Liebesgrüße aus Moscone

Es ist irgendwie ein Treppenwitz der IT-Industrie, dass ausgerechnet zum 40. Geburtstag von Apple das legendäre Moscone Center in San Francisco schon ausgebucht ist – durch Microsofts Entwicklerkonferenz BUILD. Dabei hat das Moscone Center so ziemlich jede Innovation gesehen, die Apple zum wertvollsten Unternehmen der Welt gemacht hat. Hier hat Steve Jobs seine legendären Ankündigungen mit dem berühmtesten Halbsatz der IT-Geschichte präsentiert: „…und dann noch eine Sache:…“

Microsofts CEO Satya Nadella hat jetzt auf der BUILD sich nicht „mit noch einer Sache“ begnügt, sondern so ziemlich nach jedem Technologie-Luftballon gezielt, der derzeit am Megatrend-Himmel zu beobachten ist: Virtuelle Realität, Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge – für all diese Multimilliarden-Märkte der Zukunft will Microsoft ein Infrastrukturangebot unterbreiten, das auf den beiden Eckpfeilern der „Cloud First, Mobile First“-Strategie beruht, die seit fast zwei Jahren die Entwicklungsrichtung für Microsoft vorgibt. Microsoft war noch nie so breit aufgestellt wie jetzt.

Apple war noch nie so breit aufgestellt wie jetzt am Ende der vierten Dekade seines Bestehens. Und dennoch wirkt das Unternehmen aus Cupertino geradezu eng fokussiert im Vergleich zu dem Redmonder Allüberall-Anspruch, der jetzt auf der BUILD im Moscone Center postuliert wurde. Dabei waren es der iPod, der iTunes Store, das iPhone, der iMac und das MacBook Pro, der Apple Store und schließlich der Apple Retail Store, die von den Ankündigungen im Moscone Center aus die Welt eroberten und Apple einen aktuellen Börsenwert von mehr als 600 Milliarden Dollar bescherten. Wäre Apple ein Staat, würde die Weltbank ihn auf Listenplatz 54 der reichsten Länder dieser Erde aufführen – Kopf an Kopf mit Neuseeland.

Dabei war vor zwei Jahrzehnten mit Apple nicht viel Staat zu machen. Auf der ersten Macworld Conference & Expo, die übrigens wie alle folgenden Macworlds gar nicht von Apple, sondern vom IT-Publizisten IDG veranstaltet wurde, musste Steve Jobs nach dem Rettungsreifen greifen, den Bill Gates ihm vom scheinbar unsinkbaren Microsoft-Mutterschiff ins kalte Wasser der Bay geworfen hatte. Die angeschlagene Apple Company war nach zahlreichen Flops und Management-Fehlern einen „Pakt mit dem Feind“ eingegangen. Der Auftritt von Bill Gates per Videoschalte wurde von den MacFans enthusiastisch ausgebuht.

Jetzt ist Bill Gates der reichste Mann der Welt, aber Apple das reichste Unternehmen der Welt. Sein Nach-Nachfolger, Satya Nadella, unternimmt nun alles, das allzu lange auf Wintel-Architektur fokussierte Unternehmen Microsoft wieder in die Mainstreams der IT-Welt zurückzubringen – und dort am besten gleich als Technologie- und Wortführer. Seit langem zeigen die Börsianer, dass sie auch bei Apple auf das nächste ganz große Ding warten – egal, ob virtuelle Realität, künstliche Intelligenz, autonomes Fahren oder Weareables mit neuen, körperoptimierenden Funktionen.

Auch unter dem Jobs-Nachfolger Cook hat Apple seine DNA nicht verloren, nach der es beste Firmenkultur ist, auf einen zwar noch nicht ausgereiften, aber in seiner Marktbedeutung erkennbaren Trend aufzuspringen und dabei eigene, bewährte Cash Cows zu opfern. Wir können damit rechnen, dass das fünfte Apple-Jahrzehnt mit so einem Knall beginnen wird. Das Moscone Center ist jedenfalls bereit für die nächsten Liebesgrüße.

 

Sag mir, wo die Jobs sind…

Irgendwie bleibt ein schaler Nachgeschmack nach diesem 46. World Economic Forum. Er entsteht nicht etwa durch den obszön hohen Mietpreis, den beispielsweise Microsoft für einen Tagungsraum direkt gegenüber dem Davoser Kongresszentrum zu zahlen bereit war. Auch nicht dadurch, dass das WEF trotz der immerhin 40 angemeldeten Regierungsvertretern weniger prominent besucht war. So hat sich die mächtigste Frau der Welt, Bundeskanzlerin Angela Merkel, in diesem Jahr vom Weltwirtschaftsgipfel ferngehalten.

