Big Spender

Eine Reise nach Etymologia lohnt sich immer. Ein Spender im deutschen Sprachgebrauch ist jemand, der etwas von sich selbst – eine Niere zum Beispiel oder eine Million Euro – jemandem übereignet, einem Kranken zum Beispiel oder einer humanitären Organisation. Das ist in der Regel positiv konnotiert. Ein Spender ist selbstlos, generös, menschlich. Ja, denkste.

Ein „spender“ im englischen Sprachgebrauch ist ein Prasser, ein Geldausgeber, im besten Fall ein Investor. Er gibt das Geld aus – entweder aus Genusssucht oder aus Kalkül. In keinem Fall aber aus altruistischen Beweggründen. Na, siehste.

Jetzt ist also Mark Zuckerberg so ein „Big Spender“, der angesichts seiner neugeborgenen Tochter 99 Prozent seines Vermögens spenden möchte und dabei die Dreistigkeit besitzt, auch noch bestimmen zu wollen, wofür: nämlich für das Wohlergehen nicht privilegierter – also in klarem Deutsch: armer – Kinder. Das ist natürlich schändlich, so entnehmen wir dem aktuellen Erregungszustand im Word Wide Wrath, dem Netz der ungehemmten Emotionen gegen jeden und alles.

Denn folgt man dem Shitstorm, dann besteht ja das „Asoziale“ in Mark Zuckerbergs Handlung gerade darin, dass er sein Vermögen im Falle seines Todes dem Staat entzieht, der Zugriff auf bis zu 90 Prozent der Sore hätte, wenn es nach den gegenwärtigen US-amerikanischen Steuergesetzen ginge. Dann wäre das Geld zwar auch für die Allgemeinheit verfügbar, aber nicht ausschließlich für die von Mark Zuckerberg als vorrangig bedürftig ausgemachte Zielgruppe, sondern würde im US-Haushalt versickern.

Eine Einschätzung, der sich auch Caren Miosga bei ihrer Moderation der Tagesthemen angeschlossen hat. Sie sah in Zuckerbergs Vorpreschen die Ausgeburt eines Egotrips. Das ist schade. Und vor allem: Es ist falsch und irreführend.

Bill Gates und Warren Buffet haben mit ihrer Initiative „The Giving Pledge“ vor einigen Jahren vorgemacht, was es bedeuten (und vor allem: bewirken) kann, wenn sich Multi-Milliardäre von der Last ihres Vermögens zur Hälfte, zu einem Drittel oder gar zur Gänze befreien und humanitäre Projekte unterstützen. Übrigens handelt es sich beim Kampf gegen Malaria, gegen Kinderarmut, gegen Analphabetismus und und und um Projekte, bei denen Steuergelder in viel zu geringem Maße fließen. Es ist richtig und an der Zeit, dass Unternehmer mit dem nötigen Kleingeld hier regulierend eingreifen.

Sie tun dies zum Beispiel in der „Breakthrough Energy Coalition“ – auch so einer „asozialen“ Koalition von Superreichen, die ein bisschen Einfluss darauf nehmen wollen, was mit dem verfügbaren Geld geschieht. Hinter dieser Organisation, die sich für bahnbrechende Technologien bei alternativen und erneuerbaren Energien verwendet, stehen Milliardäre wie Meg Whitmann (HP), Bill Gates, Marc Benioff (Salesforce), Jeff Bezos (Amazon), Richard Branson (Virgin), Reid Hoffman (LinkedIn), Jack Ma (Alibaba) und Hasso Plattner (SAP). Ja – und auch Mark Zuckerberg and Dr. Priscilla Chan.

Was kann man noch mit seinem Geld tun? Man kann zum Beispiel als größter Einzelaktionär von Microsoft für Unruhe sorgen, weil – wie es Steve Ballmer auf der Aktionärsversammlung gerade getan hat – man mit der eingeschlagenen Strategie bei Smartphones und der Cloud nicht einverstanden ist. Es hat natürlich ein “Geschmäckle” wenn der gescheiterte Vorgänger seinen gescheiten Nachfolger öffentlich rügt. Und es mag sein, dass Ballmers Ansinnen ein berechtigtes Fundament hat. Aber er fehlt derzeit in den Listen der “gebenden Hände”. Er bemüht sich – was ebenso redlich ist – gerade darum, sein Vermögen und das seiner Mitaktionäre zu mehren.

Aber ihm fehlt ganz offensichtlich die Souveränität und der Langmut, über die beispielsweise Bill Gates verfügt hat, als er das Zepter weitergereicht hatte – an seinen Nachfolger Steve Ballmer. Wir werden sehen, wie sich Big Spender Ballmer künftig entscheiden wird. Wird er einfach nur Steuern zahlen?

