Social im sozialen Sinne ist noch lange nicht sozial

Für sozial, pardon: social steht heute nur einer: Mark Zuckerberg, 26, und im Moment dabei, mit Facebook Deals die Welt der Handelsorganisationen zu revolutionieren. Als Plattform, die das Privatleben von Pubertierenden ausquetscht, ist Facebook längst etabliert. Jetzt geht es darum, den Handel auszuquetschen. Und mit Facebook Deals kann das jetzt jeder. Das ist doch echt sozial, oder?

Im August startete Zuckerberg mit Facebook Places einen ersten Coup, der ahnen ließ, dass die Möglichkeiten, im sozialen Netzwerk Privates auszuposaunen, längst noch nicht erschöpft sind. Mit speziellen Smartphone-Apps konnten sich Facebookinisten überall auf der Welt „einchecken“, um damit nicht nur der ganzen Community mitzuteilen, wo man sich gerade befindet, sondern auch zu checken, mit wem aus der direkten Umgebung man sich denn zu einem Cafe Latte treffen könnte.

Und jetzt gibt’s den Cafe Latte auch „für umme“, oder zumindest fast umsonst. Jedenfalls zumindest in den USA; also vorerst. Die Deutschen dürfen noch nicht mitmachen, weil sie schon bei Facebook Places, hierorts als Facebook Orte bekannt nicht so richtig mitmachen wollten. Da stand Deutschland nämlich noch im Banne von Googles Street Woo-Doo und schreckte zurück.

Facebook Deals zeigt nun jedem, der sich bei Fashion-Kette „Hager & Mager“eincheckt, 20 Prozent auf alles (außer Tiernahrung). Die amerikanische Feinschmeckerkette „Golden Eagle“ spendete für jeden „Checker“ einen Dollar für einen guten Zweck (vielleicht Word Wide Weight Watchers?). Und die Modemarke „Good American Pants“ verschenkt 10.000 Jeans an die ersten 10.000 Facebook-Dealer aus.

Man muss sich mal vorstellen, was passiert, wenn sich die halbe Milliarde Facebook-Nutzer zum Schnäppchenkauf verabreden. Künftig werden die „Like-It“-Buttons („Gefällt mir“) nicht nur unter Online-Artikeln und Youtube-Filmchen stehen, sondern auch als weltweites Empfehlungsschreiben an fair gehandeltem Kaffee, Tunfisch ohne Delfinfleisch oder linksgedrehten probiotischen Activ-Joghurtkulturen kleben. Der private Konsument als globale Marktmacht.

Und umgekehrt führt das permanente Ein- und Auschecken zu einem detaillierten Bewegungsprofil, von dem noch nicht einmal im Datenschutzbad galvanisierte RFID-Protagonisten geträumt haben würden. Es wäre nicht zum ersten Mal, dass sich der Verdacht, Facebook könne mit den so erhobenen Daten auch einen schicken Handel aufziehen, bestätigen. Und dieses Geschäft wird sich mit wachsender Community mehr und mehr lohnen.

Aber wäre es nicht toll, eine Firma zu besitzen, die solches bewirkt? So wie Mark Zuckerberg, der das Unternehmen vor – ist das wirklich erst 2004 gewesen? – sechs Jahren gründete und heute mit seinem Minderheitsanteil Börsenmilliardär ist. Microsoft, das auf der Suche nach einem Geschäftsmodell für das Web auch bei Facebook vorbeigeschaut hatte, durfte gerade mal 1,5 Prozent der Anteile übernehmen – für 240 Millionen Dollar. Mehr war wohl vor zwei Jahren nicht drin – Google immerhin ging 2007 völlig leer aus.

Jetzt scheint Google die Finger nach Twitter auszustrecken. Und schon wird Microsoft-Chef Steve Ballmer bei einem heimlichen Gespräch mit Dick Costolo, dem gegenwärtigen CEO von Twitter gesehen. Costolo hatte die von ihm gegründete Social Network-Company Feedburner an Google verkauft, hat also bereits beste Verhandlungsbeziehungen zum Suchmaschinenriesen. Ein Wettbieten von Google und Microsoft um Twitter wäre allerdings nichts anderes als eine Übersprunghandlung. Das soziale Netz gehört (noch) nicht Twitter, sondern Facebook – und mit bis zu 50 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung ist die Zuckerberg-Firma auch schon nahezu unangreifbar.

Die Online-Werbung honoriert bereits die Machtverschiebungen und bucht zunehmend bei Facebook. Im März 2010 war Facebook erstmals die meistbesuchte Webseite – vor Google. Und künftig ist die Frage wichtiger, was „Freunde“ lesen und „gut finden“, als zu wissen, was Googles Suchmaschine empfiehlt. Facebook muss nicht einmal wie Google einen eigenen Maildienst aufziehen – es macht sich einfach die Services der Maildienste zu Eigen. Und von dort zu einer kompletten Cloud-Plattform für Privates und Büro ist es auch nicht mehr weit.

