einkaufserlebnis durch den Ladenbesuch gönnen. Demnächst auch, wie es heißt bei Amazon Showrooms in den ansonsten entvölkerten Innenstädten.

Die physische Anwesenheit wird immer weniger zwingende Voraussetzung für eine geschäftliche Transaktion. Sie erhält aber überall den Kann-Status, wo haptische Erfahrungen die Produktauswahl erleichtern. Das hat Amazon erkannt. Das haben aber auch die Fintech-Anbieter erkannt, die den Gedanken des besuchsfreien Online-Bankings auf nahezu alle Geldgeschäfte und Finanztransaktionen ausweiten. Der Begriff Bank könnte über kurz oder lang wieder exklusiv für jenes Möbelstück bereitgehalten werden, auf denen im Florenz der Renaissance tatsächlich die ersten Bankgeschäfte getätigt wurden. Der Shop wandert ins Internet, der Showroom aber kehrt in die Ladenlokale zurück.

Und man muss auch nicht mehr zur Messe für die Digitale Zukunft – früher bekannt unter dem Namen Centrum für Bürokommunikation, Informationstechnik und Telekommunikation, kurz: CeBIT – nach Hannover aufbrechen, um die Neuheiten der digitalen Revolution zu begutachten. Das Medium der Wahl ist das Internet selbst, das täglich 24 Stunden geöffnet hat und nicht nur an fünf oder sechs trüben Märztagen seine Tore öffnet.

Das ist das Fatum der CeBIT, dass ihr Schwerpunktthema selbst die Abschaffung der klassischen Kultur des Meeting und Greeting ist. Sowenig wie das Geschäftsleben eines Geschäftsraumes bedarf, so wenig braucht die Messe noch eines Ausstellungsgeländes. Insofern ist es stattlich, dass rund 200.000 Besucher den Weg nach Hannover gefunden haben. Dass kaum noch einer dafür Eintritt zahlt, ist kaum mehr als eine Randnotiz wert. Denn der Hauptaufwand besteht in der Reise selbst und dem damit verbundenen Zeitaufwand. Da ist es nur folgerichtig, dass die Aussteller durch Ticketquoten den Eintritt zahlen.

Aber eine Messegesellschaft lebt davon, dass ihre Fazilitäten genutzt werden. Es wäre ein leichtes für die Deutsche Messe, das CeBIT-Ereignis in eine ganzjährig verfügbare App zu kleiden, in der Novitäten und Nutzungsmöglichkeiten präsentiert werden. Versuche, Messestände in die virtuelle Erlebniswelt zu verlagern, gab und gibt es zu Hauf. Ein überbordender Erfolg ist ihnen bislang aber nicht beschieden. Es muss doch etwas dran sein, an diesem Welcome-Wahnsinn, der auf Messeständen herrscht. Trotz Smartphone, WhatsApp und Videokonferenz tun wir eine Woche lang immer noch so, als ginge die Welt unter, wenn man sich nicht träfe – hier im Centrum der BIT-Ökonomie.

Und doch muss sich was ändern. Die CeBIT muss physischer werden. Sie muss eine Erlebniswelt aufbauen, die es online eben nicht gibt. Dazu können sich die CeBIT-Macher an den Kollegen von der Industriemesse orientierten, die Menschen, Maschinen und Motoren zusammenbringen. Das geht, weil hier was steht dreht und greift, sich dreht und befördert. Die CeBIT muss weg vom Abstrakten zum Konkreten. Sie muss die Digitale Zukunft im wahrsten Sinne des Wortes greifbar machen. Platz wäre ja da…