Anne Will: Angela Auch

Es ist, als wäre der diesjährige IT-Gipfel so etwas wie der Bundestagswahlkampf im Kleinen gewesen. Sogar im ganz besonders Kleinen: im Saarland nämlich, wo die Ministerpräsidentin Annegret Kramm-Karrenbauer dafür ausgezeichnet wurde, dass in ihrem Bundesland ein MINT-frischer Atem durch die Schulen weht. MINT – dies sei für alle bildungsfernen Leser erklärt – fasst die Bildungsbereiche zusammen, die angeblich für unser Land so zukunftsversprechend sind: also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. – Als wenn Wirtschaftswissenschaften, Ethik, Geschichte, Sprachen und Soziologie nicht ebenso wichtig wären für eine Gesellschaft, die auf gemeinsame Werte setzt statt auf gemeine Worte.

Nun ist dies ja kein allgemeinpolitischer Blog, sondern ein Meinungsbeitrag zur Informationswirtschaft. Und die hatte vergangene Woche mit dem Gipfeltreffen aus Digitalpolitik und IT-Wirtschaft ihr alljährliches Hochamt – zum zehnten Mal innerhalb von elf Jahren. Einmal, 2013, fiel der Gipfel, wenn man so will, ins Wasser, weil die Bundestagswahl eine komplizierte Gemengelage hinterlassen hatte und die Koalitionäre mit sich selbst beschäftigt waren statt mit der Digitalen Agenda. 2017 soll dies nicht so sein, kündigte die Bundeskanzlerin an – denn schon im Juni werde man sich bei den dann zum Digitalgipfel umgetauften „Plattform-Gesprächen“ um das Thema eHealth kümmern.

Wer es hören wollte, konnte da schon wahrnehmen, was die Kanzlerin schließlich am Sonntag um 19 Uhr vor der Bundespressekonferenz und dann ab 21:45 Uhr bei Anne Will verkündete: Sie tritt noch einmal an. Und irgendwie hegt kaum jemand Zweifel, dass es ein „Merkel 4.0“ auch tatsächlich geben wird.

Sie wäre die Kanzlerin des langen Atems, die nicht nur die Finanz-, Euro und Schuldenkrise weggeatmet hat und nun die Wertekrise der westlichen Welt beatmen soll. Sie will auch ein Lebenswerk als Digitalkanzlerin vollenden und die Deutschen in die Gigabitgesellschaft führen. Begonnen hat sie damit in Saarbrücken, wo das Thema Bildung in Schule und Beruf im Mittelpunkt stand. Angefangen beim mit fünf Milliarden Euro ausgestatteten Digitalpakt bis zum angekündigten Weißbuch zur Arbeitswelt 4.0 sollen die Deutschen auf lebenslanges Lernen ausgerichtet werden. Bildung soll digitaler werden und vor allem individueller.

Und nun also das Gesundheitswesen. Die Einführung der digitalen Patientenkarte, an der bis heute kaum etwas wirklich digital ist, sei ein Beispiel dafür, wie Digitalprojekte nicht laufen sollen, sagte Angela Merkel. Das dürfte durchaus selbstkritisch gemeint sein, denn als Kanzlerin hat sie elf Jahre der 15jährigen Leidensgeschichte der Gesundheitskarte mit verantwortet. Es sei das Vertrackte mit der Digitalisierung, dass sie eben auch mehr Transparenz schaffe, die nicht jeder wolle, erklärte die Kanzlerin die Hemmnisse.

Aber so vertrackt wird es weiter gehen: der Digitale Wandel unserer Gesellschaft wird zu mehr Transparenz, zu mehr Einsicht durch Durchsicht auf allen Ebenen, in allen Branchen und Lebensbereichen führen. Deshalb müsse man auch den Grundsatz der Datensparsamkeit überdenken. Denn allzu viel Datenschutz behindere das „Big Data Management“, wie die Kanzlerin es nannte.

Nie war ein IT-Gipfel so politisch wie dieser. Die Bundesregierung war so zahlreich vertreten, dass das Kabinett in Saarbrücken beschlussfähig gewesen wäre. Aber Beschlüsse wurden nicht gefasst – dazu ist der IT-Gipfel auch nicht da. Er ist ein großer Abstimmungsmarathon zwischen Wirtschaft und Politik. Er ist so etwas wie der Herbst-Anker zur Frühjahrs-CeBIT, ein Leistungsnachweis beim Abarbeiten der Digitalen Agenda. Und die ist lang genug. Beim Umgang mit dem Digitalen Wandel steht Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel. Dafür sind alle Anstrengungen gerade gut genug. Ein auf den Weg gebrachtes „Deutschland 4.0“ wäre der krönende Abschluss einer dann 16jährigen Kanzlerkarriere.

