Die Post-New-Economy

Es klingt paradox – funktioniert aber schon seit mehreren Tausend Jahren: Menschen investieren Kreativität, Kraft und Cash, um künftig weniger von allem investieren zu müssen. Praktisch bedeutet das in der Regel, dass andere dafür mehr leisten müssen – das nennt man Wachstum. Und die damit verbundene Skalierbarkeit sorgt dann – vielleicht – tatsächlich dafür, dass am Ende beide Seiten weniger investieren müssen. (In Wirklichkeit ist es dann aber meist unser Planet, der draufzahlt – aber das ist eine andere Geschichte…)

Als die New Economy die Old Economy ablösen sollte, bestand die Hoffnung darin, dass Menschen mit dem gleichen Investment an Kreativität, Kraft und Cash nicht nur ihren Markt vor der eigenen Haustür erreichen könnten, sondern einen globalen Massenmarkt adressieren würden, wenn sie hinter ihr altes Geschäftsmodell die Endung Dot-Com setzen und die Geschäftsprozesse ins Internet verlagern. Erst sollte also die Skalierung kommen, dann die Kostensenkung.

Was tatsächlich passierte, war die Vernichtung von einigen Milliarden Dollar weltweit. Und die Erkenntnis, dass die New Economy nicht aus der Bewältigung der Geschäftsmodelle von gestern mit den Kommunikationsmöglichkeiten von morgen entsteht, sondern aus der kreativen Zerstörung des Bestehenden durch Prozessinnovationen. Das ist der Grund, warum eBay, Google, Amazon und Facebook das Platzen der Dot-Com-Blase überlebten (beziehungsweise überhaupt erst abwarteten).

Zu den Geburtsfehlern des Cloud Computings gehört die Wiederholung dieses Phänomens. Die ersten Angebote, die seit 2009 auf den WWW-Markt drängten, waren die Auffrischung alter Geschäftsmodelle mit neuen, wolkigen Services. Und wieder trat die Skalierung vor der Kostensenkung ein. Es waren die sündhaft teuren Service-Rechenzentren, die ein kostengünstiges Cloud-Sourcing weder für Anbieter noch für Anwender realistisch machten.

SAP zum Beispiel soll – so hört man – Milliarden Euro in die schlichte Wiederholung eines alten Geschäftsmodells in der Cloud versenkt haben: Baue einen möglichst komplexen Anwendungsmonolithen, biete seine Nutzung über das Web an, organisiere eine möglichst große Gruppe an Implementierungspartner und locke mit einem vordergründig attraktiven Preis. Business by Design war eine Dot-Com-Blase in der SAP-eigenen privaten Cloud.

Oder IBM. Während sich die ganze Company zur Servicegesellschaft mit hohen Gewinnmargen wandelte, erfand die alte Mainframe-Fraktion einen Cloud-Service nach dem anderen – immer mit dem Ziel, die riesigen, schon fertiggestellten Server-Farmen auszulasten. Das Ergebnis waren fette Outsourcing-Verträge mit Unternehmen, die dafür nun nicht mehr fette Mainframe-Käufe tätigten. Ein neuer Markt entstand für IBM erstmal nicht.

Aber IBM hat einen langen Atem. Heute sind es Tausende an Clients und Millionen User, die in IBM-Rechenzentrum ihre Cloud-Anwendungen betreiben. Neben den fetten Brocken wie dem US-amerikanischen Bundesinnenministerium (zuständig für die nationalen Ländereien), das jetzt einen Platin-Kontrakt über eine Milliarde Dollar abschloss, sammeln die Salesmen weltweit kleine namenlose Cloud-Verträge mit Mittelständlern ein – übrigens in Europa und Amerika ebenso wie in Asien. Und trotzdem gerät die Aktie unter Druck.

Auch SAP hat einen langen Atem im Geschäft mit der Cloud. Und auch die SAP-Aktie ist unter Druck. Will Deutschlands größtes Softwarehaus seine Umsatzprognose halten, müssen Cloud Computing und die In-Memory-Datenbank Hana ein sensationelles zweites Halbjahr hinlegen. Allerdings performt SAP derzeit eher in Amerika und Europa, weniger jedoch in Asien.

