Läuft bei uns

Eigentlich könnten sich die drei für die Umsetzung der Digitalen Agenda zuständigen Bundesminister (mit den Ressorts Inneres, Wirtschaft, Verkehr) für einen Moment zurücklehnen, kurz Entspannungsübungen machen und sagen: Läuft bei uns.

Denn immerhin haben sie von halbamtlicher Stelle, nämlich vom neuen Präsidenten des Digitalverbands Bitkom, Thorsten Dirks, im Zwischenzeugnis ein „im ganzen gut“ erhalten. Ganze 36 der vor einem Jahr vorgestellten 121 Projekte im Rahmen der Digitalen Agenda sind bereits umgesetzt worden, weitere 60 in Arbeit und (lediglich) 25 noch nicht angefasst worden.

Eines der bereits umgesetzten Projekte – die Versteigerung der neuen Mobilfunkfrequenzen in den vergangenen Wochen – hat nicht nur die infrastrukturelle Voraussetzung für den Breitbandausbau geschaffen, sondern auch freundliche fünf Milliarden Euro in die Berliner Staatskasse gespült. Davon sollen zunächst 1,5 Milliarden in den physischen Aufbau der breitbandigen Internet-Zugänge gesteckt werden. 90 Prozent der deutschen Haushalte haben bereits mindestens 6 Megabit pro Sekunde schnelle Zugänge. Aber nur zwei Drittel können auch mit Tempo 50 surfen. Das soll nun mit den Versteigerungsmilliarden verbessert werden. Läuft!

Zu den weiterhin lobenswerten Projekten gehören die Einrichtung einer Teststrecke für autonomes Fahren, die Führungsrolle der Politik bei der Umsetzung von Industrie 4.0 oder das IT-Sicherheitsgesetz. Nachbesserungsbedarf sieht der Bitkom dagegen vor allem bei der Förderung von Neugründungen im digitalen Umfeld. Hier, wo die wesentlichen Wachstumsimpulse des kommenden Mittelstands geschaffen werden, bleibe die Umsetzung der Digitalen Agenda im Vagen. Läuft nicht so gut!

So viel Auszeit für selbstzufriedene Entspannungsübungen sollten sich die Drei von der Digitalen Agenda nicht nehmen. Denn nicht nur sind gut zwei Drittel der Projektepunkte noch nicht abgeschlossen (was auch zu viel verlangt wäre). Sondern der Staat hinkt auch bei der Digitalisierung seiner Geschäftsprozesse hinterher, statt der Industrie bei der Digitalisierung der Geschäftsprozesse voranzuschreiten. Und eigentlich müssten auch die Anstrengungen über das 121-Punkte-Programm deutlich ausgeweitet werden. Vor einem Jahr nämlich wurde die Agenda von der Wirtschaft allgemein als zu wenig ambitiös be- und verurteilt. Jetzt aber profitiert die Beurteilung der Digitalen Agenda von der normativen Kraft des Faktischen. Nicht die 121 abzuarbeitenden Punkte müssten eigentlich das Optimum an Erreichbarem sein, sondern das, was vor einem Jahr hätte beschlossen werden sollen. Im Bildungsbereich beispielsweise sollte mehr Engagement gezeigt werden. In der europäischen Vereinheitlichung von Sicherheitsgesetzen ebenfalls. Die Digitale Agenda, so hieß die Kritik damals und sollte sie auch heute lauten, ist eine Sammlung von Zielen, enthält aber keine Visionen für eine digitale Gesellschaft.

Oder gar für eine digitale Volkswirtschaft. Die Infrastrukturausstattung der Industrienationen wird neben der Ausbildungsqualität zum entscheidenden Wirtschaftsfaktor. Industrien werden sich dort ansiedeln, wo die Infrastrukturvorteile für sich sprechen. Gestern waren das Autobahnzubringer – heute ist es der Breitbandzugang. Morgen aber ist es das Verständnis von einer Digitalisierten Welt in Wirtschaft und Gesellschaft.

Genau das untersuchen die Analysten des Beratungsunternehmens Accenture in einer internationalen Vergleichsstudie über den Umsetzungsgrad der digitalen Welt, die zugleich das zusätzliche Wertschöpfungspotential der zehn größten Industrienationen auf 1,3 Billionen US-Dollar für das Jahr 2020 bemisst. China wird bei noch hohem Nachholbedarf hier Opportunitäten von 418 Milliarden Dollar ausschöpfen können, die USA folgen mit 365 Milliarden. Auf Platz vier befindet sich Deutschland hinter Japan mit immerhin 75 Milliarden Dollar.