 

Survival of the Fittest

Die Fitness-Welle, die seit den „Trimm-Dich“-Spielen der goldigen Siebziger Jahre so manchen merkwürdigen Zeitvertreib von Aerobic über Zumba bis Piloxing hervorgerufen hat, verspricht ihren schuftenden, schwitzenden Anbetern körperliche Schönheit und dadurch Lebensverlängerung. Und wer verspicht, andere „fit für die Zukunft“ zu machen, der lässt Bilder von einem agilen Geist in schönen Körpern entstehen. Wer wollte das nicht wollen? Tatsächlich aber dachte der Sozialphilosoph Herbert Spencer, auf den der später durch Charles Darwin berühmt gewordene Begriff vom „Survival of the Fittest“ zurückgeht, gar nicht an Stärke oder Agilität, sondern an eine größtmögliche Anpassung an die äußeren Umstände. „Fit“ ist nicht der Stärkere, so erkannten beide bei der Beobachtung der Evolution, sondern der, der sich auf seine Lebensumstände am besten einzustellen versteht. Das Dasein mag so armselig sein wie das einer Amöbe – aber es zahlt sich aus…

Dass sich diese Erkenntnis auch auf das Wirtschaftsleben ausdehnen lässt, hat schon seit jeher die Beratungsbranche belebt, die besondere Fitness-Trainings fürs Manager und Trendscouts im Angebot hat. Dabei geht es immer weniger um den „Kampf ums Dasein“, sondern vielmehr um den Kampf ums Dableiben. Gründen ist leicht im Vergleich zum Überleben! Das beweist bereits ein Blick auf die Fortune500-Liste, den das American Enterprise Institute veröffentlich hat. Danach waren nur noch 61 Unternehmen, die die Liste der 500 umsatzstärksten Unternehmen vor 60 Jahren aufgeführt hatte, auch 2015 noch dabei – darunter Konzerne, die zahllose Häutungen hinter sich haben wie IBM und General Electric.

Mehr noch: Auf der Basis von Unternehmensdaten aus über 100 Jahren hatte das Marktbeobachtungsunternehmen Innosight schon zuvor die 500 im Standard & Poor´s Index aufgeführten Konzerne untersucht und erstaunliches zu Tage gefördert: Vor 60 Jahren hatten die Unternehmen eine Lebenserwartung von durchschnittlich 60 Jahren, das heißt: über diesen Zeitraum waren sie im S&P-Index aufgelistet. 1980 war die Lebenserwartung schon auf 20 Jahre zurückgegangen. Heute liegt sie durchschnittlich bei zwölf Jahren.

Die Firmen waren ausgelöscht, übernommen worden oder geschrumpft, weil sie sich den neuen Lebensumständen nicht länger anpassen konnten. Sie waren eben nicht „fit für die Zukunft“. Und dabei verlangt die Firmen-Fitness immer häufiger und immer konsequenter nach Neuausrichtung. Die disruptive Kraft der neuen Technologien, die nach der Massenproduktion erst eine Consumer-Orientierung und heute eine Consumer-Zentrierung verlangen, die auf „Losgrößen 1“, volldigitalisierte Geschäftsprozesse und agile Geschäftsmodelle hinausläuft, nimmt an Macht immer weiter zu. Besonders deutlich wird dies überall dort, wo Vernetzung und Digitalisierung „altem Eisen“ neues Leben einflößt: im Automobil- und Maschinenbau, im Einzelhandel, im Gesundheitswesen zum Beispiel. Und hier zeigt sich ein Clash of Cultures zwischen Neureichen und „altem Geld“. Siemens, Bosch, Daimler, BMW und Co. bemühen sich darum, die neuen Herausforderungen durch die alten Strukturen zu leiten, während Google, Facebook und Amazon Zug um Zug neue Betätigungsfelder für sich erobern. Wer dort der Fitteste ist, wird sich nicht an der Größe entscheiden, sondern an der Fähigkeit zur Anpassung.

