Innovieren statt enervieren

Thomas Alva Edison, der spätere Gründer von General Electric, wird wohl weniger wegen bahnbrechender Entdeckungen gerühmt, als vielmehr dafür, dass es ihm ein Leben lang gelungen ist, aus Innovationen marktfähige Produkte zu kreieren. Deshalb zielt auch Edisons vermutlich wichtigstes Zitat nicht auf den plötzlichen Geistesblitz, sondern auf die harte Arbeit, die ihn aufleuchten lässt: „Genialität“, befand Edison vor 111 Jahren, „ist zu einem Prozent Inspiration und zu neunundneunzig Prozent Transpiration.“

Das klingt nach Kärrner-Arbeit, nach freudlosem Forscherleben, nach Erbsen-Zählen und Steine-Schleppen im Sisyphos-Stil. Es klingt, um einmal tief in die Kiste der gängigen nationalen Vorurteile zu greifen, „typisch deutsch“. Und das ist gar nicht mal so verkehrt.

Im hierzulande so bewunderten Lifestyle des Silicon Valley entsteht Transpiration, so die landläufige Meinung, vor allem aus dem unbarmherzigen Sonneneinfall. Die Karrieren, über die uns jede Woche in Magazinen, Blogs und Managementseminaren berichtet wird, scheinen hingegen nahezu ausschließlich durch das eine Prozent Inspiration befeuert zu sein. Das Tal der Unbegrenzten Möglichkeiten zeigt uns am Beispiel von Apple, Google et al., wie Innovation geht. Egal, was dort ins Leben gerufen wird – am Ende kommt immer ein Weltkonzern dabei heraus.

Mit diesem Bild räumt jetzt der renommierte Innovationsforscher Dan Breznitz von der Munk School of Global Affairs in Toronto auf – und feiert mit den neunundneunzig Prozent Transpiration vor allem deutsche Tugenden. Die deutsche Wirtschaft – und nicht zuletzt der deutsche Mittelstand – nutze Innovationen vor allem, um bestehende Industrien weiter zu entwickeln, schreibt er in seinem Buch „The Third Globalization: Can Wealthy Nations Stay Rich in the Twenty-First Century?“. Das sei der Grund, warum im Maschinen- und Automobilbau die marktführende Stellung deutscher Unternehmen über Jahrzehnte (und mehrere Technologiezyklen hinweg) erhalten geblieben sei. Die Digitalisierung der Fertigungsprozesse – also die Innovationen unter dem Stichwort Industrie 4.0 oder Internet der Dinge – sind dafür Beispiele. In den USA hingegen, so Breznitz, werden Innovationen vor allem genutzt, um neue Märkte zu schaffen und dann zu besetzen.

So schaut jeder mit Neid auf das grüne Gras des Nachbarn. Während es die Deutschen den US-Amerikanern neiden, dass sie Welten erobern, die es vor ihrem Eroberungsfeldzug noch gar nicht gab, ist es die Fähigkeit zur permanenten Selbsterneuerung, die den Nordamerikanern an den Deutschen Respekt abnötigt.

Der Unterschied wird noch durch das Selbstverständnis der Finanzierungsstrategen in beiden Ländern verstärkt. Während Investoren in den USA bereitwillig in Risiko-Innovationen investieren, deren Erfolg unsicher, deren Gewinn im Erfolgsfall aber exorbitant sein kann, setzt die deutsche Innovationsförderung auf Detailverbesserungen und das Ausklammern größerer wirtschaftlicher Risiken.

Die Folgen zeigten sich auf dem Arbeitsmarkt, meint Breznitz. Während in Deutschland Innovationen zum Erhalt von Arbeitsplätzen führen – allerdings unter Stärkung der Qualifikation und der Effektivität, dienen sie in Nordamerika vornehmlich der Abschaffung von Arbeitsplätzen. Damit geht freilich ein deutlicher Wandel in der Beschäftigtenstruktur einher. Niemals, meint Breznitz, komme in den USA ein ausstudierter Software-Entwickler auf die Idee, bei einem Automobilhersteller anzuheuern. In Deutschland dagegen sind die größten Softwarehäuser (nach SAP, natürlich) die internen Entwicklungsabteilungen von Siemens, Bosch, BMW, Mercedes-Benz oder der vielen mittelständischen Automobilzulieferer und Maschinenbauer. Während also die Welt mit Google durchsucht wird, wird sie mit Produkten (aus China) überschwemmt, die überwiegend auf deutschen Maschinen produziert wurden.

