Léo 2.0: Link Everything Online

Okay, Hewlett-Packard ist ganz schön spät dran mit seiner Cloud-Strategie. Aber dafür muss man sagen, dass Léo Apotheker dem größten IT-Anbieter der Welt nicht nur eine neue Seele einhaucht, sondern vor allem aus den Fehlern der Konkurrenten die richtigen Konsequenzen zieht. Das Rezept, das der neue CEO Léo Apotheker seiner Company jetzt verschrieben hat, könnte auch den stärksten Konkurrenten umhauen.

Man nehme – ein wettbewerbsfähiges, skalierbares Betriebssystem, das den Kampf um die Herrschaft in der Cloud mit Android, Windows 7 und iOS aufnehmen kann. Seit der Übernahme von Palm verfügt HP über WebOS, hat das Betriebssystem aber bislang nicht unbedingt strategisch positioniert.

Rolle die Basis aus – auf PCs, Servern und Druckern, demnächst auch auf Tablet-PCs, Smartphones und Kameras. Mit einer Stückzahl von 60 Millionen PCs im zurückliegenden Jahr hat HP eine Distributionsmaschinerie. Wenn künftig auch Drucker, Smartphones und Tablet-PCs mit WebOS ausgerüstet werden, sind die von Léo Apotheker jetzt anvisierten 100 Millionen Kopien pro Jahr nicht aus der Luft gegriffen. Und mehr noch: HP adressiert sowohl Unternehmenskunden als auch Consumer.

Garniere das Ganze – mit Apps und Applications. HP selbst will Cloud Services fürs Data Management, Business Intelligence und Echtzeitanalyse beistellen und sucht hier künftig verstärkt nach Entwicklungspartnern für WebOS-basierte Lösungen – für den Consumermarkt ebenso wie für den Business-Sektor.

Und serviere – im CloudMarketplace, den HP kurzfristig eröffnen und gegen die AppsMalls von Apple und Google stellen will. Dieser „Markt für offene Anwendungen“ soll vor allem Drittanbietern offenstehen, die einen attraktiven Absatzmarkt vorfinden: 100 Millionen Web-OS-Lizenzen jährlich.

Léo Apotheker zieht mit seiner Cloud-Strategie 2.0 – Link Everything Online – ganz offensichtlich die Lehren aus der Zeit bei SAP, als Business byDesign als Cloud-Angebot so verschlossen war, wie Fort Knox und weder offen war für Drittanbieter, noch portabel für unterschiedliche Plattformen. Er hat aber auch die Schwächen von Apple studiert, die mit iPhones und iPads zwar den Consumermarkt ideal bedienen, im Business-Sektor aber kaum durchschlagen. Und er ist dabei, sich aus der Umklammerung durch Microsoft und Intel zu befreien, die bislang die Hardware-Angebote von HP prägten.

Wenn dieses Rezept nicht wirkt, liegt es an der mangelnden Fähigkeit des Unternehmens, sich neu zu erfinden. Aber das muss man nicht befürchten, schließlich heißt es doch: HP invents. Und künftig wird daraus: HP invents itself.

PS: An dieser Stelle auch mal eine Grußadresse an die Macher der Webseite LEO.org (Link Everything Online 1.0). Auch wenn hier längst nicht everything online gelinkt wird – das Dictionary ist große Klasse und hätte längst eine internationale Cloud-Plattform verdient.

Schleichender Software-Shakeout

Auch wenn die Wolke in der Folge der für Japan tragischen und für die Welt bedrohlichen Katastrophe zwischenzeitlich jene unheimliche Berühmtheit erlangt, nämlich die der Bedrohung durch radioaktiven Fallout, geht es in diesem Blog unverändert um die „Cloud“, die Daten- und Anwendungswolke. Der Blick wendet sich bei allem Mitgefühl für die japanische Bevölkerung ab von den schrecklichen Bildern und beängstigenden Nachrichten – und blickt auf den Aktienkurs des amerikanischen Softwareherstellers Lawson…

Während die Börsen taumeln, stieg der Kurs der Softwareschmiede innerhalb einer knappen Woche um 18 Prozent auf den höchsten Kurswert seit 2002 – nicht etwa, weil das Unternehmen mit Innovationen oder guten Marktzahlen aufwartet. Vielmehr habe sich Lawson angesichts der Herausforderungen, die Software as a Service mit sich bringen, gegen ein Investment in die eigenen Produkte und für einen Verkauf entschieden. Das zumindest ist der Tenor, mit dem Reuters die Nachricht verbreitete, Lawson habe Barclay mit der Suche nach einem Käufer beauftragt. Der Weg zu einer multitenant Software, die sich als OnDemand-Angebot eignet, sei  zu steinig, wird gemutmaßt.