Geschichte wiederholt sich. Während Dickschiffe wie SAP und IBM in der Post-New-Economy des Cloud Computings erst unverändert Kurs halten wollten, ehe sie begriffen, dass sie sich zu neuen Manövern durchringen müssen, sind die Risikokapitalisten gerade dabei Millionen in Start-up-Companies des Cloud Computings zu werfen. Nach einer Befragung der Analysten von Deloitte unter 400 Venture Capitalsts ist die Cloud derzeit das sicherste und zugleich vielversprechendste Investment. Jetzt muss skaliert werden – auf einen Markt in der Größenordnung von 240 Milliarden Dollar im Jahr 2020.

Gleichzeitig befürchtet die amerikanische Information Technology & Innovation Foundation (ITIF) dass die aktuelle Spionage- und Abhöraffäre den Cloud Markt in den nächsten drei Jahren um bis zu 35 Milliarden Dollar schädigen könnte. US-amerikanische Cloud-Anbieter könnten demnach bis zu 20 Prozent ihres Maktanteils verlieren. Kommt doch die Cloud-Blase in der Post-New-Economy? Geschichte wiederholt sich – aber meist eher als Parodie.

Da wo´s was zu tun gibt

Es hat noch nie so viel Spaß gemacht auf dem World Economic Forum in Davos. Die Stimmung ist so euphorisch, als hätte es nie eine Krise gegeben. Oder besser noch: als wäre die Krise längst Vergangenheit und eine neue nicht in Sicht.

Die Helden werden gefeiert – allen voran die beiden „Super-Marios“, Mario Draghi und Mario Monti, die – so will es fast scheinen – nahezu im Alleingang die Schulden- und Eurokrise niedergerungen haben. Andere feiern sich selbst – wie zum Beispiel Philip Rösler, der mit der „Power of Ten Percent“ Hof hält. Oder wie Bill McDermott, der Co-CEO der SAP, der der deutschen Ausgabe des Wall Street Journals die magische Zahl von 22 Milliarden Euro Umsatz nennt. So viel sollen 2015 in die Kassen des Walldorfer Softwareriesen fließen. Dank Hana und der rejustierten Cloud-Strategie wachse SAP derzeit doppelt so schnell wie Erzrivale Oracle. Und viermal so schnell wie die ganze IT-Branche in Europa.

Das aber soll sich ändern. Zu diesem Zweck hat die für „digitale Fragen“ zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes das Davoser Gipfeltreffen zur Ankündigung einer europäischen Initiative zur Stärkung der IT-Industrie in Europa genutzt. Mehr digitale Arbeitsplätze, mehr IT-Kompetenz und nicht zuletzt mehr Gründer-Geist soll die Informationswirtschaft auf dem Alten Kontinent schneller voranbringen. Im Idealfall soll Europas IT-Sektor wieder im Gleichschritt wachsen mit SAP – aber das sagt Neelie Kroes natürlich so nicht.

Dabei können sich auch die jetzigen Zuwachsraten durchaus sehen lassen: Um jährlich drei Prozent nahm die Zahl der digitalen Arbeitsplätze in Europa zu – auch während der Krise. Aber deutlich schneller wachsen als bisher dürfte die „EU-IT“ schon allein, wenn das brachliegende Potential genutzt würde. Nach Angaben der EU-Kommissarin bleiben derzeit bis zu 700.000 Arbeitsplätze in der Informationswirtschaft und Telekommunikation unbesetzt. Berücksichtigt man allein durchschnittliche Umsatzerlöse pro Arbeitsplatz, würde dies einer Wertschöpfung von 100 Milliarden Euro entsprechen.

Allerdings besteht weder kurz- noch mittelfristig eine Aussicht darauf, diese Arbeitsplatzlücken auszufüllen.  Im Gegenteil: Die Zahl der Jugendlichen, die eine Ausbildung in digitalen Berufen anstreben, ist sogar rückläufig. Wenn nichts geschieht, bewegt sich Europa von seinen Chancen weg.

