Irren Bleibt Männlich

Als sich IBM in den achtziger Jahren aus dem Geschäft mit Schreibmaschinen verabschiedete, ging nicht nur einfach die Ära eines Produkts zu Ende. Denn die Identifikation von Produkt und Anbieter, die zumindest im deutschsprachigen Raum durch das Wortspiel „schreIBMaschine“ induziert worden war, war so vollständig, dass Sekretärinnen mit weiblicher Intuition ihren Chefs rieten, sich möglichst schnell von Big-Blue-Aktien zu trennen.

Aber IBM hatte doch längst den Personal Computer als Erbe und Nachfolger der Selectric in die Welt gesetzt und damit einen völlig neuen Markt eröffnet, der 2005 ebenfalls – angesichts eines nicht mehr zu leugnenden Margenverfalls – aufgegeben wurde. Diesmal, indem mit dem chinesischen Anbieter Lenovo ein williger und zahlungskräftiger Käufer gefunden wurde.

Same procedure as every year: IBM hat eine Tradition darin, faules Fleisch aus dem eigenen Unternehmenskörper heraus zu schneiden. Jetzt sind es die Kleinserver der x86er-Baureihe, deren margenarmes Geschäft an Lenovo geht, während gleichzeitig das Geschäft mit der Customer Care an Synnex abgegeben wurde. Dabei wird auch vor massiven Stellenstreichungen nicht Halt gemacht: IBM – lange Zeit das Anagramm für „I´ve Been Moved“ – steht heute auch für „I´ve Been Moved-Out“. 870 Millionen Dollar stehen allein im Geschäftsbericht 2013 für so genannte Restrukturierungskosten.

Ginni (Virginia) Rometty, die glücklos wirkende Frau an der Spitze von Big Blue wird dafür gescholten, dass sie ein totes Pferd nicht länger zu reiten versucht, sondern schlicht das vernünftigste tut, was man in so einem Fall tun kann: Das Pferd wechseln! Doch ihre – zumeist männlichen – Kritiker sind es auch, die zu lange Business nach alter Boxenschieber-Art gepflegt haben. Das tiefe Tal, das Big Blue seit nunmehr acht Quartalen mit sinkenden Umsatzzahlen durchschreitet, haben Romettys Vorgänger angepeilt. Jetzt heißt es: Augen zu und durch.

Denn die Wachstumsmärkte, die IBM aus diesem Tal heraushelfen sollen, sind eigentlich ureigenstes Terrain. Cloud Computing ist seit der Marktankündigung der /360-Architektur vor genau 50 Jahren (7. April 1964) Big Blues Domaine – nur hieß es damals noch Service-Rechenzentrum. Seitdem hat die interne Dominanz von „Big Iron“ nie abgenommen. Bis zum Ende des Jahres 2014 sollen es 40 Data-Centers sein, die – teils durch die Übernahme von SoftLayer erworben, teils selbst errichtet – die alte Vorherrschaft im Großanlagenbau betonieren soll. Data Analysis, Network-Infrastructure, Applications aus der Cloud – das ist das zum Service umgewandelte klassische Boxengeschäft direkt aus der DNA im Armonker Headquarter. Die Wirkung zeigt sich bereits: Die Cloud-Umsätze wurden im Vergleich der Berichtsquartale erneut verdoppelt. Gut, aber nicht genug, um die Einbußen in den notleidenden Business Lines auszugleichen.

Aber bei den Cloud-Services funktionieren auch noch die alten Seilschaften mit den CIOs der globalen Anwenderunternehmen, die noch immer im Zweifel IBM gekauft haben. Überall sonst freilich hat IBM die Kraft des Markenherstellers eingebüßt: Watson ist noch kein Brand, die z-Series oder DB2 waren es nie. Und IBMs Cloud-Services haben in den letzten knapp zehn Jahren mehrfach pro Jahr den Namen geändert – bis zur totalen Unkenntlichkeit.

Zur Marke aber muss IBM zurückkehren, wenn Big Data und Cloud ein Geschäft für den globalen Mittelstand und für den mobilen Nutzer werden soll. Hier hängt IBM Lichtjahre hinter den aus dem Web geborenen Anbietern wie Amazon und Google zurück. Und gleichzeitig muss Big Blue die „traditionellen“ Wettbewerber wie SAP, Oracle oder eben Microsoft fürchten, die sich aus ihren Domänen in die Cloud stürzen. Der Preiskampf in der Cloud hat schon begonnen, ehe der Markt sich überhaupt zu entfalten begonnen hat.