Dass ein Kurs im Angesicht von Verkaufsgerüchten steigt, gehört zu den Grundrechenarten der Börsenarithmetik. Aber dass sich auch binnen 48 Stunden ein Anbieter findet, der diesen Kursanstieg finanzieren will, zeigt, wie sehr die Branche zum proaktiven Shakeout unter der Wolke bereit ist. Mit Infor und seinem Hauptanteilseigner Golden Gate Capital hat sich bereits ein Interessent gefunden, der bereit ist, den – gemessen am langfristigen Kursverlauf der Lawson-Aktie – völlig überhöhten Preis von 11,25 Dollar pro Share auch tatsächlich zu zahlen. Zugreifen! So ein Angebot kommt so schnell nicht wieder.

Lawson gehört zu jenen Softwarehäusern, die mit Software für das legendäre Anwendungssystem/400 (IBM AS/400, später iSeries) in den 80er und 90er Jahren einen Markt und den wirtschaftlichen Erfolg fanden. Und Lawson ist nahezu das letzte globale Softwarehaus, das mit seinem iSeries-Geschäft unabhängig blieb: JD Edwards und Peoplesoft gingen an Oracle; SSA, Mapics und Marcam an Infor; Intentia an Lawson; in Deutschland ging Brain an Infor, SoftM an Comarch. Im Zuge dieses Kaufrausches wurde Infor zum Global Player neben Oracle, SAP und Microsoft. Jetzt könnte Infor noch einmal kräftig zulegen – von 70.000 auf rund 75.000 Kunden weltweit.

Noch hat Lawson nicht zugestimmt. Dem Vernehmen nach sollen auch Oracle, Microsoft, HP, IBM und SAP angegangen worden sein. Doch warum sollten sich diese Konzerne, die mit Volldampf in die Wolke pusten, ein Softwarehaus erwerben, das angeblich für seine Kernprodukte keinen Weg in die Wolke sieht?

Mit dieser mangelnden Perspektive ist Lawson nicht allein. Gerade unter den kleinen und mittelständischen ERP-Anbietern herrscht Unruhe. Der Aufwand für die Marktreife eines global ausgelegten OnDemand-Produkts ist immens. Viele Anbieter haben nicht einmal die Mittel, um das Risiko einzugehen. Sie werden ihr Geschäftsmodell grundlegend ändern müssen. Auf der Generalisierung muss die Spezialisierung folgen – entweder die Festlegung auf ausgesuchte Funktionen oder auf ausgewählte Branchen. SAP, Oracle und Microsoft sind derzeit auf der wilden Suche nach Partnern, die die diversifizierende Cloud bevölkern. Da ist Platz für viele. Der schleichende Software-Shakeout heizt sich bereits wieder auf.

Zen and the Art of Cloud Computing

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich hat die CeBIT berührt. Es war nicht unbedingt das Gastland Türkei oder die Technik, es war vielmehr der Spirit of Cooperation, der sich in Diskussionsrunden, Vortragsreihen und Standpräsentationen zeigte. Die Welt ist nicht etwa besser geworden, seit die Leitmesse der Informationswirtschaft unverschämt früh in diesem Jahr ihre Tore geöffnet hat. Aber es schien, als habe der schlechte alte Kasinokapitalismus nun endlich Platz gemacht für, nein, nicht schon wieder Social Media, sondern für mehr: Social Ethics.

Und nirgendwo wurde das deutlicher als in Diskussionen um die Zukunft des Cloud Computings, das – darin stimmten nahezu alle CeBIT-Stürmer überein – ja keineswegs durch eine neue Technologie definiert ist, sondern vor allem eine neue Darreichungsform der Informationssysteme ist, ein neues Bezugsmodell für Software und Services. Natürlich gelten die alten Argumente weiterhin: Kosteneffizienz, Flexibilität und Transparenz aus Anwendersicht. Anbieter hingegen schätzen die Skalierbarkeit, die Reichweite, die Dynamik.

Aber irgendwie schien auf der CeBIT allen Wettbewerbern zu schwanen, dass eine voll ausgebaute Cloud-Infrastruktur nicht nur Flexibilität verspricht, sondern auch Fungibilität. Apps, die über Malls angeboten und eingesetzt werden, Services, die auf Plattformen offeriert und zugeschaltet werden, Prozesse, die im Netz konzipiert und korrigiert werden – all dies wird sich anhand von Usancen und Qualitätsnormen entwickeln und normalisieren, wird konvertierbar und kombinierbar. Die Cloud ist die Anwendungsbörse, die Mall das Parkett.

Aber feierte nicht genau hier, auf dem Börsenparkett, der Kasinokapitalismus fröhliche Urständ? Warum sollte ausgerechnet die Informationswirtschaft davor gefeit sein? Weil Daten und Anwendungen doch nicht so fungibel sind wie Derivate oder Währungen. Weil mit ihnen ein unmittelbarer und individueller Nutzen verbunden ist, der Verbindlichkeiten und Verantwortlichkeiten verlangt. Social Ethics der Informationswirtschaft eben.