Es ist ungefähr das, was der französische Ökonom, Präsidentenberater und Buchautor („Kapitalismus im 21. Jahrhundert“) Thomas Piketty seinen deutschen Nachbarn im europäischen Kontext vorwirft – nämlich „hemmungslose Effektivität“. Es gibt schlimmere Urteile.

Dann also doch lieber neunundneunzig Prozent Transpiration? Vielleicht. Als Warnung mag Sisyphos dienen, der als Strafe für seine Genialität – er widersetzte sich mehrfach erfolgreich dem Todesurteil der Götter – eine endlos nutzlose Arbeit verrichten musste (oder wohl noch verrichten muss). Vergebliches Steine-Schleppen mit eigener Muskelkraft ohne jede Aussicht auf Prozessinnovation – enervierender konnte die Strafe nicht ausfallen.

Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war…

„Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben“, gestand der feinsinnige Albert Einstein, der zugleich feststellte, dass Gleichungen für die Ewigkeit gemacht sind (also auch für die Zukunft). Politik dagegen schaue nur auf die Gegenwart. Der vollmundige John Chambers, Chef des Netzwerkausrüsters Cisco, hat letzte Woche eine solche Gleichung für die Ewigkeit gefunden und musste sich gleichzeitig mit einem äußerst gegenwärtigen politischen Problem auseinandersetzen…

Die Gleichung, die Chambers als Keynote-Speaker auf seiner Hausmesse in San Francisco aufstellte, besagt, dass von den derzeit führenden globalen IT-Ausrüstern in den nächsten fünf Jahren nur drei überleben werden. Wobei man zugeben muss, dass diese Aussage so falsch nicht sein kann, denn relativ gesehen wird es naturgemäß immer drei geben, die das Spitzentrio bilden.

Diese „Spezielle Relativitätstheorie der globalen Dominanz“ ergänzte Chambers dann auch um eine „Allgemeine Relativitätstheorie“, in der er postulierte, dass diese Entwicklung für alle Branchen gelte. Auch das wird so falsch nicht sein, angesichts der allgemeinen Tendenz innerhalb der Top Ten einer jeden Branche, sich gegenseitig aufzukaufen. Vor allem in der Pharma-Industrie, der Elektronikbranche und im Anlagenbau ist dies derzeit zu beobachten. Und überall gilt zudem: Wer nicht innoviert, wird nivelliert.

Dabei ist die Digitalisierung der Geschäftsprozesse – ob wir es nun Industrie 4.0, Internet of Everything oder Big Data Analytics nennen – in der Tat eine derart fundamentale Innovation, dass sich jeder Player in jeder Branche neu orientieren muss. Wer sich nicht nach ihr ausrichtet, ist schnell im Digital der Tränen. Deshalb ist das Innovieren auch heilsamer als Fusionieren.

Wer wüsste das besser als die alten Haudegen der IT-Branche – IBM, HP, SAP, Oracle, Microsoft, Apple und (einverstanden!) Cisco. Sie alle haben schon viele Blogs damit gefüllt, dass sie sich kontinuierlich und gekonnt immer wieder neu aufstellen und so disruptiv neu erfinden. Sie tun es auch gegenwärtig. Chambers ergänzte seine Theorie jedoch um ein Menetekel, indem er die Quartalsverluste von IBM und HP an die Wand malte. Seine Justitiare werden ihn daran gehindert haben, IBM und HP eine Negativbewertung zu attestieren. Aber genau das wollte er offenbar. Dabei übersieht Chambers: Beide Unternehmen hatten sich bereits mehrfach gehäutet, als Cisco überhaupt erst das Licht der Welt erblickte. Nur: Die Leistungen der Vergangenheit kann man nicht auf die Zukunft einklagen, man muss sich immer wieder neu beweisen. Die Adaption der Digitalen Zukunft haben insofern alle noch vor sich.

Und dies gilt in der Tat für alle Branchen: Wie sich Siemens neu aufstellt, Bosch plötzlich seine mit Siemens geteilten Hausgeräte wieder sexy findet, weil die Hausvernetzung eben auch zum Internet of Everything gehört, sind Lehrstücke des Neu-Sich-Entdeckens, denen wir live beiwohnen dürfen. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens, der Logistik, der Publizistik und vieler anderer Branchen findet parallel dazu statt. Und am Ende gilt auf jeden Fall die Chambers-Hypothese: Es wird immer drei geben, die auf Treppchen kommen.