Das ist die gute Nachricht für den deutschen Mittelstand. Ihm fehlt es zwar durchaus an Größe im Vergleich zu den Elektro- und Internet-Giganten. Aber seine Anpassungsfähigkeit ist legendär. Der Mittelstand sollte daraus sein Fitness-Programm für die Zukunft zusammenstellen.

 

 

Beim Häuten der Zwiebel

Jetzt nur mal angenommen, es gäbe ein World Wide Web, in dem niemand unsere Profile ausspioniert und an Dritte weiter verkauft, in dem wir nicht durch Spams zugemüllt werden und über das wir Informationen total sicher, weil automatisch verschlüsselt austauschen können. Gibt’s nicht? Gibt’s doch! Es hat nur einen schrecklich blöden Namen: Darknet.
Wer diesen Namen hört, wähnt doch gleich den Gottseibeiuns mit seinen dunklen Machenschaften dahinter. Und tatsächlich ist das Darknet auch der Hort böser und illegaler Aktivitäten, wie wir seit den Anschlägen von München und Ansbach wissen. Aber, so sagen die, die sich mit der dunklen Seite der Machenschaften auskennen, illegaler Waffenhandel, Drogendeals, Geldwäsche und Pornographie machen zusammen genommen kein Fünftel der Netzaktivitäten im Darknet aus. Und das, obwohl mehr als 50 Prozent der dort eingetragenen Webseiten einen illegalen Hintergrund vermuten lassen.
Aber tatsächlich ist mehr als die Hälfte der Kommunikation im Schattennetz privater Natur, bei der die Nutzer lediglich besonderen Wert auf Anonymität legen. Dafür gibt es viele gute Gründe: nicht nur Dissidenten, Whistleblower oder Polit-Aktivisten nehmen hier Kontakt auf. Mehr und mehr werden Anfragen zu medizinischen Themen über das Darknet gestellt. Kein Wunder: der Markt mit Gesundheitsdaten boomt seit langem. Im „Lightnet“, also dem World Wide Web, kann man hingegen keineswegs sicher sein, dass die Informationen, die Hilfesuchende in Medizinportalen preisgeben, nicht doch irgendwo auf der Datenbörse landen.
Erreicht wird diese Anonymität dadurch, dass – wie bei einer Zwiebel – der Nachrichtenfluss automatisch verschlüsselt und über mehrere Server und Länder geleitet wird, bis der Benutzer nicht mehr rückverfolgbar ist. Die Zwiebel-Analogie stand auch Pate für die Zugangssoftware TOR, oder: The Onion Router, die genau das leistet – nämlich Nachrichten verschlüsseln und von Zwiebelschicht ist zu Zwiebelschicht weiterleiten.
Damit wird genau jene Sicherheit erreicht, die wir uns für das Internet im Allgemeinen und für das Internet der Dinge im Besonderen wünschen sollten.
Warum sollte also im eCommerce diese Anonymität, diese Transaktionssicherheit, dieser Komfort nicht obligatorisch sein. Warum sollten Maschinen ihre Daten nicht so sicher austauschen, wie es für Machenschaften offensichtlich Standard ist. Um nicht missverstanden zu werden: nicht den Illegalen wird hier das Wort geredet, sondern den Mechanismen, die sie nutzen. Die Häute der Zwiebel bieten die Transaktionssicherheit, die gerade für den legalen Verkehr in Wirtschaft und Gesellschaft geboten wäre. Das Darknet ist einfach zu gut, als dass wir es den Kriminellen überlassen sollten.

PS: vielen Dank an den seligen Günter Grass für die Anregung zu diesem Blog-Titel.

Microsoft lernt das Alphabet

Eric Horvitz und Ryen White, zwei Wissenschaftler in Diensten von Microsoft, haben jetzt in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Journal for Oncology Practice“ berichtet, dass sie in der Lage sind, anhand von an Bing gestellten Suchanfragen einen drohenden Bauchspeicheldrüsenkrebs vorherzusagen. Dabei gelang ihnen die Früherkennung anhand von Suchbegriffen wie „Appetitlosigkeit“, „Blähbauch“, Juckreiz“ oder „heller Stuhl“ in bis zu 15 Prozent der Fälle. Mindestens ebenso wichtig: Nur einmal in 10.000 Fällen stellten sie eine Fehldiagnose. Mal abgesehen von der Frage, wie wir es ethisch bewerten, wenn bei einer harmlosen Anfrage plötzlich ein Popup mit dem Hinweis: „Bitte kontaktieren Sie sofort Ihren Hausarzt“ auftauchen würde, zeigt der wissenschaftliche Hinweis, wohin die Reise geht, wenn wir Big Data, Social Media und Suchmaschinen intelligent miteinander verknüpfen.