Ginni Rometty ist noch lange nicht durch. Die Frage ist, wie viele negative Quartale sie sich noch leisten kann. IBM verdient unverändert genug, um das Tal in voller Länge durchschreiten zu können. Um nicht auch noch in einen ungewollten Übernahmekampf zu geraten, wird der Börsenwert durch Rückkäufe hoch gehalten. Aber der nachbörsliche Kurssturz nach der Bekanntgabe der letzten Zahlen gibt einen Vorgeschmack auf schwierige Zeiten, wenn die Analysten weiter enttäuscht werden.

Aber das sind ja auch überwiegend – Männer.

 

 

Größe ist doch wichtig

Das neue „Body-Maß“ im mobilen Computing beträgt ganze 22,86 Zentimeter. Unterhalb dieser Bildschirmdiagonale von neun Zoll gibt es künftig die mobile Variante von Windows „für umme“. Null €uro Lizenzgebühr für Smartphones oder Tablets unterhalb dieser Messgröße – das ist ein Beispiel, wie Microsoft im hart umkämpften Markt der mobilen Endgeräte aufholen will. Wer auf Stückzahlen kommen will, so die Erkenntnis, die zu einem fundamentalen Wechsel im Geschäftsmodell der Windows-Company führt, muss vor allem im Markt für Kleingeräte erfolgreich sein.

Und fürs Hochpreissegment gibt’s ja die neuen Nokias – inklusive dem neuen Windows Phone 8.1, das mit Cortana (dem AI-Charakter aus dem Videospiel „Halo“) jetzt über einen Sprachassistenten verfügt. Und es gibt rund 500 neue Apps pro Tag im Windows Store. Allein 75.000 Start-up-Companies arbeiten weltweit an der neuen Identität, die Microsoft unter Satya Nadella annehmen will.

Die wichtigste Änderung dabei, die den Entwicklern auf der Build-Konferenz in San Francisco angekündigt wurde, ist in der Tat ein Durchbruch: Apps sollen künftig identisch auf PCs, mobilen Devices oder am Fernseher (über Xbox One) laufen. Bisher waren Code-Anpassungen für alle drei Plattformen notwendig. Aus Anwendersicht funktioniert diese Form der Plattformdurchlässigkeit ebenfalls: eine einmal erworbene App (zum Beispiel auf dem Smartphone) soll auch für den PC gelten.

Das Ziel ist klar: Microsoft muss und will seine Lösungen auf allen Endgeräten über die Cloud zur Verfügung stellen und dabei auch Marktführerschaft zurückgewinnen. Insofern ist Nadellas Strategie des „Mobile first, Cloud first“ durchaus eine Modifikation von Steve Ballmers Strategie des „all Devices first“. Aber es gibt doch einen entscheidenden Unterschied. Wo Ballmer Rückzugsgefechte focht, präsentiert Nadella die Vision vom nächsten großen Ding, das es zu erobern gilt. Und dieses große Ding ist klitzeklein. Dafür aber künftig millionenfach im Web aktiv.

Das Internet der Dinge ist das Zielgebiet, in dem künftig Microsofts Mobillösungen für Furore sorgen sollen. Zehn Jahre nach dem Fehlversuch mit SPOT sind Internet-Uhren, aber auch Web-Brillen und andere „Wearables“ eine Zielmenge, für die Microsoft mit seinen Entwicklern und Partnern künftig Apps entwickeln will. Auch im Auto will Microsoft mit Windows (Phone) 8.1 weiter vordringen. Neueste Beispiele wurden ebenfalls in San Francisco gezeigt. Hinter den auto-mobile Devices verbirgt sich ein Riesenmarkt. Aber zusätzlich sollen Windows-Apps künftig sowohl im Maschinenpark von Produktionsunternehmen ticken als auch in den Haushaltsgeräten daheim. Die nächsten Märkte, die Digitalisierung der Fertigung („Industrie 4.0“) und Heimvernetzung („Internet der Dinge“), sind in den Fokus der Redmond-Entwickler gerückt. Die Xbox One steuert dann nicht nur die Spiel- und Sportaktivitäten der ganzen Familie, sondern auch den Kühlschrank in der Küche und den 3D-Drucker in der Werkstatt.

Für all diese neuen Endgeräte im Internet der Dinge wird Windows aller Voraussicht nach nicht weiter lizenzpflichtig sein – das besagt die Neun-Zoll-Regel, die jetzt in San Francisco verkündet wurde. Denn Windows verschwindet als Plattform im Hintergrund, während die Cloud mit Windows Azure die Regie übernimmt. Denn eine Vision hat Nadella in San Francisco klar durchblicken lassen: Je kleiner (und zahlreicher) die Devices, desto größer die Cloud.