Ob Cisco auch dazu gehört? Chambers ist davon überzeugt, dass – vorausgesetzt man wird so leicht und einfach wie Apple – die Digitalisierung der Geschäftsprozesse einen globalen Ausrüster für die Vernetzung von Everything benötigt. Ob es tatsächlich Cisco sein wird, hängt unter anderem davon ab, ob Cisco sich des Konkurrenzmodells von VMware, nämlich der Billig-Vernetzung unter dem Kürzel SDN (software-definiertes Netz) erwehren kann, indem es zum Beispiel mit einem Alternativ-Angebot rüberkommt. Das wäre dann aber nicht Innovation, sondern Imitation.

Dass Chambers die Ellison-Nummer gibt und wie der Oracle-Chef die gesamte Konkurrenz erst einmal in Grund und Boden redet (mit Ausnahmen von Apple immerhin), dürfte mit einer handfesten Krise der Gegenwart zu tun haben, von der es abzulenken gilt – jedoch nicht in diesem Blog:

Glen Greenwald, der Verwalter und Verwerter der Snowden-Dokumente, behauptet in seinem Buch „No Place to Hide“, dass die NSA Cisco-Produkte abfängt, um Hintertüren zum Ausspähen der Kommunikation einzubauen. Ähnliche Vorwürfe sind auch über Huawei und die chinesischen Behörden zu lesen. Das Beweisstück, zwei Fotos, die im letzten Monat durchs Internet tickerten, nahm Chambers jetzt zum Anlass, US-Präsident Obama einen Klagebrief zu schreiben: „Wir können so einfach nicht arbeiten…“, schreibt er. Eine Antwort des Präsidenten steht noch aus, sie wird aber auch nicht direkt mit Spannung erwartet. Ärger mit den Behörden – auch da können IBM und HP ein Lied singen. Auch da hilft nur ein Mittel: Innovation. Sonst ist die Zukunft echt nicht mehr, wie sie einmal hätte gewesen sein können.

Vereinigte Taten von Europa

Erst wohnte die Kanzlerin der Zustimmung für den „eigenständigen Antrag“ des CDU-Verbands Rheinisch-Bergischer Kreis bei, nach dem die Union sich nunmehr dafür einsetzen will „dass die Zeitumstellung in Europa abgeschafft wird und zukünftig wieder eine einheitlich ganzjährige Zeit gilt“, – dann brach sie nach Hannover auf, um dort die nächste europäische Zeitenwende auszurufen: Die Rückgewinnung der Innovationsführerschaft in der Informations- und Kommunikationswelt.

Die soll vor allem durch die Digitalisierung der Fertigung erreicht werden. Und durch mehr Datensicherheit. Und durch die Umsetzung der Energiewende. Für alle drei Einsatzgebiete werden vor allem intelligente Lösungen gesucht – und erste Exponate sind auf der Hannover Messe Industrie im April, dem 4.0ten Monat des Jahres, zu sehen: Dort gibt es Maschinen, die mit den Werkstücken kommunizieren und dann den nächsten Arbeitsschritt auswählen. Auf diesem Weg zur Einzelfertigung werden die Automaten auch in der Lage sein, eventuell benötigte Werkzeuge oder Materialien anzufordern, mit den vorgelagerten und nachgeordneten Arbeitsstationen zu kommunizieren und damit zu neuer Flexibilität im Herstellungsprozess kommen. Und zu sehen sind auch erste intelligente Verteil- und Speichernetze, die dabei helfen können, Strom dann und dort zur Verfügung zu stellen, wann und wo er gebraucht wird. Neue Apparate, mit denen Strom gespart werden kann, werden in Hannover ebenso gezeigt wie effizientere und günstigere Maschinen, mit denen Strom erzeugt wird.

Die Europäer denken diese Innovationen von der Maschine her – dort wo das Ingenium des Ingenieurs fürs Drehen, Fräsen, Bohren, Spanen, kurz für Handhaben mit bestem Erfolg eingesetzt wird, sollen Software und die Vernetzung nun den nächsten Innovationsschub bringen. Das ist eine sehr deutsche Vorgehensweise, von der nun ganz Europa profitieren soll – allen voran die Briten (Gastland auf der CeBIT) und die Niederländer (Gastland auf der Hannover Messe). Alleingänge soll es auch bei der Energiewende und der Datensicherheit nicht geben. Die Vereinigten Taten von Europa zusammen mit den Vereidigten Daten von Europa – das ist die politische Vision.