Die Geschichte wiederholt sich: Was Microsoft bei IBM abjagte, fraß in den letzten Jahren Google auf, das sich heute bereits gegen Facebook wehren muss. Die Nahrungskette ist komplett – aber nicht unbedingt sozial. Ein Haufischbecken ist dagegen ein Kindergarten.

Wenn der Partner (ab)schafft

Der ADAC hat sich wieder einmal mit dem zentralen Problem aller Autofahrer befasst: Vertragswerkstatt und teures Geld, oder freie Werkstatt und Geld sparen? Das Ergebnis des Stichprobentests ist ebenso eindeutig wie naheliegend: natürlich fährt man bei den markengebundenen Serviceeinrichtungen auf Nummer sicher. Aber was ist schon sicher? Drei von vier der im Auto versteckten Fehlfunktionen wurden entdeckt, obwohl 100 Prozent möglich gewesen wären, wenn der Mechaniker die Wartungsvorschriften des Herstellers genau befolgt hätte – und das könnte eine freie Werkstatt genau so gut wie eine Vertragswerkstatt.

Für die Automobilhersteller sind die Vertragswerkstätten ein entscheidendes Element des Geschäftsmodells – sie sichern die Markentreue der Kunden ab. Nicht das Kauferlebnis entscheidet über das Image eines Automobils, sondern die Total Costs of Usage. Der Service-Partner sichert heute schon die Markenwahl von morgen ab: Getreu dem Motto: „safe tomorrow now“. Hoppla – wir waren bei Autos, nicht bei Software.

Wer also seinen Daimler bei einer freien Werkstatt warten lässt, bei der bevorzugt Volkswagen auf dem Hof steht, sich aber darauf verlassen kann, dass die Mercedes-Wartungsvorgaben eingehalten werden, dann… Moment mal – durfte der sich jetzt die Wartungsunterlagen überhaupt downloaden oder war das schon die Verletzung geistigen Eigentums? Wenn er eine (bezahlte) Prüfung ablegt…

Es geht gar nicht darum, während eines laufenden Prozesses über Gut und Böse, Recht und Unrecht zu rätseln. Auch nicht, da die Tat ja schon eingestanden ist, über das Ausmaß von Schuld und Sühne. Es geht eher um die Frage, wie sich in einer weltweit verzweigten Ecosphäre Mitschuld und Mitverantwortung verteilen.

Bei einer weisungsgebundenen Tochtergesellschaft dürfte das recht klar sein. Aber was ist mit den indirekten Vertriebs- und Service-Kanälen, die sich die großen Leitarchitekturanbieter der Informationswirtschaft aufgebaut haben, um ihre Kunden an jedem Ort der Welt zu jedem Zeitpunkt den Support zukommen zu lassen, der für das Fortbestehen der Geschäftsbeziehung so entscheidend ist? Da betreut die eine Business Unit die Microsoft-Installationen, während die andere sich um, sagen wir: Oracle kümmert. Die einen entwickeln mit Dot.Net, die anderen mit Java – und morgen andersrum.

So unglaublich naiv, illoyal und illegal die Aktivitäten von TomorrowNow auch gewesen sein mögen – der Prozess in San Francisco entscheidet neben der Schuld und der Sühne auch über die Frage, ob Kunden einen Besitzstand darstellen. Es ist die durchaus falsche Vorstellung von einer Kundenbasis, von Bestandskunden im Sinne eines bereits eroberten und eingemeindeten Terrains, der hier mit vor die Jury gezerrt wird. Kunden gehören nämlich zunächst einmal sich selbst. Und auch Partner schaffen das am besten, was ihren eigenen Interessen nützt – das wird (leider) allzu oft am Rande der Loyalität und Legalität gehandelt.

Ein Gericht kann diese Dynamik kaum durch einen Richterspruch einfangen – zumal das Tempo der wechselnden Vertrags- und Vertretungs-Beziehungen durch die Cloud noch zusätzlich beschleunigt wird. Das muntere Platform-Hopping, der stete Wechsel von App zu App, scheint jetzt bereits bei Funktionen, die nicht gerade zu den kritischen Kernprozessen eines Anwenders gehören, fröhliche Urständ zu feiern. Eines ist dabei gewiss: das geistige Eigentum geht im Internet auf Reisen – man kann es auf lange Sicht wohl nur für sich behalten, wenn man es nicht mehr teilt.