Das ist nicht nur deutlich weniger – und auch gemessen an der Bevölkerungszahl weniger als beispielsweise Japan oder USA. Es ist auch weniger als notwendig wäre, wenn Deutschland vom jetzigen (laut Accenture-Studie) neunten Platz bei der Umsetzung der digitalen Transformation aufrücken wollte. Die für Unternehmen in den führenden Volkswirtschaften entscheidenden Kernbereiche sind:

  • „verstärkte Digitalisierung bestehender Märkte und Schaffung neuer digitaler Geschäftsplattformen“
  • „fortschreitende Nutzung digitaler Technologien und Strukturen durch Unternehmen“
  • „Aufladung bestehender Produktionsfaktoren mit digitalen Technologien“
  • „Aktive digitalisierungsfreundliche Gestaltung der industriellen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen“.

Hier nimmt Deutschland auch im europäischen Rahmen nur einen sechsten Platz ein (hinter den Niederlanden, Schweden, Großbritannien, Finnland und Österreich), während weltweit neben den USA auch Südkorea und Australien weiter vorangeschritten sind.

Es läuft also noch nicht rund. Aber Hauptsache: Es läuft überhaupt bei uns.

Share dich zum Glück

Nachrichten über stürmische Aufschwünge bei Internet-Startups erzeugen ja immer noch eine kurze Panikattacke aus der Erinnerung an die plötzlich geplatzte Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende. Aber wenn wir was gelernt haben aus dieser Zeit des Wild Wide Web, dann das: Bei neuen Geschäftsideen achten Investoren heute mehr auf Substanz als auf Brillanz. Und sie stellen sicher, dass die Gründer genügend Managementpraxis und eine profunde Kenntnis von betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen haben.

Trotzdem wurde das Geschäftsmodell der „Shareconomy“, wo Mehr erst durch Teilen entsteht, lange Zeit argwöhnisch beäugt. Doch inzwischen gehört Teilen zu den Beschleunigern unter den Wachstumsmodellen. Und wie: 17 Startups identifizierten jetzt die Analysten von VBProfiles, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet werden. Das älteste, eBay, durchbrach bereits 1998, drei Jahre nach Gründung, die Milliardengrenze, überlebte gestärkt die Dotcom-Krise und wird heute mit mehr als 71 Milliarden Dollar bewertet. Der Taxi-Konkurrent Uber ist seit 2013 (ebenfalls nach drei Jahren) mehr als eine Milliarde Dollar wert (inzwischen 40 Milliarden) und Wohnraum-Vermieter Airbnb schaffte den Durchbruch 2011 – heutiger Marktwert: zehn Milliarden Dollar.

Alle drei Karrieren stützen den Mythos vom ewig erfolgreichen „Silicon Valley Dweller“, der nur ein paar Investoren für seine Ideen gewinnen muss, ehe er mit seinem Startup durchs Dach schießt. Dass dieser Mythos ebenso wahr wie falsch ist, erlebten jetzt die Teilnehmer der hochkarätig besetzten German Silicon Valley Week, in der der deutsche Startup-Verband Jungunternehmer und Politiker mit Gründern, Weltunternehmen, Investoren und Managementgurus im Tal der unbegrenzten Möglichkeiten zusammenbrachte. Für Wirtschaft und Politik gleichermaßen interessant ist es zu sehen, wie Investoren, Mentoren und Inkubatoren im Valley in einer „Shared Economy“ zusammenarbeiten, um immer neue Firmengründungen mit einer schnellen Exit-Strategie und damit einer attraktiven Rendite für die Geld- und Ratgeber auf den Weg zu bringen. Der Marktführer dort, Y Combinator beispielsweise, hat derzeit Aktienanteile an Startups mit einem Gesamtvolumen von 14 Milliarden Dollar unter Vertrag.