Dazu ist die Durchgängigkeit der Lösungen entscheidend. Denn im Wettrennen mit Google, Apple, Facebook oder Amazon sollen Windows-Apps die Welt von morgen überall steuern. Ob sie dann noch Windows-Apps oder nicht doch vielmehr Microsoft-Apps heißen werden, wird viel darüber aussagen, welche Marke in Redmond als stärker angesehen wird – jetzt schon heißt die Schlussfolgerung aus „Mobile first, Cloud first“ logischerweise „Microsoft first“.

Microsoft ist tot. Es lebe Microsoft!

Kurz bevor Satya Nadella zum neuen CEO bei Microsoft nominiert wurde, leistete er noch als Chef des Enterprise- und Cloud-Business seine Unterschrift unter einen massiven Preisnachlass auf Rechenleistung, Speicherplatz und Bandbreite. So soll Windows Azure ab März den Preiskampf annehmen, den Amazon für seine Web Services angezettelt hat. Bei „Commodity Services“ – also reine Infrastrukturleistungen – geht bereits seit Monaten der Preis nur noch in eine Richtung –  abwärts. Und immer läutet Amazon die nächste Runde ein, gefolgt von Google.

Es ist ein Hinweis darauf, dass Microsoft unter Satya Nadellas Ägide den Wettbewerb in der Cloud und um das Cloud Business ernsthafter angeht als bisher. Es gehört zu den Absurditäten der vergangenen Jahre, dass Microsoft zwar einerseits alle Ingredienzien für ein perfektes Cloud-Menü zur Verfügung hat, bislang aber weder Vision noch Mission empfand, sie auch für den alles entscheidenden Machtkampf um die Zukunft einzusetzen. Bislang hatten die Wettbewerber echt leichtes Spiel.

Microsoft hat bereits heute die Infrastruktur, die für ein weltumspannendes Cloud-Netzwerk notwendig ist. Es hat mit Dynamics eine Enterprise Suite, die zwar noch einen weiten Weg zu absolvieren hat, ehe sie eine attraktive Cloud-Lösung sein könnte. Aber mit Office 365 ist bereits eine komplette Productivity-Suite aus der Wolke verfügbar. Es hat mit Windows 8 und Surface wenigstens ein eigenes Angebot für das mobile Computing – auch wenn hier wohl erst mit Windows 9 alles richtig gemacht wird. Das wäre allerdings beste Microsoft-Tradition – auch der Erfolg für Windows als PC-Betriebssystem kam erst im zweiten Anlauf.

Microsoft aber hat vor allem Geld – und das ist nötig, um einerseits die Durststrecke zu überstehen, die es beim Wechsel des Geschäftsmodells von Kaufen zu Mieten durchzustehen gilt. Geld ist auch nötig, um eine globale Infrastruktur auszubauen. Geld ist nötig, um eine Enterprise-Suite von Grund auf zu modernisieren. Und Geld ist nötig, um den Preiskampf mit Google und Amazon zu überstehen. Die „klassischen“ Wettbewerber wie IBM, SAP oder Oracle wissen vielleicht noch gar nicht, auf was für eine Geldvernichtung sie sich eingelassen haben…

Satya Nadella scheint der Mann zu sein, der für diesen „Death March into the Cloud“ das richtige Survival Kit zusammengestellt hat. Nur so erklärt sich die langwierige Suche aus einer langen Liste möglicher und exzellenter Kandidaten. Nadella bringt zunächst einmal keine neue DNA in das Microsoft-Genom, sondern verstärkt die bekannten Stärken: Microsoft ist geübt im Verdrängungswettbewerb. Microsoft beherrscht das Rennen von hinten heraus. PC-Betriebssystem, Netzwerk-Server, Browser – und jetzt Cloud?

Geld allein macht Microsoft allerdings nicht glücklich. Anders als bei früheren Aufholjagden ist das Rennen in die Cloud wie ein 800-Meter-Lauf: ein endlos scheinender, kräftezehrender, langgezogener Sprint ins Anaerobe!

Microsofts Kultur, in der Teams gegeneinander ausgespielt, Mitarbeiter innerhalb von Teams bewertet und Entwicklungsentscheidungen von zu vielen Stakeholdern beeinflusst werden können, gehört einer Zeit an, als die Wettbewerber noch IBM oder Siemens-Nixdorf hießen. Gegen die agilen, schnellen Cloudianer muss Satya Nadella eine neue Kultur ins Feld führen – nicht das dickflüssige Washington-State-Blood, sondern das hellrote, schnellfließende Blut aus dem Silicon Valley. Diese Aufgabe dürfte um einiges härter sein als das Geldausgeben.

Ob Satya Nadella das kann? Vielleicht ist der Team-Player Nadella tatsächlich der richtige Mann. Vielleicht ist der aufbrausende Steve Ballmer tatsachlich für diese Aufgabe der falsche. Und vielleicht ist Nadella auch weiter weg von Bill Gates – beziehungsweise umgekehrt.