Nicht anfassen!

Eine der meistbeachteten Globalweisheiten der Informationswirtschaft beruht auf einem fundamentalen Missverständnis – oder zumindest auf einem Übersetzungsfehler: Denn wann immer eine IT-Fachkraft zu einer Computerinstallation gerufen wird, schreckt er (oder sie) schulterzuckend und mit der Bemerkung zurück: „Never change a running system.“ Dann noch einmal Schulterzucken und weg aus der Gefahrenzone.

Dabei bedeutet der Satz nicht wie allgemein in der landläufigen Übersetzung kolportiert, dass man nichts ändern sollte, solange das System noch läuft. Gemeint ist wohl eher, dass man nichts ändern sollte, während das System läuft. Man wechselt ja schließlich auch nicht in voller Fahrt auf der Autobahn die Reifen. Aber man wechselt sie – zum Beispiel gerade jetzt vorm Winter – obwohl der Wagen ansonsten noch tadellos funktioniert.

Am Pariser Flughafen Orly haben jetzt die IT-Experten durch jahrelange Untätigkeit für einen allgemeinen Stillstand im Flugbetrieb und bei der Passagier-Abfertigung gesorgt. Für das ausgefallene Computersystem war so schnell keine Fachkraft aufzutreiben. Kein Wunder – die fehlerhafte Software basierte auf Windows 3.1, das vor immerhin 23 Jahren vorgestellt wurde und schon lange aus jeder Wartungs-Warteschleife verschwunden sein sollte.

Dabei sind es keineswegs immer nur die „Dümmsten Anzunehmenden User“, die DAUs, die unsere digitalisierte Welt zum Einstürzen, pardon: Abstürzen bringen. Mehr als 100 kritische Schwachstellen hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in vier der populärsten Standardpakete von Adobe, Apple und Microsoft gefunden: Adobe Flash Player, Microsofts Internet Explorer und in den Betriebssystemen Apple Mac OS X und Microsoft Windows. Die jetzt vorgelegte Schwachstellenanalyse notiert: „Die Anzahl kritischer Schwachstellen in Standard-IT-Produkten hat sich gegenüber den bereits hohen Werten in den Vorjahren im Jahr 2015 noch einmal massiv erhöht.“ Der Skandal, so finden die deutschen Sicherheitswächter, bestehe in der inzwischen äußerst schleppenden Korrekturpraxis der Softwarehäuser. Zwar werden Anwender mit Update-Paketen überhäuft – beim Schließen von Sicherheitslücken ließen sich die Anbieter jedoch zum Teil besonders viel Zeit. Oder sie handelten auch gar nicht.

Ein Umstand, der nach Ansicht von Bundesinnenminister Thomas de Maizière auch einmal zivilrechtliche Folgen haben sollte. Denn die Cyberangriffe auf Produktionssysteme und Datenbanken nehmen in Deutschland wie überall in der Welt zu. Die jahrelang unverschlossenen (aber für Anwender nicht unbedingt zu bemerkenden) Hintereingänge in den Betriebs- und Anwendungssystemen stünden inzwischen für zweistellige Millionenschäden in der Wirtschaft – Jahr für Jahr.

Nach den Vorstellungen des Bundesinnenministers könnten (oder sollten) die Anbieter mit Schadensersatzforderungen zur Verantwortung gezogen werden. Allein die Gesetzgebung um die Produkthaftung gebe genügend Hebel an die Hand, um hier erfolgreich gegen Fahrlässigkeit im Umgang mit bekannten Sicherheitslücken vorzugehen.

Eine zusätzliche Dimension bekommen Sicherheitslöcher in weit verbreiteten Standardsystemen auch mit Blick auf die Vernetzung der Produktion und der Digitalisierung der Geschäftsprozesse. Denn gerade die Angriffe, bei denen Cyber-Krieger Zugriff auf Steuerungssysteme in der Industrie zu bekommen versuchen, haben zugenommen. Je mehr aber Maschinen mit Maschinen kommunizieren, desto größer wird die Angriffsfläche.

Eigentlich, so meinen Bundesminister und BSI, müsste man ein komplett fehlerfreies, solides, auf die modernen Anforderungen einer vernetzten Maschinenwelt ausgerichtetes Basissystem entwickeln. Doch vorerst behilft man sich in der Bundesregierung mit einem neuen IT-Sicherheitsgesetz, das zumindest das Niveau für die Rahmenbedingungen für sichere Systeme anheben soll. Ansonsten gilt wohl auch hier: Never touch a running system.