Da überrascht es ein wenig, wenn die fürs Zaudern und Aussitzen bekannte Bundeskanzlerin ausgerechnet zur Eröffnung der Industrie-4.0-Messe die Wirtschaft ermahnt, hier nun mal endlich in die Schuhe zu kommen und zu liefern. Zwar habe man hierzulande in der Fertigungsautomation einen Vorsprung von knapp zwei Jahren. Doch gleichzeitig besteht ein massives Defizit in der Informations- und Kommunikationstechnik. Fähigkeiten und Fertigkeiten, für die Europa einmal gestanden hat, müssen zurückerlangt, Meinungs- und Marktführerschaften zurückgewonnen werden.

Dabei sind die Anstrengungen schon dann gewaltig, wenn es nur darum ginge, die jetzige starke Position zu halten. 90 Prozent des Wirtschaftswachstums entwickeln sich außerhalb Europas, mahnt die Kanzlerin. Mehr als zehn Prozent der Aussteller in Hannover kommen aus China – nach Deutschland das zweitstärkste Ausstellerland. Und in den USA werden derzeit im großen Stil marode Industrielandschaften erneuert – unter dem Primat der vernetzten Software.

Die Anstrengungen lohnen sich, wie der Bitkom zur Industrie-4.0-Messe ausrechnete: Produktivitätssteigerungen von 78 Milliarden Euro seien in den sechs hierzulande wichtigsten Industriezweigen innerhalb der nächsten Dekade drin, heißt es. 2025 soll dann beim Auto- und Maschinenbau, in der Chemie, der Elektro- und ITK-Branche sowie in der Landwirtschaft eine Wertschöpfung von 422 Milliarden Euro erreicht werden.

Das ist schön, aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die, dass es den Europäern gelingen sollte, mit der Fertigungsdigitalisierung auch die weltweiten Standards zu setzen. Das hat nicht nur etwas mit Marktmacht zu tun, sondern auch mit der Durchsetzung der Sicherheitsstandards, die in Europa erwünscht, in der Welt bislang aber vernachlässigt werden. Es muss vermieden werden, dass künftig nicht „nur“ Kanzler-Handys ausgespäht werden, sondern Fertigungs-Knowhow direkt von der Maschine abgegriffen werden kann.

Tatsächlich investieren vor allem China und die USA massiv in die Aufholjagd um Industrie 4.0. Sie werden das Rennen sicher nicht verlieren – schon allein der großen nationalen Märkte wegen, die sie mit eigenen Lösungen versorgen können. Europa kann und wird hier nur mithalten, wenn mehr Gemeinsamkeit gelingt, wenn Taten und Daten im europäischen Kontext gesehen werden.

Insofern stehen auch Industrie 4.0, auch die intelligent umgesetzte Energiewende und nicht zuletzt die Datensicherheit im Internet zur Wahl, wenn wir am 25. Mai an die Urnen gehen. Nationale Alleingänge wären ein sicherer Schritt in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit – egal welche Zeit dann gerade gilt.

Endlich ein Politikum

Es ist schon absonderlich: das Internet ist 45 Jahre alt, das WWW 25 – aber erst jetzt rücken die Herausforderungen der Digitalisierung in den Mittelpunkt des Regierungsinteresses. Mindestlohn, Rentenalter, (Steuer)Schulden, ja sogar Autobahn-Maut und Kita-Plätze haben jahrelang die innenpolitische Agenda bestimmt. Erst jetzt – angesichts zunehmender Entfremdung gegenüber den dominanten US-amerikanischen Herstellern und ihrer Bundesbehörden – wird der Politik deutlich, wie sehr Wirtschaft und Gesellschaft vom „Netz der Netze“ abhängig sind.