Dennoch stand ein Merksatz von ihr irgendwie über dem gesamten Gipfeltreffen in 1500 Metern Höhe: Es sei Aufgabe einer Regierung, nicht permanent Fragen zu stellen und Sorgen zu artikulieren, sondern zu versuchen, Lösungen zu finden.

Das freilich schien in der vergangenen Woche nicht so einfach zu sein, angesichts der Herausforderungen, mit denen sich Politik und Wirtschaft im Jahr 2016 konfrontiert sehen: Unfrieden im Nahen Osten, Flüchtlinge in Europa, Terrorgefahr in der gesamten westlichen Welt, das drohende Ende eines solidarischen Europas einerseits. Und andererseits: hochnervöse Börsen, Zinswende in den USA, zögernde Erholung der Weltwirtschaft, krisengeschüttelte BRICS-Staaten. Nicht jedem Regierungs- und Unternehmensvertreter gelang es da letzte Woche, an den Herausforderungen vorbei die Chancen zu sehen.

Dazu wird Klaus Schwab als Gründer und Organisator des World Economic Forums durchaus selbst beigetragen haben, weil er die Diskussion um die nächstgrößte Herausforderung, die der vierten industriellen Revolution, die in Davos jeden Sitzungstag prominent auf der Agenda stand, mit einer Untersuchung befeuert hat, die weltweit einen Verlust von 7,1 Millionen Arbeitsplätzen voraussagt. Zu ihrem Ausgleich rechnen die WEF-Analysten zunächst lediglich mit 2,1 Millionen neuen Arbeitsplätzen.

Das ist freilich nicht allein den disruptiven Innovationen, wie sie in der Gentechnik, Nanotechnologie, Biotechnologie, Robotik, künstlicher Intelligenz oder auch des 3D-Drucks entstehen, anzulasten. Der globale demographische Wandel, das Aufkommen einer gebildeten Mittelschicht in den Schwellenländern oder die weiter voranschreitende internationale Verzahnung von Arbeitsprozessen, durch die Arbeitsplätze zunächst in andere Regionen abwandern, ehe sie eventuell ganz verschwinden, tragen ihr Scherflein zum weltweiten Jobschwund bei.

Dabei gibt es Unterschiede: in den USA beispielsweise sieht die Studie, die auf mehrere nationale Untersuchungen ähnlicher Art zurückgreift und zu einem globalen Trend extrapoliert, prozentual mehr Arbeitsplätze schwinden als in Deutschland. Hierzulande wird es eine Arbeitsplatzmigration geben – raus aus dem Automobilbau und rein in die Informationstechnik. Global gesehen werden insbesondere im Büro und in der Administration Arbeitsplätze verschwinden.

Der Kurssturz an der Jobbörse wird aber auch einen volkswirtschaftlichen Seiteneffekt für die entwickelten Industrieländer mit sich bringen. Der allgemeine Preisvorteil bei Arbeitskräften aus Schwellenländern verliert an Bedeutung, während die höherqualifizierten neuen Jobs vor allem in den entwickelten Ländern entstehen. Deshalb, so der allgemeine Optimismus, wird Deutschland durchaus zu den Gewinnern der vierten industriellen Revolution gehören.

Doch auch daraus werden sich wieder weltweite Verspannungen ergeben mit neuen Krisenherden und nachfolgenden Migrationswellen. Denn eines ist sicher: in einer immer mobileren Weltbevölkerung wird die Wanderbewegung immer in Richtung Arbeitsplatzchance gehen. Das muss keine düstere Prognose sein, wenn es gelingt, die Chancen der Migrationen zu nutzen. Insofern hat das World Economic Forum letzte Woche eine gute Diskussion losgetreten. Auch ohne die mächtigste Frau der Welt.

 

Wer bringt das nächste große Ding?

Eigentlich müsste sich Tim Cook genüsslich zurücklehnen. Mit insgesamt knapp zehn Millionen Dollar wurde Apples Vorstandsvorsitzender soeben fürstlich dafür belohnt, dass die iCompany sämtliche der gesteckten Ziele erreicht und ein Rekordjahr hingelegt hatte: 53,4 Milliarden Dollar Reingewinn bei 234 Milliarden Dollar Umsatz! Das ist ein Jahrhundertrekord!