 

 

Neun Schritte in die Wolke

Cloud Computing wurde bislang im deutschen Mittelstand nur zögerlich angenommen. Das gilt interessanterweise sowohl für die mittelständischen Anwender als auch für mittelständische IT-Anbieter. Die einen wollen der Cloud nicht ihre Daten und ihr in Software gegossenes Wissen anvertrauen. Die anderen wollen der Cloud nicht in ein neues Geschäftsmodell folgen. Anders als in den USA, wo diese Ressentiments nicht vorherrschen, verhindern die Deutschen also die Cloud, weil sie keinen Grund für einen Paradigmenwechsel sehen oder aber weil sie ihn scheuen…

Das lässt sich nur allzu gut erklären: Die deutsche Wirtschaft war in den letzten Jahren mit ihrem eigenen Wachstum beschäftigt. In anderen Ländern, die mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatten, haben sich die Unternehmen viel früher und konsequenter mit notwendigen Veränderungen beschäftigt. Zudem wurden bislang die disruptiven Kräfte, die die Cloud freimachen kann, nur in den wenigsten Fällen, genutzt. Überall dort, wo dies aber geschehen ist, werden die Cloud-Angebote allerdings auch gerne angenommen. Man muss nur mal auf sein Smartphone schauen: Viele der Funktionen, die dort durch Icons repräsentiert werden, wären ohne die Cloud überhaupt nicht denkbar. Ja, Mobile Computing ist per se ohne die Cloud nicht denkbar.

Eines der erfolgreichsten Cloud-Modelle, das sich in einer Vielzahl von Angeboten erfolgreich durchsetzt, ist die disruptive Methode des „Kill the Middleman“: Wer seine Bücher als eBook vertreibt, braucht keinen Verlag. Wer sich im Schwarm Geld leiht, braucht keine Bank. Wer bei Uber eine Mitfahrgelegenheit sucht, braucht keine Taxi-Mafia. Oder wer bei AirBnB eine Unterkunft anbietet, braucht keinen Makler. Was diese Anwendungen aber brauchen ist die Cloud.

Die Konsequenz daraus, die jetzt auf der deutschen Partnerkonferenz von Microsoft diskutiert wurde, ist geradezu trivial: Wer in der Cloud das Gleiche anbietet wie OnPremises, der wird in und mit der Cloud scheitern. Dabei sind es nur wenige Schritte auf dem Königsweg in die Cloud.

  1. Das Cloud-Angebot muss einen Zusatznutzen in bestehenden digitalen Welten erbringen.
  2. Das Nutzenversprechen sollte zu den aktuellen Megatrends wie Internet of Things, Industrie 4.0, Big Data, Collaboration, Social Media passen.
  3. Der Mehrwert des Cloud-Angebots muss für den einzelnen Anwender unmittelbar erfahrbar sein – langfristige strategische Potenziale ziehen nicht.
  4. Die Cloud ist ideal, um Erweiterungen und Zusatznutzen schnell und ohne Vertriebsaufwand zu vermarkten.
  5. Cloud-Angebote sollten bestehende Lösungen ergänzen, ehe sie abgelöst werden.
  6. Cloud-Angebote erschließen neue Zielgruppen in den Fachabteilungen der Unternehmen.
  7. Spätestens seit dem EuGH-Urteil, das den USA abspricht, für Daten ein sicherer Hafen zu sein, sollte der Standort D/EU als Wettbewerbsvorteil genutzt werden.
  8. Cloud-Angebote sollten zunächst ein Zusatzgeschäft sein, ehe Anbieter voll auf das neue Geschäftsmodell setzen.
  9. Der Vertrieb erhält eine neue Perspektive – in einem neuen Zielmarkt.

Der Weg in die Cloud erfolgt über das Verständnis, auf welchen Zusatznutzen Kunden heute schon ansprechen. Wer es versteht, dabei das Softwarelizenz-Kind nicht gleich mit dem Cloud-Bade auszuschütten, sondern sukzessive Erweiterungen in bestehende Softwarewelten schafft, wird erfolgreich sein. So überleben mittelständische Software-Anbieter auch die schwierige Drei-Jahres-Phase, in der der Cloud-Umsatz noch nicht die Software-Lizenzumsätze ersetzen kann. In dieser Phase kann aber das Legacy-Geschäft das Neugeschäft in der Cloud subventionieren.

Das IoT ist tot, es lebe die IoT!

Der Mörder ist mal wieder ein Gartner-Analyst: Das Internet of Things (IoT) – oder Internet der Dinge – ist noch gar nicht richtig geboren, da ist es auch schon wieder tot. Das Internet der Dinge benennt nämlich nur die Infrastruktur; viel wichtiger aber ist, was man damit macht. Information of Things (IoT) – also die Information über die Dinge – sind das entscheidende Momentum bei der Digitalisierung der Welt.