Es sind vor allem die handfesten Stützungsmaßnahmen, die die Jungunternehmer in Begleitung der Parlamentarischen Staatssekretärin Brigitte Zypries, motivierten.Das Bundeswirtschaftsministerium unterstützt beispielsweise seit fast vier Jahren deutsche Startups beim Auftritt auf dem US Markt. „500 startups“ zeigte den Besuchern auf, wie sie die erste und zweite Finanzierungsrunde organisieren. Wie sehr der Startup-Markt gegenwärtig aufgeheizt ist, machte „E Venture“ deutlich, die knapp eine Milliarde Dollar an Gründergeldern managen. Dort rechnet man mit einer baldigen Marktkorrektur und zielt deshalb weniger auf schnelle Exit-Strategien als auf langfristige Strukturen. Auch Ernst&Young setzen mit ihrer auf Beratung ausgelegten Gründerinitiative vor allem auf eine langfristige Planung.

Im deutlichen Gegensatz dazu stehen die zum Teil vollmundigen, wenn nicht vorlauten Lebensäußerungen vieler Jung-Entrepreneure, die wir besuchten. Sie wirkten oftmals übertrieben selbstbewusst, ja geradezu naiv. Aber unter der Sonne Kaliforniens hält sich eine sagenhafte Unbeschwertheit, die sich auch dadurch nährt, dass gescheiterte Gründer immer noch einen Top-Job bei jenen erhalten, die durchgekommen sind. Denn – auch das wurde deutlich – trotz eines schier unerschöpflichen Nachschubs an IT-Einsteigern herrscht im Silicon Valley ebenso Mitarbeitermangel wie in Berlin, München oder Hamburg.

Dabei geht es nicht darum, die überhitzte Atmosphäre des Silicon Valleys nach Deutschland zu holen. In vielen Diskussionen am Rande der German Silicon Valley Week wurde vielmehr deutlich, dass ein „deutscher Weg zu mehr Gründergeist“ keine Kopie des US Way of Life sein muss. Gerade Unternehmen wie die Deutsche Bank, die künftig jährlich bis zu 500 Geschäftsideen von Startups testen will, oder die Labs von SAP, in denen weltweit nach vielversprechenden Partnern gesucht wird, zeigen, dass sich die deutsche Starthilfe für Firmengründer längst formiert hat.

Dabei ist die Startup-Szene selbst eine „Shareconomy“. Informationen über Gründungsverhalten, Starthilfen, Investoren und Technologien wurden freimütig geteilt in dieser Woche der Valley-Wallfahrt. Es gibt gute Gründe fürs Gründen, das erkennen auch hierzulande immer mehr Investoren. Die neu aufgelegten Angebote zum Beispiel der KfW-Bank zeigen deutlich, dass Aufbruchsstimmung in Deutschland aufkommt. Statt „Scher dich zum Teufel“ heißt es bei Bankern immer häufiger: „Share dich zum Glück“.

 

 

Industrie 4.3

Bereits zum dritten Mal steht die Hannover Messe ganz im Zeichen der Digitalisierung und der vernetzten Fertigung, mit der die vierte industrielle Revolution losgetreten werden soll. Mal abgesehen davon, dass das Schlagwort von der „Industrie 4.0“ auch bei der dritten Aufführung nicht griffiger, nicht mitreißender wird und inzwischen ähnlich abgenutzt klingt wie der Begriff vom „Internet der Dinge“: es braucht halt mal wieder so lange, bis aus einer Vision eine Mission wird und sich daraus eine Aktion ergibt.

Aber so ist das nun mal mit den Elefantenschwangerschaften. Und dass Industrie 4.0 ein ganz dickes Ding ist, das bestätigen unisono Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissar Günther Oettinger und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der dem Handelsblatt  nicht nur vorrechnete, dass „Hunderttausende neue Arbeitsplätze“ entstehen können, sondern auch postulierte: „Ein Plus von mehr als 250 Milliarden Euro an Wertschöpfung ist in den nächsten zehn Jahren möglich.“

Was sind da schon drei Jahre fürs Anlauf-Nehmen? Dass auch gesprungen wird, glauben drei Viertel der vom VDE befragten Mitgliedsunternehmen aus der Elektronik, Elektrotechnik und Informationstechnik: Die intelligente Fabrik seit spätestens 2025 Realität. Immerhin befänden sich bereits 70 Prozent der Befragten in einer Analysephase, während schon jeder dritte ein konkretes Projekt in Angriff genommen hat. Ähnlich positiv sieht der Hightech-Verband Bitkom die Lage. Von 100 befragten Unternehmen hat in dessen Studie jedes vierte ein konkretes Projekt am Laufen.