Doch die Börse reagierte unwillig – der Apple-Kurs sank innerhalb von fünf Wochen um 18 Prozent und dümpelt nun um die 100 Dollar-Marke. Der Grund: die neuesten Freischaltzahlen rund ums Weihnachtsgeschäft lassen erkennen, dass sich das Interesse an iPhones verringert, nachdem auch die Verkaufszahlen für die Tablets schon zurückgegangen waren. Womit, so fragt man sich, will Apple im neuen Jahr so viel Geld verdienen, dass es zum Rekordjahr aufschließen kann?

Eine Frage, die Microsofts CEO Satya Nadella für seine Company vielleicht schon im zurückliegenden Jahr beantworten konnte. So gelang der Turnaround bei Windows, das mit der „10“ endlich wieder Kunden und Partner gleichermaßen zufriedenzustellen scheint. Selbst das totgeglaubte PC-Geschäft erlebt gegenwärtig ein zartes Revival. Hersteller wie Lenovo investieren nach eigenem Bekunden heftig in Windows 10-basierte Systeme, weil die Kundennachfrage endlich wieder steigt. Lenovo orientiert sich dabei an Produkten, die das Zeug zum nächsten Industriestandard haben: Microsofts Surface Pro 4 und Surface Book als Mittelding zwischen Tablet und Netbook. Sie bilden auch die Plattform für künftige dreidimensionale Anwendungen, die über den Virtual Reality Spezialisten Havok ins Microsoft-Portfolio kommen sollen. Da mag es verschmerzbar sein, das Microsoft im Smartphone-Segment auch mit Windows 10 keine großen Umsatzsprünge macht.

Die gemeinsame Plattform für all das ist hingegen Microsofts Cloud-Strategie, für die nicht nur direkt um große Kunden geworben wird, sondern indirekt um Partner, die mit Infrastrukturangeboten, neuen Dienstleistungen und zukünftigen Anwendungen nicht nur die Cloud beleben sollen, sondern auch das Windows-basierte Geschäft überall: zuhause, im Büro und auf dem Weg zwischen beiden. Die Börse jedenfalls dankt es – mit einem Kursplus von 18,5 Prozent im vergangenen Jahr. Und seit Nadella am Ruder Kurs hält, stieg die Microsoft-Aktie sogar um 45 Prozent!

Und IBM? Big Blue hält seinen Aktienkurs relativ stabil, weil in Armonk konsequent eigene Aktien zurückgekauft werden. Das senkt die Gefahr – so unglaublich es auch klingen mag –, dass IBM zu einem Übernahmekandidat für Apple, Google oder Amazon werden könnte. Aber warum sollte man sich eine Firma mit zu viel altgedientem Personal und Portfolio ans Bein binden? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Watson!

Als Jeopardy-Sieger war der Künstliche Intelligenzbolzen noch eine clevere Spielerei, doch schon mit dem Einsatz als Diagnosehelfer im Medizinumfeld bewies der Watson-Computer seine Ernsthaftigkeit. Jetzt, auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas, kündigte IBMs Vorstandsvorsitzende Ginny Rometty nicht weniger als den Beginn eines neuen Computerzeitalters an und untermauerte diesen kühnen Anspruch mit einigen schillernden Partnerschaften. So macht Watson künftig im denkenden Teil des Haushaltsroboters Pepper von Softbank Furore. Die sprachanalytische Komponente soll den kleinen Hausknecht noch besser befähigen, auf Sprachbefehle seiner Familienmitglieder zu hören. Der Sportausrüster Under Armour will mit Watson seine Fitness-Tracker aufpeppen.

Und der Retailer Whirlpool analysiert mit Watson Milliarden von Kundendaten. Für Unternehmen wie Whirlpool soll ein einfach zu bedienendes Software Development Kit zur Verfügung gestellt werden, mit denen Watson in Eigenregie auf die individuellen Anforderungen im Big Data-Segment getrimmt werden kann. Große Datenmengen, wie sie bei der Digitalisierung der Produktionswelten anfallen, sollen Watsons Spezialgebiet werden. Sechs Labors hat IBM dazu weltweit ins Leben gerufen. Dann wären auch Partnerschaften mit den großen Anbietern von Unternehmenslösungen wie SAP oder Oracle nur noch eine Frage der Zeit.