Und in der volldigitalisierten Welt sind Informationen immer und überall und über alles. Die Gartner Group, die soeben ihre jährliche Synode zu Glaubensfragen der Informationswirtschaft in Orlando, Florida, abgehalten hat, sieht uns alle allmählich im Cyberspace angekommen, also in der Matrix oder wie es auf Gartner-Sprech heißt: Digital Mesh.

Der Begriff ist gefährlich, denn er erinnert nicht nur an Mischmasch, sondern steht im Englischen sowohl für Netz oder Netzwerk als auch für das Sieb, dem ja bekanntlich das Vergessen sprichwörtlich ist. Doch in der Gartner-Interpretation ist der Mischmasch aus unterschiedlichen persönlichen Endgeräten, die sich untereinander synchronisieren, eine der Herausforderungen der kommenden Jahre. Sie wird die CIOs in Atem halten, die dafür sorgen müssen, dass die PCs, Smartphones, Tablets, Scanner, Netzdrucker oder Handhabungsautomaten auf dem gleichen Informationsstand sind. Es ist auch die Herausforderung für Information-Broker, die dafür sorgen werden, dass jedermann auf jedem Endgerät nur die Informationen erhält, die ihn oder sie in der speziellen Situation auch benötigt. Also: Wer ein Handy privat und eins dienstlich mit sich führt, möchte auf dem einen nur Privates auf dem anderen nur Dienstliches haben – und was so dazwischen ist, auf beiden. Umgebungsbewusste Endgeräte oder „ambient user devices“ nennen wir das von jetzt an im Gartner-Idiom.

Aber damit nicht genug: Wir erhalten nicht nur situationsbedingt die Informationen, die uns in der entsprechenden Lebenslage erreichen sollen. Wir bekommen auch noch kontextspezifische Hintergrundinformationen mitgeliefert. Hier helfen nicht einfach nur Suchmaschinen – das ist ja sowas von out! -, sondern semantisch optimierte Datenbanken, die Wortfelder und Themengebiete ebenso auswerten können wie Grafiken und Bilder. Im Ergebnis sollen wir Wissen statt Daten erhalten.

Dazu brauchen wir natürlich nicht einfach nur das Internet, wie wir es kennen. Wir brauchen neuronale Netze, die die lernenden Suchmaschinen dabei unterstützen werden, zu erkennen, was die Welt (wenn auch nicht im Innersten!) zusammenhält – und vor allem, wie man in ihr navigiert. So wird es über kurz oder lang weiterentwickelte Varianten von Cortana (Microsoft) oder Siri (Apple) geben, jenen kontextsensitiven Spracheingabesystemen, die uns heute zwar kaum mehr sagen können als das Wetter von morgen, übermorgen aber schon den Zusammenhang zwischen Historischem und Dialektischem Materialismus (oder etwas ähnlich Kompliziertem) erklären. Und natürlich werden die gleichen Netze auch dafür verwendet, Fahrzeuge autonom über unser Straßennetz zu steuern und Drohnen ins Krisengebiet einzufliegen.

Gartner, was habt ihr genommen? Alles, was in Orlando als zehn Voraussagen für das Jahr 2016 verkündet wurde, wird kommen – nur nicht 2016! Soeben haben wir in Deutschland die ersten Teilautobahnen für Testfahrten mit autonomen Lastwagen freigegeben. Soeben hat der Mittelstand erkannt, welche Möglichkeiten hinter Industrie 4.0 stecken. Und soeben haben wir damit angefangen, unsere betriebswirtschaftlichen Lösungen auf die Datenflut des Internets der Dinge vorzubereiten. Und damit werden wir auch 2016 noch vollauf beschäftigt bleiben.

Bitte gebt uns etwas Zeit zum Luftholen, liebe Freunde von der Gartner Group. Es reicht nicht, Visionen zu haben. Man muss auch in der Lage sein, sie zu verwirklichen. Bislang hat die Arbeitsteilung ganz gut geklappt. Gartner hatte die Visionen, die Informationswirtschaft hat sie realisiert. Aber jetzt geht es einfach zu schnell.

Das Internet der Dinge ist noch lange nicht tot. Denn zunächst brauchen wir die Infrastruktur, ehe wir uns auf sie verlassen können. Und dann haben wir die Informationen über die Dinge und können uns damit beschäftigen, was wir damit anfangen. Es hilft nichts, wenn die Digitalisierung der Welt schneller voranschreitet als die Umgestaltung der Welt. Wir brauchen Zeit. Aber ich fürchte, bis dahin gibt es wieder eine Gartner-Synode oder gar IT-Konklave und der weiße Rauch wird aus dem Convention Center in Orlando aufsteigen und uns signalisieren: Visio est mortuus. Habemus novum visionem. – Die Vision ist tot, wir haben eine neue.