Das Problem ist nur: beide Studien befragen Unternehmen mit höchster Affinität zur Digitalisierung. Sie könnten sozusagen die Speerspitze der Industrie-4.0-Bewegung bilden. Ob aber tatsächlich nach zehn Jahren auch schon die breite Masse an mittelständischen Fertigungsunternehmen nach „Digitalien“ aufgebrochen sein wird, darf dennoch getrost bezweifelt werden. Auch wenn die Einführungsphasen neuer Technologien immer kürzer werden. Aus kaufmännischer Sicht müssen die alten Maschinen immer noch erst einmal abgeschrieben sein und einen Return on Invest erarbeitet haben, ehe Schichtwechsel im Maschinenpark herrscht. Jeder vierte vom VDE Befragte fürchtet, dass die deutsche Industrie zu lange an klassischen Produktionsmethoden festhalten wird.

Kein Wunder, dass hier und da auf der Hannover Messe die Rufe nach mehr Anreizen für Investitionen durch die Politik lauter wird. Zwar sehen sich Automobilbau und Maschinenbau ebenfalls ganz vorne beim Weg ins Digitale Fertigungszeitalter. Aber mehr Rechtssicherheit aus Berlin und Brüssel gerade dort, wo Unternehmensgeheimnisse und operative Daten in die Cloud wandern, wäre schon gut, heißt es beim VDMA. Denn die Furcht vor Spionage, Piraterie und Plagiaten wächst – auch bei den Maschinenbauern, die sich immer stärker einem unlauteren Wettbewerb durch nachgemachte Ersatzteile ausgesetzt sehen. Und auch die VDE-Studie bestätigt: Sieben von zehn Befragten sehen in der nicht gegebenen IT-Sicherheit die größten Hemmnisse.

Und gleichzeitig bleibt die Politik auch bei der Bereitstellung der nötigen Infrastruktur in der Bringschuld. Für die Umsetzung der Digitalen Agenda nimmt die Bundesregierung trotz dreier zuständiger Bundesminister ähnlich lange Anlauf wie die Wirtschaft für die Umsetzung von Industrie 4.0. Da nehmen die Argumente zum Teil schon absurde Formen an, wenn es einerseits heißt, die Zukunft des Industriestandorts Deutschland hinge von diesen Maßnahmen ab, andererseits aber jeder jeden anguckt und die Schultern zuckt: Fangt ihr schon mal an.

Nach der VDE-Studie glaubte vor zwei Jahren noch mehr als die Hälfte der Befragten, dass Deutschland zum Leitanbieter für Industrie 4.0 wird. Jetzt sind es nur noch 40 Prozent. Einer der Sündenböcke für die leichtsinnige Aufgabe von weltwirtschaftlichen Führungspositionen wird dabei in falschen Forschungsimpulsen gesehen. Die Automobilindustrie klagt, dass Deutschland zu lange kein Interesse an modernen Batterien hatte, die jetzt auf dem Weg zur Elektromobilität dringend benötigt werden. Und der Maschinenbau klagt ebenso wie die Elektronik-Industrie, dass viel zu wenig in die Weiterentwicklung Cyber Physical Systems investiert wird. Sie sind es, die das Internet der Dinge überhaupt erst mit Daten und Erkenntnissen füttern und damit die vierte industrielle Revolution mit Leben füllen.

Doch die beklagenswerten Versäumnisse von gestern rechtfertigen nicht die Unterlassungen von morgen. Politik und Wirtschaft sollten nicht jeweils auf den anderen zeigen, wenn es darum geht, Schub zu erzeugen. Sonst wird „Made in Germany“ ein nostalgischer Begriff, der auf der Hannover Messe bereits abgelöst wird durch den Slogan des Gastlandes: „Make in India“.

Internet der Dollars

Das Weltwirtschaftsforum in Davos ist vor allem ein Weltwirtschaftsforum. Das klingt banal bis trivial, muss aber mal geschrieben werden nach einer Woche, in der zwar viel über die Auswirkungen der Draghi´schen Maßnahmen gesprochen wurde, Staatsanleihen im ganz großen Stil aufzukaufen. Das ist immerhin ein Wirtschaftsthema oder zumindest Wirtschaftspolitik. Ansonsten aber dominierten Krisenherde (zum Beispiel Ukraine) und Krisenherren (zum Beispiel Islamisten) und ihre Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung die Agenda in Davos. Zum ersten Mal aber war das Internet als weltweite Plattform des wirtschaftlichen Geschehens dominant vertreten. Davos hat gezeigt: das World Wide Web ist sowohl die Voraussetzung für World Wide Wealth wie für World Wide Weakness.