Aber das schafft dann auch den Partner ab. Der schafft dann schon längst beim nächsten geistigen Eigentümer. Das ist zwar eine gefährliche Moral, aber eine wahre.

Nicht Lamm, sondern Leo

Wir leben in internationalen Zeiten: SAP ist glücklich mit seiner dänisch-amerikanischen Doppelspitze – und Hewlett-Packard wählt unter lauter hochkarätigen US-Amerikanern: den Deutschen Léo Apotheker. Alle drei sind Weltbürger und führen Firmen, die sich zu wahrhaft globalen Organisationen entwickelt haben. Das ist nicht selbstverständlich. Hand aufs Herz: Ein Europäer an der Spitze der IBM in Armonk oder von Microsoft in Redmond?

Soviel zur nationalen Dimension der wohl für die gesamte Branche überraschenden Entscheidung des HP-Boards, Léo Apotheker in die Nachfolge von Mark Hurd in Palo Alto zu berufen. Ein gutes halbes Jahr nach seinem Weggang von SAP taucht der Vertriebsprofi mit einem Paukenschlag wieder auf. 50 Millionen Dollar ist dem Vernehmen nach dem PC-Marktführer über die Jahre hinweg das Engagement wert. Deshalb zunächst: Chapeau Léo!

Dabei hatte es für viele so ausgesehen, als habe sich Léo Apotheker in seine Wahlheimat Paris zurückgezogen und der Branche gut-situiert, aber lammfromm den Rücken gekehrt. Dazu hätte er allen Grund gehabt, denn die Nachrufe aus der SAP und der Fachpresse waren – gelinde gesagt – nicht gerade überschwänglich. In völliger Verkennung der aktuellen Stimmungslage hat Oracle-Chef Larry Ellison jetzt noch einmal versucht, Reminiszenzen an einen vermeintlich Gescheiterten wachzurufen, als er dem Wall Street Journal seine Bewertung der HP-Personalie mailte. Sie zu wiederholen, ist es allerdings nicht wert.

Die Replik auf das alles war Léo Apotheker jetzt genau sieben Worte in einem Handelsblatt-Interview wert: „Ohne mich gäbe es die SAP nicht.“ Damit war das Interview beendet und der im Allgemeinen hochgeschätzte Jens Koenen verpasste die Chance, Branchengeschichte zu schreiben. Warum hat er Léo Apotheker nicht zu einer Erklärung dieses Satzes genötigt? Mein Gott, so was lernt man doch auf der Journalistenschule, oder nicht!

Hat er aber nicht. Deshalb folgt die Antwort nun – zwar spekulativ, aber doch gut unterrichtet – in diesem Blog: SAP wurde unter dem Vertriebschef Léo Apotheker zum Branchenprimus mit 90.000 Kunden. Nach den 2003 gescheiterten Gesprächen mit Microsoft hatte er vor einem Jahr erneut die Fühler zu möglichen Fusionspartnern ausgestreckt – und war zurückgepfiffen worden. Als in der Wirtschaftskrise das Neugeschäft einbrach, hatte er den (vielleicht übertriebenen) Sparkurs durchgesetzt, der Gewinne und Aktienkurs hoch hielt und als dessen prominentestes Opfer er Anfang 2010 schließlich das Unternehmen verlassen musste. Aber er hat die SAP sicher durch schwieriges Fahrwasser geführt.

Sollte er die Mission SAP-Fusion jetzt von außen, von der HP-Spitze aus weiter verfolgen? Dass die Ansichten über Partnerschaften und Fusionen im SAP-Aufsichtsrat und unter den alten Gesellschaftern keineswegs einmütig geteilt werden, trat in den Wortbeiträgen der SAP-Granden zum Weggang von Léo Apotheker überdeutlich zu Tage. Heute ist es SAP-Mitbegründer Klaus Tschira, der über mögliche Käufer orakelt und dabei Oracle ausdrücklich ausschließt. Und es ist SAP selbst, das die Gerüchteküche um eigene Übernahmen genüsslich köchelt: gestern war es SAG, die übernommen werden sollte, heute – vielleicht aufgrund eines Lesefehlers – Sage.

SAP, ein Käufer, der selbst zum Kaufobjekt wird. Die Branche ist in einem Konsolidierungs- und Übernahmerausch. Cloud Computing mischt Hard- und Softwerker neu. Der Zwang, sich neu aufzustellen, macht derzeit Milliarden frei. Während IBM und Oracle einen guten Mix für die Cloud aus Hardware, Software und Service anbieten, fehlt es HP an Software und SAP an Hardware. Die Übernahme von Sybase hat SAP zumindest an der Datenbank-Front geschützt. Aber die Cloud verlangt Kompetenzen im Rechenzentrumsbetrieb, im Storage-Management, beim Server-Bau und in der Anwendungsintegration. All dies gehört derzeit nicht zu den Kernkompetenzen von SAP. Zu den von HP aber schon.

