Nicht hilfreich

„Nicht hilfreich“ ist eine extrem dehnbare Formulierung – von unbrauchbar über unnötig oder überflüssig bis zum Vorwurf mangelnder Kooperation lässt sich alles hineininterpretieren. Etwas Positives ist dabei jedoch kaum zu erwarten. Im Berliner Politik-Sprech aber hat „nicht hilfreich“ eine geradezu vernichtende Bedeutung – vor allem, wenn diese Formulierung von der Kanzlerin kommt. Dann darf man sich als Urheber einer „nicht hilfreichen“ Maßnahme oder Äußerung durchaus durch das Kanzleramt  abgekanzelt fühlen.

Nun hat Angela Merkel möglicherweise nicht als deutsche Bundeskanzlerin gesprochen, als sie am Wochenende auf den Veranstaltungen „#cnight“ und „#CDUdigital“ die vom Bundesfinanzministerium zur Diskussion gestellten Pläne zur Besteuerung von Risikokapital als „nicht hilfreich“ bezeichnete. Die Pläne, Erlöse aus Streubesitz auch dann sofort zu besteuern, wenn sie reinvestiert werden, hatten mächtig für Aufregung in der Startup-Szene gesorgt. Denn die bisherige Praxis, die Besteuerung auszusetzen, solange der Erlös aus Risikokapital unmittelbar in weitere Engagements fließt, ist ein wichtiger Motivator für Venture Capitalists, sich immer und immer wieder in der Gründerszene zu engagieren. Deshalb hatte es bei Vertretern der Kapitalbeteiligungsgesellschaften und aus den Reihen der Netzwirtschaft wortreichen Widerstand gegeben. Die Internet-Startups – ohnehin mit dem Bloggen schnell bei der Hand – hatten über ihre Kanäle einen wahren Shitstorm erhoben. Motto: Wer in Deutschland Innovationen und neue Firmengründungen will, darf nicht die Elemente, die zur Belebung der Gründerszene dienen, mutwillig eliminieren. Florian Noell, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Startups erkannte in den Plänen eine „Verunsicherung der Gründerszene“, was innerhalb des Berliner Politik-Sprech so viel heißt wie „nicht hilfreich“. Auch der Bonnblog hat sich dieser Argumentation angeschlossen.

Und auch die Kanzlerin scheint diesen Argumentationsgang für durchaus hilfreich zu halten. Sie stellte in ihrer Rede exakt den gleichen Zusammenhang zwischen Anreizen zur Risikokapitalisierung und der Innovationsförderung durch Startups her. Denn, so machte sie klar, in Deutschland müsse nun mal von Zeit zu Zeit etwas produziert werden, für das sich Abnehmer im Ausland interessierten. Das sei nur durch einen Mix aus etablierter Wirtschaft (brick and mortar) und der Internetwirtschaft (click and portal) möglich. Die Vertreter des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften und des Bundesverbands digitale Wirtschaft, die ausweislich der CDU-Homepage beide zu den Unterstützern der Veranstaltung gehört hatten, werden es mit Freude zur Kenntnis genommen haben.

Die Kuh scheint in der Tat vom Eis zu sein, wenn nicht sogar bereits erlegt. Die Kanzlerin sprach von diesen Plänen bereits in der Vergangenheitsform – so als hätte das Bundesfinanzministerium das Diskussionspapier bereits stillschweigend kassiert. Der „Tötungsvorgang“, so der O-Ton der Kanzlerin, sei bereits eingeleitet. Stattdessen soll das Startup-Gesetz nachgebessert werden. Deutschland braucht die „Digital Natives“, die mit dem Internet aufgewachsen sind, als Jungunternehmen, um, wie die Kanzlerin warnte, nicht als verlängerte Werkbank der Digitalkonzerne aus den USA und Asien zu enden. Das wäre in der Tat „nicht hilfreich“.

Komplizierte Compliance

Die Geschichte ist so klebrig wie eine viel genutzte Türklinke.

“Der Spiegel“ und „Fakt“ hatten Einsicht in den Schriftverkehr zwischen dem Top-Management der SAP und einem internen Prüfer – und berichteten darüber. Das ist die Aufgabe der Medien.