Und plötzlich stehen Infrastruktur und Sicherheit einer digitalisierten Welt ganz oben auf der politischen Agenda – kurz Digitalen Agenda, für die in Deutschland ein allerdings auffällig schweigsamer Bundesverkehrsminister zuständig zeichnet. Auf der – wahrscheinlich auch relevanteren – europäischen Ebene geht es seit geraumer Zeit nicht nur agiler, sondern auch prominenter zu. Einen „Weckruf der NSA-Affäre“ nannte es jüngst Neelie Kroes, als Vize-Präsidentin der EU-Kommission zuständig für die Digitale Agenda, was künftig unter dem Rubrum der Internet-Sicherheit zu einem Wettbewerbsvorteil für Europa werden könnte. Europa, so meinte die EU-Kommissarin auf der CeBIT in Hannover, müsse seine Ambitionen deutlich verstärken.

“Die EU ist Anfang 2013 mit einer Strategie für Cybersicherheit und der Richtlinie zu Netzwerk- und Informationssicherheit auch gesetzgeberisch tätig geworden. Ein freiwilliger Ansatz ist nicht mehr genug”, sagte Kroes und knüpft daran die Hoffnung, noch in diesem Jahr eine Einigung zwischen den Regierungen und EU-Parlament zur Richtlinie zu erreichen. Doch dann ist erst der Rahmen geschaffen, in dem nationale Politik und die Wirtschaft aktiv werden können. Die Rechnung lautet simpel, ist aber anspruchsvoll: Mehr Sicherheit bedeutet mehr Vertrauen, mehr Vertrauen bedeutet mehr Geschäft, mehr Geschäft bedeutet mehr Innovationen.

Es wäre in der Tat neu, wenn nicht die Technologie, sondern die Ethik zur treibenden Kraft eines wirtschaftlichen Aufschwungs führen würde. Aber warum auch nicht angesichts niederschmetternder Umfragezahlen: 60 Prozent der Deutschen bekunden Bedenken gegenüber US-Providern. Skeptisch sind Privatpersonen, aber auch Firmen aller Größenordnung: Der BITKOM hat über seinen Research-Arm ermittelt, dass ein Viertel der befragten Unternehmen die Cloud-Aktivitäten entweder noch in der Planungsphase zurückgestellt oder aber schon wieder aufgegeben hätten. US-Anbietern gehen nach Einschätzung der gemeinnützigen Information Technology and Innovation Foundation 35 Milliarden Dollar an Cloud-Umsatz durch die Lappen.

Der Schock sitzt auch im Jahr Eins nach Snowden tief – und er sitzt tiefer in Europa als weltweit. Es wäre allerdings ein absolutes Novum, wenngleich begrüßenswert, wenn erstmals aus einem Technologieschock ein Innovationsschub erwachsen würde. Der klassische Reflex hingegen ist zunächst einmal mehr Reglementierung. Danach klingt auch zunächst einmal die geplante EU-Richtlinie zur Netz- und Informationssicherheit (NIS).

Doch im Detail könnte Hoffnung auf Erneuerung keimen. Zu den fünf NIS-Prioritäten gehört auch die „Entwicklung der industriellen und technischen Ressourcen für die Cybersicherheit“. Neue Systeme zur Verteidigung gegen Cyberangriffe, zur Verschlüsselung und zum Schutz gegen Cyberkriminalität könnten in der Tat eine konjunkturelle Wirkung erzielen. Methoden zur Stärkung von Qualität und Sicherheit, wie sie in anderen Bereichen – zum Beispiel im Gesundheitswesen – längst üblich sind, sollten ebenfalls zur Entwicklung und Festigung eines ganzen Wirtschaftszweigs beitragen: „Betreiber kritischer Infrastrukturen in bestimmten Bereichen …, Betreiber zentraler Dienste der Informationsgesellschaft …, und öffentliche Verwaltungen müssen Risikomanagementmethoden einführen und große Sicherheitsvorfälle in ihren Kerndiensten melden“, heißt es in der NIS-Richtlinie. Am Ende steht die Hoffnung auf ein Qualitätsprodukt Made in Europe.

Je stärker der deutsche Mittelstand auf die Digitalisierung seiner Fertigung im Sinne von „Industrie 4.0“ setzt, je intensiver Organisationen und Unternehmen soziale Medien zur Kommunikation mit ihrem Markt oder ihrer Klientel benutzen, je mehr Daten wir dem Internet und der Cloud anvertrauen, umso mehr Sicherheit benötigen wir.

Die CeBIT 2014 markiert insofern gewissermaßen einen Wendepunkt in der Art und Weise, wie wir über Internet-Technologien und Internet-Geschäftsmodelle denken. Plötzlich wiegen ethische Werte ebenso schwer wie Function and Features. Das Internet ist endlich ein Politikum.