Léo Apotheker hat die SAP schon einmal gerettet – damals von innen und gegen alle Widerstände. Wenn er nun – von außen und wiederum gegen alle Widerstände – der SAP zusätzliches Leben durch die wie auch immer geartete enge Partnerschaft mit HP einflößen könnte, wäre dies ganz im Sinne von Mahatma Ghandi: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ – Léo ist kein Lamm, sondern ein Löwe.

Love Hurts

Hewlett-Packard ist im Kaufrausch: Soeben hat das Unternehmen aus Palo Alto die Akquise von 3Par absolviert, da meldet das derzeit eigentlich führungslose Unternehmen die nächste Übernahme in Milliardengröße. Für 1,5 Milliarden Dollar geht der Softwarehersteller Arc Sight ins HP-Portfolio auf. Mit dem auf Analysewerkzeuge für die Sicherheit in komplexen Netzwerken spezialisierten Haus ergänzt HP sein Angebot für Enterprise-Kunden. Auf diesen Markt zielte auch schon die Übernahme des Speicherspezialisten 3Par, der für 2,35 Milliarden Dollar an HP ging. Wie sehr HP inzwischen im Kaufrausch steckt, zeigt das Bieterrennen um 3Par. Nachdem Konkurrent Dell bereits mit seinem Angebot von 1,15 Milliarden Dollar den aktuellen Wert von 3Par bereits um 90 Prozent überbewertete, schlug HP mit der Verdopplung auf 2,35 Milliarden Dollar zu.

Erstaunlich ist der Kaufrausch insbesondere, weil Hewlett-Packard seit einem guten Monat eigentlich ohne Führungsperson ist. Der über eine angebliche Liebesaffäre und eine ungereimte Spesenabrechnung gestürzte Mark Hurd hat offenbar einen langen Einkaufszettel hinterlassen, den Interims-Chefin Cathie Lesjak jetzt getreulich abarbeitet.

Der tief gekränkte Hurd hat allerdings inzwischen offensichtlich einen neuen Einkaufszettel zusammengestellt, den er jetzt für Oracle-Chef Larry Ellison abarbeiten soll. Dem Vernehmen nach darf Hurd bis zu 50 Milliarden Dollar in die Hand nehmen, um aus Oracle einen Universalanbieter für so ziemlich alles zu machen, was den Enterprise-CIO glücklich macht: Hardware, Software und vor allem Service soll der künftige Dreisprung des ehemaligen Datenbankanbieters sein, der mit der Übernahme von Sun Microsystems im vergangenen Jahr bereits ein bis dato völlig unbearbeitetes Geschäftsfeld hinzu gewann.

Hurd kann auf Erfahrungen aus dem Frühjahr zurückgreifen, als er den angeschlagenen PDA-Spezialisten Palm für HP kaufte. Damals dürfte Hurd auch in die Bücher des Palm-Konkurrenten RIM geschaut haben. Der Hersteller der Blackberry-Smartphones, der praktisch auf der anderen Straßenseite von Palm niedergelassen ist, steht jedenfalls dem Vernehmen nach wieder ganz oben auf dem Wunschzettel. Kein Wunder: Ähnlich wie HP drängt auch Oracle in den Markt der Enterprise-Cloud, in der vom zentralen Rechenzentrum bis zum mobilen Endgerät alles über das Internet verknüpft wird. Oracles Softwareoffensive Fusion stellt neben der Datenbank-Technologie den Klebstoff für dieses weltumspannende Puzzle dar.

Für 50 Milliarden Dollar kann man eine ganze Menge kaufen – und damit auch für erhebliche Gewichtsverlagerungen im durch Cloud Computing aufgeheizten IT-Markt sorgen. Seit Jahren leben immer wieder Gerüchte auf, dass Oracle seinen wichtigsten Wettbewerber, SAP, einfach vom Markt kauft und sich einverleibt. Um SAP wiederum halten sich Gerüchte, wonach die Software AG eines der nächsten Übernahmeziele sein könnte. Derzeit freilich verdauen die Walldorfer noch den Kauf von Sybase.

Alles scheint möglich. Und der angeblich über seinen Rauswurf bei HP tief verletzte Hurd hat im Kaufrausch für Oracle auch eine geeignete Therapie gefunden. Die Emotionen gehen hoch im Kreis der IT-Vollsortimenter. Da ist manch irrationaler Zuschlag mit Wahnsinnspreisen zu erwarten. Ob´s dem Markt hilft, sei dahingestellt. Für Blogger jedenfalls wird das eine gute Zeit.