Der Prüfer war mit einem internen Audit rund um die Entwicklung der InMemory-Datenbank Hana befasst, hatte Missstände festgestellt und dem SAP Vorstand berichtet. Das ist die Aufgabe der Prüfer.

Das SAP Management ist der Sache nachgegangen, hat mehr Details und vor allem Beweise verlangt und sich in einem jahrelangen, sich allmählich verhärtenden Dialog mit dem Prüfer auseinandergesetzt. Das ist die Aufgabe des Managements. Ob es diese Aufgabe gut gelöst hat, sei einmal dahingestellt.

Der Mann, der im „Spiegel“ Sebastian Miller ist, ist kein Whistle Blower vom Schlage Edward Snowdens. Der hatte als Motiv für seine NSA-Enthüllungen höhere, ja hehre Ziele und dafür persönliche Verfolgung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in Kauf genommen. „Sebastian Miller“ hat – ob willentlich und wissentlich ist unklar – über seinen Vater und Anwalt Millionenforderungen an seinen Arbeitgeber gestellt. Das Wort Erpressung steht im Raum.

Und SAP, dessen Gegenwart und Zukunft am weiteren wirtschaftlichen Erfolg der Hana-Architektur hängt? Zunächst einmal gilt die Unschuldsvermutung, auf die jede Rechtsperson – und eben auch Unternehmen – ein Recht hat. Das gilt erst recht, nachdem SAP die unselige Geschichte um die eingestandenen fünf Terabyte heruntergeladener Dokumentationen von Oracle und PeopleSoft schiedlich-friedlich beigelegt hatte. Und konkrete Beweise für eine Verletzung von Urheberrechten Dritter – im aktuellen Fall werden IBM, Oracle, RIM und Teradata genannt – scheinen bislang ohnehin nicht vorzuliegen.

Doch der Weg zur blütenweißen Compliance-Weste ist ohnehin ein schmaler Grat, den einzuhalten ständige Aufsicht über Projekte, Prozesse und Personal verlangt. Wo liegt die Grenze zwischen Inspiration und Konspiration, wenn zwei Technologiefirmen – wie im Falle von Teradata und SAP – über einen optimierten Datenaustausch zwischen zwei Datenbank-Architekturen diskutieren und dabei Schnittstellen, Technologien und Techniken offenlegen? Können Verschwiegenheitsverpflichtungen Mitarbeiter wirklich davor bewahren, eine fremde Idee aufzugreifen und so in die eigene Gedankenwelt zu übernehmen, dass kaum noch zu erkennen ist, wessen geistiges Eigentum hier tatsächlich berührt worden war?

Compliance ist kompliziert – deshalb müssen alle Beteiligten hellwach sein und selbstkritisch das eigene Verhalten prüfen, Regeln aufstellen und ihre Einhaltung überwachen. Aber Compliance ist auch deshalb kompliziert, weil die Grenze zwischen legal und legitim von niemandem vorgezeichnet werden kann. Und Urheberrechtsverletzungen sind in einer digitalisierten Welt noch komplizierter. Dies gilt erst recht, seit im Software-Markt Trivial-Patente für den noch so kleinen Code vergeben werden. Zwischen Kapieren und Kopieren ist da kaum noch eine sichere Demarkationslinie zu ziehen. Das Plagiat beginnt bei falsch zitierten Quellen und endet nicht beim Auskundschaften fremden Datenmaterials.

So wenig konkret die Anschuldigungen sein mögen – so konkret ist der Schaden, den ein Unternehmen aus diesen Vorwürfen ziehen kann. Im aktuellen Fall hat der Prüfer selbst den kumulierten Schaden für die SAP, der sich aus Schadensersatzzahlungen, Strafen und Wertverlust ergeben könnte, auf satte 35 Milliarden Euro beziffert. Ein Horrorszenario für jedes Unternehmen. Der aktuelle SAP-Kurs gibt bereits nach.

Der Mann, der im „Spiegel“ Sebastian Miller ist, hat jetzt schon Geschichte geschrieben. Ob diese Geschichte einmal unter seinem Klarnamen geschrieben werden wird, ist fast schon unerheblich. Es ist die Geschichte, wie kompliziert Compliance ist – und wie leicht ein Vorwurf zur Vorverurteilung werden kann. Das Gerücht ist nun mal schneller als das Gericht.