Wie SAP zeigt kaum ein Anbieter an der eigenen Metamorphose vom einsam jagenden Flugsaurier zum Kranich im Formationsflug, wie beschwerlich Gullivers Reisen nach OnDemand sind. Vor drei Jahren noch glaubte das Unternehmen in Allmachtsphantasien fest daran, alles alleine machen zu müssen und auf diesem Weg den gesamten Wettbewerb aus dem Web zu räumen. Heute erkennt SAP in seiner Cloud Software weniger einen Service, der ihr ganz allein gehört, als vielmehr eine Plattform für Services und Apps, die von Dritten beigesteuert werden. Zwar schlägt noch immer das alte Reptilienhirn mit dem Reflex durch, der in jedem Partner einen Konkurrenten sieht, der weggebissen gehört. Aber mit SAP Sales OnDemand und SAP Sourcing OnDemand hat SAP auf der CeBIT sich selbst sozusagen als kleine App in die Mall gestellt. Das ist vielleicht nur ein kleiner Schritt für einen Anwender, aber ein großer Sprung für SAP…

Worum es jetzt geht, ist gemeinsam gelebte Qualität ganz im Sinne Robert M. Pirsigs, der Mitte der siebziger Jahre mit „Zen and the Art of Motorcycle Maintenance“ ein neues Qualitätsbewusstsein etablierte, das zwischen dem objektiv statischen und dem subjektiv dynamischen Qualitätsbegriff unterschied. Demnach geht es nicht nur um einen allgemein akzeptierten Qualitätsstandard, sondern auch um Methoden, diesen Standard zu erfüllen und weiterzuentwickeln. Bislang ist die Informationswirtschaft daran gescheitert, ingenieurmäßige Industriestandards zu kreieren. Vielleicht, dies ist zumindest mein persönliches (subjektives) CeBIT-Fazit, gelangt sie in der Cloud sogar darüber hinaus.

Cloudeamus igitur

Neue Technologien sind teuer und – solange noch unerprobt – auch risikobehaftet. Erst mit ihrer Praxiserprobung kommen Sicherheit und Ergonomie. Mit dem Volumengeschäft kommt die Preissenkung – und dann, aber erst dann kommt der technologische Durchbruch im Mittelstand. So sagt es das Marketing-Lehrbuch.

Der Mittelstand gilt als zögerlich bei der Einführung von technischen Innovationen. Dafür hat er gute Gründe: Er wartet ab, bis neue Technologien ihre Kinderkrankheiten überwunden haben, bis Kosten und Risiken kalkulierbar sind und die Rendite gewiss. Seit Jahrzehnten kommen Mittelstandstudien zu dem immer wieder gleichen Ergebnis: Ob Mainframes, Personal Computer oder eBusiness – die Analyse lautet stets: „Der Mittelstand zögert noch bei der Einführung von…“

Hier auf der CeBIT in Hannover findet derzeit die aktuelle Neuauflage dieser Analyse statt. Sie lautet: „Der Mittelstand zögert noch bei der Einführung von Cloud Computing.“ Und auch die Gründe sind die gleichen: Noch sind die finanziellen und technischen Risiken nicht bekannt. Und vor allem: die Sicherheitsbedenken bei Daten und Anwendungen in der Wolke sind für den mittelständischen Anwender noch nicht ausgeräumt.

Hier will der Verband der Cloud-Service-Industrie, Eurocloud Deutschland, jetzt mehr Sicherhit oder zumindest Vertrauen verbreiten. Mit dem Eurocloud Star Audit SaaS sollen die Angebote unter technischen und vertragstechnischen Gesichtspunkten geprüft und mit null bis fünf Sternen versehen werden. Microsoft hat sich bereits mit seinem Cloud-Produkt BPOS zur Auditierung angesagt und erwartet ein Fünf-Sterne-Zertifikat in den Kategorien Anbieterprofil, Vertrag und Compliance, Sicherheit, Betrieb und Infrastruktur, Betriebsprozesse, Anwendung und Implementierung. Pieronet NDH hat das Prüfungsverfahren schon absolviert – Testergebnis: fünf Sterne.

Die Prüfungsfächer zeigen, dass Cloud Computing weniger eine neue Technologie ist, sondern vor allem ein neues Bereitstellungsmodell und damit um Prozesse der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Anbieter und Anwender. Das begreiflich zu machen dürfte ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Akzeptanz der Wolke im Mittelstand bedeuten. Es geht nicht um ein technisches Produkt, sondern vor allem um die Modalitäten einer Dienstleistung, die transparenter gemacht werden müssen. Ganz allmählich hat sich auf der CeBIT diese Erkenntnis durchgesetzt.

Dabei ist Cloud Computing ohnehin exakt auf die Herausforderungen des Mittelstands zugeschnitten. Allerdings zunächst einmal aus Sicht der Anbieter: Denn die Cloud bietet nicht nur Software as a Service, sondern auch Sales und Support as a Service. Das ist gerade im Softwaregeschäft interessant, wo die Kosten der Anwenderunterstützung schon so manche mutig gestartete Mittelstandsoffensive kaputtgerechnet haben.

Das „Lied von der Wolke“ wurde schon deshalb unisono von der gesamten Ausstellergemeinschaft auf der CeBIT angestimmt. Es ist die einzig wahre Mittelstandsoffensive. Lasst uns also fröhlich sein: Cloudeamus igitur.