Als gelernte Verschwörungstheoretiker wissen wir ja sofort, wie man unerklärbare Phänomene einzuordnen hat. Wir sehen sozusagen das große Ganze hinter dem Detail – oder andersherum das Detail hinter dem großen Ganzen. Ist aber auch jetzt egal. Deshalb ist für uns sofort klar, warum Microsofts CEO Satya Nadella so große Anstrengungen unternommen hat, der Welt den Kauf von LinkedIn und damit die Investition von satten 26 Milliarden Dollar zu erklären. Es geht überhaupt nicht um LinkedIn. Es geht um Microsoft, das sich auf den Weg zu einem Multimarken-Anbieter in der digitalen Welt begeben hat.

Und da ist Zeit Geld. Will sagen: Zeit kann man durch Geld erwerben – zum Beispiel, indem Microsoft Unternehmen hinzukauft, die auf dem Weg in die digitale Vernetzung von allem und jedem schon einen guten Zeitvorsprung haben. Und wo Steve Ballmer noch analog gedacht hat, beim Kauf der Telefonsparte von Nokia nämlich, denkt Nadella digital und vollvernetzt.

Es geht also keineswegs allein darum, dieses „fantastische Geschäft“ mit 19prozentigem Wachstum im jahresübergreifenden Vergleich weiter auszubauen, wie Satya Nadella betont. Wenn es sich „darum dreht, die beruflichen Profis zu verbinden“, soll die Integration mit Skype, Office365 und Dynamics CRM gute Dienste tun. Aber das wäre doch allein keine 26 Milliarden Dollar wert, oder? Nicht, wenn es allein darum ginge, über kurz oder lang mit Facebook gleichzuziehen.

Deshalb investiert Nadella in Lösungen für Preemptive Analytics, das heute schon für Feedback-gestützte Entwicklungsprozesse eingesetzt werden kann, morgen aber schon Einzug in praktisch alle Erkenntnis-orientierte Vorfälle eingebunden werden soll. Die Früherkennung von Krankheiten ist nur ein Beispiel. Analog auf die Maschinenwelt angelegt stehen auch vorausblickende Wartungsarbeiten auf dem Lösungsprogramm. Und im Umfeld von Industrie 4.0 wären auch vorauseilende Produktionsschritte denkbar: „ich weiß, dass demnächst ein weißes Dings bestellt wird, ich weiß nur noch nicht von wem.“

Im LinkedIn-Netzwerk steckt unglaublich viel Kompetenz. Der Wert liegt nicht bei der Lösung, sondern in dem Netzwerk und den professionellen Mitgliedern. Hier ist das soziale Netzwerk deutlich weiter als die SharePoint-Community. LinkedIn bietet aber nur wenige Möglichkeiten, nach dieser Business Competence auch effektiv zu suchen. Das kann die Suchmaschine Bing leisten, während die Sprachlösung Cortana zugleich als lernende Maschine dazu beitragen wird, dass auch komplexe Anfragen komfortabel bedient werden.

Während Cortana Business-Englisch lernt, lernt Microsoft das Alphabet. Die Redmonder werden unter Satya Nadellas Führung zu einem ähnlich wie Google aufgestellten Multi-Media-Marken-Molloch, dessen Kernkompetenz der Produktivität betrieblicher Mitarbeiter und Organisationen ist. Deshalb wird langfristig auch das Zusammenspiel von Komponenten wie Bing, Cortana und den Backbone-Lösungen ERP und CRM vorangetrieben, die allesamt Träger großer Datenmengen sind.

Apples Siri, Googles Echo, IBMs Watson bekommen mit dem Microsoft-Deal Konkurrenz. Aber noch besser: Microsofts Wettbewerber sind auch Microsofts Kunden. Von Amazon bis Zalando setzen alle – ob sie wollen oder nicht – auf Microsoft-Lösungen, die das neue Alphabet mit Leben füllen.