 

Virales Industriemarketing 4.0

„Kennen Sie den?“ – So leiten veritable Witzeerzähler gerne ihren nächsten „Ankommer“ ein. Die Einleitungsfrage ist der Erfahrung geschuldet, dass sich Witze in der Gesellschaft viral bewegen. Sie tauchen plötzlich auf, sogar an mehreren Stellen gleichzeitig, und pflanzen sich über die „geborenen Witzeerzähler“ fort, während diejenigen, die sich einfach keine Witze merken können, sozusagen immun sind gegenüber dem Lachvirus, und den Zwerchfellerreger einfach nicht weiterleiten können…

„Kennen Sie Industrie 4.0?“ ist eine Fragestellung, mit der landauf landab Seminare und Workshops oder auch Sonderpublikationen in Fachblättern eingeleitet werden. Und zwangsläufig folgen dann Zukunftsszenarien, die von Zukunftsforschern und Business-Process-Optimierern erzählt werden. Auch das ist prinzipiell ein viraler Prozess. Nur – er findet in einem extrem begrenzten Zirkel statt, in dem sich andere Zukunftsforscher, Business-Process-Optimierer, Logistik- und Produktions-Manager großer Konzerne tummeln. Und manchmal verirrt sich auch ein Mittelständler in diese Kreise. Aber er ist immun und erzählt die Industrie 4.0-Szenarien einfach nicht weiter. Blondinen erzählen ja auch in der Regel keine Blondinen-Witze weiter…

Aber Industrie 4.0 ist kein Witz! „Der deutsche Mittelstand verhält sich dem Thema Industrie 4.0 gegenüber noch immer eher vorsichtig bis reserviert“, befand jetzt Prof. Dr. Michael Henke, Institutsleiter des Fraunhofer IML bei der Vorstellung einer in Zusammenarbeit mit agiplan erstellten Studie über die Chancen und Möglichkeiten der allumfassenden Digitalisierung. Dem Mittelstand rief sein Institutsleitungskollege Prof. Dr. Michael ten Hompel auf der gleichen Veranstaltung letzte Woche zu: „Wir halten alle Basistechnologien für die vierte industrielle Revolution in unseren Händen. Wir brauchen nur den Mut, sie endlich in Produkte und Geschäftsmodelle umzusetzen.“

Aber genau hier zeigt sich das Kommunikations-Dilemma des viralen Industriemarketings 4.0. Denn tatsächlich geizt die Studie nicht mit Optionen. Ob im vernetzten Heim, in der intelligenten Stadt, in der digitalisierten Produktion, in der integrierten Logistik oder in der multi-direktionalen Kundenkommunikation – überall lassen sich enorme Einsparungs-, Optimierungs- und Qualitätspotenziale schöpfen. Und keiner wird davon so unmittelbar profitieren wie der moderne Mittelstand. Der Grund: In den kleinen und mittleren Unternehmen sind die Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesse so kurz, so schnell, so zielgerichtet. Im Konzern mit seinen Abstimmungs- und Widerspruchsgremien tun sich die Entscheider deutlich schwerer. Deshalb sprechen sie auch mehr darüber.

Mittelständler sind keine großen Kommunikatoren – sie schauen und schaffen nach innen, nicht nach außen. Die Pointe an Industrie 4.0 besteht darin, dass die ganz große Vision, die in den Expertenzirkeln diskutiert wird, zu mächtig, zu allumfassend ist, um virale Fahrt aufzunehmen. Die Details aber – hier ein Prozessfortschritt, dort ein Integrationsschritt und drüben eine Digitalisierung bisheriger analoger Vorgänge – finden im Mittelstand sehr wohl ihre Umsetzung. Jeden Tag, an jedem Standort in Deutschland. Aber der Mittelständler ist nun mal kein Weitererzähler. Er optimiert, während andere diskutieren.