Deshalb will Neelie Kroes auf allen Ebenen zusammen mit Industrie und Bildungseinrichtungen aktiv werden: mehr Ausbildungsplätze, mehr Praktika, mehr Informatikkurse, mehr berufsbegleitende Weiterbildung, mehr Online-Hochschulkurse, mehr Mobilität und nicht zuletzt mehr Unterstützung für Firmengründer. Als Währung für mehr Bildung und Initiative sieht die EU-Kommissarin Bildungschecks wie sie in Deutschland und vor allem in Spanien schon erfolgreich eingeführt wurden. Rund 20000 Teilnehmer hatten sich mit Hilfe solcher Bildungsgutscheine weiter qualifiziert – und für zwei Drittel von Ihnen sprang am Ende sogar ein Arbeitsplatz heraus.

Dieser Coupon-Coup soll jetzt europaweit lanciert werden. Weitere Ideen und vor allem konkrete Handlungsvorschläge sind willkommen. Darüber soll parallel zur CeBIT in Hannover am 4. und 5. März diskutiert werden. Mitmachen kann jeder. Und angesichts eines kurzfristigen Bedarfs von 700.000 Arbeitsplätzen muss auch jeder mitmachen.

Es gibt was zu tun – nicht nur in Davos, sondern da wo´s klemmt.

Ariba, ariba – Real SAP

Wenn es eines Beweises bedurfte, dass Cloud Computing der Trend der Dekade ist, dann hat ihn SAP jetzt erbracht, als das Kaufangebot an den Online-Marktplatzbetreiber Ariba auf den Tisch gelegt wurde. Nimmt man die Investments für die Entwicklung der OnDemand-Suite Business by Design, für die OnDemand Solutions für Large Enterprises, die Apps für Business One und weitere ERP-Lösungen sowie die Übernahme von SuccessFactor und jetzt Ariba zusammen, dann dürfte Walldorf in den zurückliegenden zehn Jahren annähernd 20 Milliarden Euro in die Cloud gesteckt haben.

20 Milliarden für ein Phantom? Was wäre das für ein Treppenwitz!

Aber 20 Milliarden Investition, um in einem sich soeben erst entwickelnden Markt erfolgreich zu sein? Das ist doch eigentlich eine Katastrophe!

Die Visionen, die aus der Wolke herabregnen, gehen ins Uferlose. Auf 240 Milliarden Dollar wird der Cloud-Markt geschätzt – im Jahr 2020. Heute sind es weltweit erst 40 Milliarden Dollar, ein Achtel davon wird allein in Deutschland ausgegeben.

Das ist kein Markt, den man übersehen sollte. Aber genau das haben die Global Player lange getan. Sie haben argumentiert, dass sich ERP-Lösungen vorerst nicht für das Cloud Computing eignen, dabei aber völlig übersehen, dass sich diese Systeme längst in einer Metamorphose befanden, die mit der Diskussion um Service-orientierte Architekturen bereits die Richtung wies. Die Fehleinschätzung bestand darin, dass SOA nicht nur zu breit angelegten Anwendungsinfrastrukturen für Wholesale-Anbieter führten, sondern auch Spezialisten einlud, einzelne Anwendungsaspekte herauszupicken und für die Cloud zu optimieren. Und diese Spezialisten sind es heute, die von den Global Playern mit Milliardensummen vom Markt gekauft werden.

Die Schlacht in den Wolken, den die Global Player über unseren Köpfen austragen, mutet jedoch längst wie ein Stellungskrieg an. Jeder übernimmt, was das Zeug hält: IBM, Oracle, HP, SAP, Google und Facebook. Und auch SalesForce kauft und kauft – und verteidigt sich damit selst gegen eine mögliche Eroberung. In dieser Schlacht gibt es keine Freunde.

Und auch keine Grenzen. Was sind schon 3,4 Milliarden, wenn sich Facebook mit 100 Milliarden Dollar an der Börse wappnet. Was ist schon ein Börsenwert von 100 Milliarden Dollar, wenn er tags drauf schon schneller zu schrumpfen beginnt, als andere das Geld zum Cloud-Window hinauswerfen?

Geld schießt nicht nur Tore, es öffnet auch die Tore zu neuen Märkten. In der Tat mutet der Kampf um den besten Platz unter der Wolke an wie das Wettrüsten um die Trophäe der Champions League. Hier wie da werden derzeit Wahnsinnssummen über den Tisch geschoben, um die Superstars ins Team zu holen. SAP hat sich mit dem Goalgetter Daalgard von SuccessFactor ausgestattet und will nun mit Ariba auch die Abwehr verstärken. Der nächste Milliardendeal der werten Marktbegleiter ist nur eine Frage der Zeit.