In der Ära des kognitiven Computings wird Watson auf eine Infrastruktur zurückgreifen können, die IBM in 44 Ländern der Erde etabliert hat: hochverfügbare Cloudservices aus Datencentern, die das Number Crunching von der Pike auf gelernt haben. Watson ist bestimmt eines der nächsten ganz großen Dinger. Wem auch immer IBM dann gehören mag…

 

 

Den Prozess machen

Allmählich trudeln die Technik-Prognosen für das neue Jahr ein. CES und CeBIT werfen ihren Schatten voraus. Doch die Zukunftstrends sind nicht mehr allein durch Technik definiert, wie eine Rückschau zeigt. Die Innovationen des Jahres 2015 lagen nicht in der Technologie, sondern in der Methodologie, nicht im Produkt, sondern im Prozess. Das ist das eigentlich Neue, ja Revolutionäre am soeben vergangenen Jahr, in dem uns deutlich wurde, dass der Megatrend „Digitalisierung“ nicht nur unsere Art der Zusammenarbeit neu definiert, sondern auch die Art und Weise unseres Zusammenlebens. Die Prozesse des Zusammenseins ändern sich überall und setzen die Politik unter Zugzwang. Ein paar Beispiele:

3D-Druck sorgt immer wieder für Hingucker auf den Industriemessen, wo sich Scharen von Messebesuchern um die Vitrinen versammeln, in denen Schicht für Schicht aus Geisterhand ein dreidimensionales Bauteil aufbaut. Dort, wo 3D-Drucker bereits im Einsatz sind, verläuft der Prozess deutlich weniger spektakulär, dafür aber umso effektiver. In der Medizin etwa werden Teile der Prothesen schon individuell nach den Knochen geformt, die sie ersetzen sollen. In der Zahnmedizin ersetzen gedruckte Zahnspangen die herkömmlichen Drahtgeflechte. – Aber ach, die Krankenkassen zahlen noch nicht für diese Innovationen.

In Bayern wurde letztes Jahr das erste Autobahnteilstück als Teststrecke für autonomes Fahren durch den Bundesverkehrsminister freigegeben – sehr zur Freude der bayerischen Automarken. In Kalifornien bestimmte ein Gericht, dass auch autonome Fahrzeuge ein Lenkrad brauchen – sehr zum Ärger von Google, das ein niedliches „Autochen“ entwickelt hat, dessen Selbstfahrfähigkeiten gerade durch den Verzicht auf ein Lenkrad signalisiert wird. Und zur Mobilisierung von Elektrofahrzeugen wird die Diskussion um Subventionen hierzulande lauter. Sehr zum Ärger des Bundesfinanzministers.

2015 war das Jahr der Lieferdienste. Vor allem um den Bringerdienst für Lebensmittel tobt in den Großstädten ein harter Wettbewerb. Kein Wunder – allein in Deutschland wurden 2015 in Deutschland knapp 20 Millionen Pizzen ausgeliefert, besagen Schätzungen. Da lohnt sich die Kombination aus Fahrzeugflotten und flotten Apps. Aber schon gehen die Paketboten in die nächste Runde: Amazon und Google experimentieren mit Drohnen, der Skype-Gründer Ahti Heinla probiert niedliche Transportroboter aus. Doch neben dem Kampf mit der Technik dominiert die Auseinandersetzung mit den Ordnungsbehörden um Überfluggenehmigung und Straßenverkehrsordnung.

Nach Einschätzung der Analysten von Ernst & Young sind Finanzanwendungen für Smartphones das ganz große Ding. Doch allein in Deutschland mussten im vergangenen Jahr 25 Fintech-Startups wieder dicht machen. Überweisungen allein sind offenbar noch kein ausreichendes Unterscheidungsmerkmal zu den Banken, Kredite aber schon. Da wird noch viel Deregulierungsgeist benötigt.

Bei Datenschutz und Datensicherheit hat das EuGH im Oktober den Safe Harbour Act gekippt. Am schnellsten und vollständigsten hat bislang Microsoft reagiert, das in Deutschland seine Cloud-Zentren in die Treuhänderschaft der Deutschen Telekom übergeben hat. Wie das europäische respektive transatlantische Verständnis für den Umgang mit Schutz und Sicherheit nun vereinheitlicht wird, ist nun Sache der Politik.

Und das wird auch 2016 so bleiben – die Politik kommt mit ihrem Regulierungsanspruch hinter dem Innovationstempo der Digitalisierung kaum richtig nach: Die Digitalisierung aller Lebensbereiche wird uns den Prozess machen – Altes wird optimiert, Überkommenes ausgesondert. Im Ergebnis werden unsere Prozesse im privaten und öffentlichen Leben, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft schneller, stromlinienförmiger, smarter und nicht zuletzt: individueller.