Und am Ende dieses Prozesses gibt es für ihn nur eine Antwort auf die Frage „Kennen Sie Industrie 4.0“ – nämlich ein gelangweiltes „Das hat so´n Bart!“

 

Mainframe, dein Frame, Cloud-Frame

Es ist ja keineswegs so, dass die Dinosaurier ausgestorben sind – sie haben nur einfach ein neues Konzept umgesetzt, und ihre Nachfahren bevölkern als Vögel unseren Himmel. Sie haben sich sozusagen vom Boden in die Wolken erhoben…

Es ist auch keineswegs so, dass die Mainframes ausgestorben sind – sie haben nur einfach ein neues Konzept umgesetzt, und ihre Nachfahren leisten heute Schwerstarbeit in der Cloud.

Erstaunliche zwei Drittel des weltweiten Datenbestands in eCommerce- oder eBusiness-Anwendungen werden heute auf Speichersystemen gesammelt, die von Mainframes angesteuert werden. Gut 90 Prozent der 200 größten Unternehmen in Deutschland setzen unverändert auf Großrechner, um ihre Geschäftsprozesse zu steuern. In den USA dürfte der Anteil trotz der Technikverliebtheit der dortigen IT-Manager sogar noch größer sein.

Der Grund: Die Kosten pro Anwender sind deutlich geringer als bei Serverfarmen. Allerdings – und das ist der zweite Grund: Mehr als die Hälfte der Anwendungen auf den Mainframes hat mehr als 20 Jahre auf dem Software-Buckel. Und da diese Applikationen auch noch durchaus im produktiven Einsatz sind, nutzen sie auch etwa die Hälfte der zur Verfügung stehenden Rechnerzeit. Es ist die Software, die veraltet, während die Hardware durch kontinuierlichen Austausch jung bleibt.

Genau darin liegt das Problem für viele internationale ERP-Anbieter, die in den achtziger und neunziger Jahren zu Weltruhm gelangten, weil sie mit ihren Lösungen die Globalisierung der Konzerne beförderten und Software-Architekturen entstehen ließen, die nur mit erheblichem Upgrade-Aufwand auf einem Modernisierungspfad gehalten werden können. Über kurz oder lang steht für jeden CIO die Frage an: aushalten oder abschalten.

Die Lösung aus diesem Dilemma wird immer häufiger in der Totaloperation liegen: neue ERP-Lösungen, die auch einem geänderten Nutzungsverhalten entsprechen, werden die Altsysteme ablösen. Sie sind mit webbasierten Oberflächen, die vom PC-Arbeitsplatz bis zum Smartphone flexibel unterschiedlichste Endgeräte bedienen, ausgestattet und haben zugleich jene Offenheit, neue Megatrends wie Big Data, Predictive Analytics oder die Digitalisierung des Produktions-, Distributions- und Kommunikationsprozesse umzusetzen. Spätestens wenn die Altsysteme auch beim besten Willen nicht mehr den Marktprozessen und den Anforderungen an Transparenz entsprechen, wird es Zeit, software-technisch noch mal von vorne anzufangen.

Das wird der Moment sein, in dem Cloud-Computing auch im ERP-Umfeld seinen Durchbruch erlebt. Schon heute ist bei weltweit tätigen Unternehmen der Unterschied zwischen Cloud und Hosting im Prinzip kaum noch auszumachen – außer in der Frage, wer nun der Eigentümer der Infrastruktur ist. Das aber hat derzeit durchaus rechtliche Konsequenzen, wie die Debatte um NSA-Auslieferungsanträge für gespeicherte Daten, die auf von US-amerikanischen Unternehmen betriebenen Servern residieren, zeigt. Es hat aber auch Konsequenzen in der Frage, wer für die erheblichen Kosten fürs Systemmanagement aufkommen soll. Derzeit, so geben die globalen CIOs in Studien immer wieder zu Protokoll, fressen die Verwaltungsaufgaben bis zu drei Viertel des gesamten IT-Budgets. Schön, wenn sich das demnächst in die Cloud verflüchtigen würde.

Die Cloud ersetzt nicht den Mainframe, sondern die Software, die derzeit darauf läuft. Denn auch in den Data Centern der Cloud Provider wird mit Größtrechenanlagen gearbeitet – für viele Tausend Kunden gleichzeitig. Ein Mainframe in der Cloud ist immer noch ein Mainframe. Er ist nur irgendwie in die Wolken davongeflogen.