Noch ist das Geld da. Bald ist es woanders. Es lohnt sich, jetzt eine Startup-Company mit Cloud-Ambitionen zu gründen. Sie könnte in einem Jahr schon Milliarden wert sein.

 

 

SAPPHIRE: Mehr PaaS, weniger SAP

Es herrscht ein wenig Revolutionsstimmung hier in Orlando, wo sich bereits vor dem offiziellen Start der globalen Kundenveranstaltung die Gerüchte auf die zukünftige Cloud-Strategie des Software-Riesen konzentrieren. Dabei wird der Durchbruch weniger von neuen Produkten erwartet, die die gute alte SAP ankündigen wird. Die Erwartungshaltung richtet sich auf eine neue SAP, selbst wenn sie dann die guten alten Produkte präsentiert…

Es musste nicht erst das Dreigestirn aus Hasso Plattner, Dietmar Hopp und dem Neu-Vorstand Lars Dalgaard im ersten Quartal per Video, Mail oder in Interviews Warnungen formulieren, dass es mit der SAP „as we know her“ im Cloud-Computing so nicht weitergehen könne. Schon die Ankündigung, dass sich SAP nach vier Jahren Angst vor dem Sündenfall des Kannibalismus, nämlich SAP Business by Design auch den eigenen Enterprise-Kunden anzudienen, endlich dazu durchringen konnte, die Cloud-Lösung als Subsystem unter SAP ERP (fka R/3) zu positionieren, sprach Bände.

Es ist schon faszinierend, dass sich SAP zum zweiten Mal innerhalb von 24 Monaten die eigene Strategie von ihren Kunden umschreiben ließ: zunächst bei der Abwehr der erhöhten Wartungsgebühren, dann bei der Hereinnahme von ByD ins Enterprise-Portfolio. Es wäre nicht die schlechteste Idee, wenn SAP sich auch weiter darin üben würde, auf ihre Kunden zu hören – vielleicht beim nächsten Mal schon vor der Verkündung der neuen Strategie.

Zunächst aber hört SAP auf den Marktverstand derer, die durch Aufkäufe ins Management kommen. Dass der SmartFactorist Lars Dalgaard nun die SAPPHIRE nutzen wird, um den Walldorf-Salat aus diversen, wenn nicht sogar divergierenden Cloud-Angeboten neu anzurichten, ist selbstverständlich. Ein Baustein wird dabei der Ausbau hin zu einer vereinheitlichen Cloud-Plattform sein, unter der SAP ihren bisherigen Angebotsmix anbietet. Für eine ByD-Lösung, die als Closed-Shop entweder ganz oder gar nicht eingesetzt wird und äußerst arm an Schnittstellen zu Drittsystemen ist, dürfte da nur nach einer mächtigen Metamorphose Platz sein.

Aber genau dies zeichnet sich ab: Dem Vernehmen nach diskutiert SAP heftig darüber, stärkere Angebote im Bereich Finance und Human Resources zu erbringen – zwei Bausteine, die innerhalb von ByD auch nach Weltklasse-Maßstäben hervorragend gelöst sind. Als schwach wird dagegen von Analysten und Anwendern der Manufacturing-Part angesehen. Nichts läge näher, als das monolithische ByD aufzubrechen und den Finance-Kern als Plattform für eine globale Software-Mall zu positionieren, auf die vertikale Lösungen von Drittanbietern über Standardschnittstellen zugreifen können.

Das klingt erfolgversprechender als der Ansatz, die ByD-Wolke durch „minimal-invasive“ Apps anzureichern, die kaum die funktionalen Schwächen von ByD im Supply Chain Management ausgleichen können. Welches Ghetto-Dasein Apps und Add-ons in der SAP-Vertriebsorganisation fristen, beweisen bereits die Schätzchen, die in der Wookey-Ära für die Large Enterprise-Cloud entwickelt oder akquiriert wurden.

 Also weniger Software-Applications-Programming und dafür mehr Platform as a Service. Das verlangt freilich ein neues Vertriebsverständnis und eine überarbeitete Vorstellung vom Kunden. Die nächste Milliarde wird SAP vielleicht nicht in Akquisitionen oder Anwendungen stecken, sondern in Angestellte.