Zwar meinte Anshu Jain, Co-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, das Geschäft zwischen Banken und ihren Großkunden werde durch die digitale Revolution kaum beeinflusst. Zwar meinte Googles Chairman Eric Schmidt, das Internet werde in absehbarer Zeit verschwinden. Aber beide meinten damit keineswegs, dass das Web für die Wirtschaft an Bedeutung verliert. Im Gegenteil: Sie identifizierten darin jenes disruptive Element, das das wirtschaftliche Gefüge auseinandernehmen und völlig neu zusammensetzen kann.

Jains Vision vom allgegenwärtigen Internet zielt auf das Massenpublikum, das Massengeschäft, das völlig neue Formen der Kommunikation zwischen Anbieter und Millionen interaktiven Individuen verlange. Und Schmidts Internet ist nämlich nicht verschwunden, sondern so allgegenwärtig, dass es als externe Infrastruktur kaum noch wahrgenommen wird, also so transparent wird, dass es unsichtbar ist. Das Web wird durch seine zahllosen am Körper getragenen und in den Gegenständen unserer Umgebung eingebauten Endgeräte so sehr ein Teil von uns selbst, meint Schmidt, dass wir es nicht mehr bemerken.

Wenn – wie in der Vorstellungswelt von Paul Jacobs, dem Verwaltungsratsvorsitzenden des Mobilfunkanbieters Qualcomm – in der Zukunft Technologien wirksam werden, mit denen unser Blut auf Schritt und Tritt auf das Auftauchen von ersten Krankheitserscheinungen hin untersucht wird, dann werde das mobile Internet zum „digitalen siebten Sinn“. Jacobs hofft auf das „hyper-personalisierte Internet“, in dem Nutzer global-galaktische Persönlichkeitsprofile mit Einstellungen zu Sicherheitsstufen, Privatsphäre, Vorlieben etc. an eine zentrale Instanz übermitteln, die dann von allen Webservices und Endgeräten akzeptiert werden. Ein Global-Cookie für den internationalen Datenverkehr.

Dabei ist es faszinierend, dass nicht alle Anbieter und Anwender am gleichen Internet-Kabel ziehen. Die Auswirkungen der Webwirtschaft seien nicht in allen Bereichen der Weltwirtschaft gleich groß, hieß es in der Diskussion. Als aber Kanzlerin Angela Merkel („und ich sage das als deutsche Bundeskanzlerin mit einer starken deutschen Wirtschaft“) das Podium betrat, war „die Verschmelzung der Welt des Internets mit der Welt der industriellen Produktion“ absolute Chefsache. Man müsse, mahnte Merkel, den Weg zu Industrie 4.0 „schnell bewältigen, weil sonst diejenigen, die führend im digitalen Bereich sind, uns die industrielle Produktion wegnehmen werden.“

Drastischer kann man bei aller politischen Korrektheit die Konkurrenz, die aus dem Kabel kommt, kaum anprangern. Oder weniger politisch korrekt: Das Internet der Dinge, ist in Wahrheit das Internet der Dollars. Es erobert und erodiert alle bestehenden Strukturen überall, wo es hinkommt.

Und wenn es dazu noch eines Beweises bedürfte, dann hat ihn IBM soeben geliefert. Big Blue wird sich dem Vernehmen nach von bis zu 110.000 Mitarbeitern trennen, für die in einer Welt des Internet-basierten Cloud Computings aus Sicht des Managements in Armonk keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr existiert. Die alte „Boxenschieber-Mentalität“, die IBM einst zur Weltmacht aufsteigen ließ, ist jetzt das Opfer des disruptiv wirkenden Internets der Dollars. Denn umgekehrt – so hat jetzt die Boston Consulting Group im Auftrag von Qualcomm ausgerechnet – hat allein die Mobilfunkbranche elf Millionen Arbeitsplätze geschaffen – das Hundertfache der jetzt vom Aderlass bei IBM Betroffenen.