Wenn dieser Kulturwandel, dieser Paradigmenwechsel gelingt, dürfte Microsoft wieder ganze vorne mitspielen können. Aber ist es dann noch Microsoft?

Wende unterm Weihnachtsbaum

2013 ist ein Wendejahr – obwohl es am Ende doch ziemlich knapp wurde. Aber tatsächlich dürften zum Jahresende erstmals mehr Tablet-PCs verkauft worden sein als herkömmliche Consumer-PCs. Tablets und Smartphones zusammen kommen nach Marktschätzungen im zurückliegenden Jahr auf sagenhafte 1,25 Milliarden verkaufte Stück weltweit – PCs dagegen nur auf 0,25 Milliarden Stück.

Es ist, als hätte es keinen Snowden und keine NSA gegeben. Der Siegeszug des Mobile Computings war 2013 durch nichts zu stoppen. Nicht durch den weltweiten Schrecken über das globale Belauschen von Mails und Calls und auch nicht durch spektakuläre Marktflops wie sie durch den geglückten Verkauf von Nokia an Microsoft und den missglückten Notverkauf von Blackberry an Wenauchimmer gekennzeichnet sind. Blackberry beschert uns zum Jahresende einen Riesenverlust von 4,4 Milliarden Dollar, der Umsatz hat sich mit 1,2 Milliarden Dollar gegenüber dem Vorjahr gnadenlos mehr als halbiert?

2013 war in der Tat ein gnadenloses Jahr für die Unbeweglichen im Markt für Mobile Computing. Microsofts Versuche, mit Surface-Tablets, Lumia-Smartphones und Windows 8.1 in diesem Segment Tritt zu fassen, war vielleicht nicht direkt ein Flop. Immerhin konnte Microsoft im zurückliegenden Jahr den schleichenden Trend des wachsenden Bedeutungsverlustes zumindest anhalten. Nur noch jedes vierte neue Gerät mit Internet-Anschluss wird durch Microsoft-Produkte gesteuert – vor vier Jahren waren es noch neun von zehn Geräten. Aber ein Durchbruch ist Microsoft 2013 auch nicht gerade gelungen.

Und dass sich dies 2014 ändern wird, ist nicht zu erwarten. Der mobile Markt ist dynamisch Android – und stabil Apple. Der Rest ist Schweigen.

2013 ist das Jahr des Mobile Computings – und in seinem Schlepptau auch das Jahr des Cloud Computings. Denn ohne die Anwendungen und Services aus der Datenwolke ist das ganze mobile Geschäft statisch und unattraktiv. Deshalb misst man den Markt für Mobile Computing gar nicht mehr in Stückzahlen – sondern in App-Downloads. Mitte 2013 wurden erstmals annähernd so viele App-Downloads auf Android-Systemen gezählt wie auf Apples iOS (iPhone und iPad) – kumulierte 45 Milliarden. Beide dürften zum Jahresende die 60-Milliarden-Grenze angekratzt haben. Langfristig spricht die Demographie wohl für die Android-Welt: Zwar lädt der typische Apple-User mehr Apps pro Monat – aber es gibt einfach mehr Androids.

Mobile Computing bedeutet große Userzahlen bei kleinen Preisen – das ist das offene Geschäftsgeheimnis der App-Stores. Cloud Computing ist dagegen das Geschäft der (vergleichsweise) kleinen Userzahlen bei hohen Preisen und langjährigen Laufzeiten. Dies richtet sich vor allem an Unternehmen, die ihre Geschäftsanwendungen und großen Datenvolumina in die Cloud verlagern könnten. Hier- und eigentlich nur hier – hat der Abhörskandal 2013 wirklich Schaden im Markt angerichtet. Das Geschäft mit der Corporate Cloud ging nicht recht voran. SAP beispielsweise hat auf der Suche nach dem richtigen Geschäftsmodell mit der Cloud für Business by Design 2013 eine erneute Kehrtwende vollzogen. Oracle vertröstet enttäuschte Analysten mit dem erhofften Cloud-Geschäft im kommenden Jahr. Und IBM will mit ihren Cloud Services rund um Big Data im kommenden Jahr so richtig durchstarten.

Wenn 2013 die Wende im mobilen Consumer-Geschäft brachte, bringt dann 2014 den Durchbruch im Corporate-Cloud-Business? Gut möglich. Aber vielleicht werden wir das gar nicht mehr merken. Denn jeder Mitarbeiter ist auch Consumer. Um am wahrscheinlichsten ist, dass Mobile Computing auch 2014 alle in Atem halten wird. Nicht nur die Anbieter, sondern auch den CIO. Der hat mit „Mobile“ künftig ein Moving Target vor sich. Mehr als aus der Hüfte Schießen ist da wohl 2014 nicht möglich.