Small is the new Big

Als Seth Godin seinen inzwischen legendär gewordenen Blogeintrag über die Vorteile des Kleinteiligen mit der Überschrift „Small is the new Big“ versah, verwandelte er ein Paradoxon in ein sprechendes Paradigma. Er läutete sozusagen das Ende der alten US-amerikanischen Militärveteranen ein, die wie selbstverständlich nach ihrer Karriere auf der Brücke eines Flugzeugträgers in die Vorstandsetage einer Fortune-500-Company wechselten: big Business und big Salary.

Jetzt hat Indiens Premierminister Narendra Modi diesen Begriff übernommen, um ein neues Paradigma für sein Land auf dem Weg in die „Digitale Ära“ zu entwickeln. Denn ähnlich wie in Deutschland, wo 99 Prozent der Unternehmen klein oder mittelständisch geprägt sind, zeichnet sich auch auf dem Subkontinent die Erkenntnis ab, dass ebenso wie die Großkonzerne des Landes, die an weltumspannenden Strukturen arbeiten, es die kleinsten, kleinen und mittleren Unternehmen sind, die das Rückgrat des Landes bilden. Immerhin 60 Prozent der überhaupt in Unternehmen arbeitenden indischen Bevölkerung sind bei Small-and-Medium-Firmen angestellt. Immerhin 40 Prozent des gesamten indischen Exports wird hier produziert.

Und dieser Anteil soll sich weiter steigern, wenn es gelingt, die mittelständischen und kleinen Unternehmen am digitalen Fortschritt teilhaben zu lassen. Das freilich ist eine Herkulesaufgabe, blickt man allein auf die gigantische Fläche von 3,3 Millionen Quadratkilometern, die es mit Breitbandzugängen zu versorgen gilt. Das ist, wie die Diskussion um die Umsetzung der „Digitalen Agenda“ hierzulande bereits zeigt, nur mit äußersten finanziellen Anstrengungen und Anreizen zu stemmen. Aber: Während die indischen und internationalen Global Players ihre Infrastruktur rund um die großen Bevölkerungszentren Indiens aufgebaut haben, befindet sich der größte Teil des indischen Mittelstands in den ländlichen Strukturen dazwischen.

Sie und die rund 250.000 ländlichen Kommunen können nur mobil aus dem All versorgt werden. Allein in diesem Jahr sollen die ersten 50.000 Gemeinden an das National Optical Fibre Network angeschlossen werden. Bereits heute ist Indien der drittgrößte Mobilfunkmarkt der Welt – nach den USA und China. Aber erst zehn Prozent der indischen Bevölkerung nutzen ein mobiles Endgerät. Folglich existiert hier ein schier unvorstellbares Marktpotenzial von rund 900 Millionen Smartphones, Tablets oder Laptops.

Dabei soll gleich alles auf einmal errungen werden: private Personen soll die Teilhabe am Mobile Computing, Kleinunternehmen der Schritt in Richtung „Industrie 4.0“ ermöglicht werden. Beides, so sind sich die Verantwortlichen in Indien einig, bedeutet einen gewaltigen Veränderungsprozess, an dessen Ende eine erstarkte Wirtschaft stehen soll. „Make in India“ (www.makeinindia.com) heißt das nationale Programm, das praktisch keinen Wirtschaftszweig auslässt – vom Automobilbau und Maschinenbau über Hoch- und Tiefbau bis zu Food, Pharma und Chemie, Medien und Unterhaltung. Die Zahlen, die für jeden dieser Sektoren aufgehäuft werden, sollen in- und ausländische Investoren locken. Und sie sind in der Tat beeindruckend: allein der Gesundheitsmarkt wird auf umgerechnet sechs Milliarden Euro geschätzt. Er ist damit viermal so groß wie der IT-Sektor, der immerhin aus 15.000 Unternehmen – 14.000 davon mittelständisch geprägt – besteht.

Da nimmt es nicht wunder, dass die Deutsche Messe, die bereits hierzulande den deutschen Mittelstand mit der CeBIT für die Informationstechnik und mit der Hannover Messe für moderne Produktionsmethoden interessiert hat, ihr Engagement auch nach Indien ausweitet. Derzeit startet in der indischen Technologiehauptstadt Bangalore die CeBIT India 2014 als Kombination aus Ausstellung und Konferenz. Sie setzt die bereits tiefen Beziehungen zwischen dem indischen Hightech-Verband NASSCOM und seinem deutschen Pendant BITKOM fort. Neben den aktuellen Trendklassikern wie Big Data, Mobile Computing, Cloud und Social Business ist eine eigene Session für Startup-Companies vorgesehen. Denn bei „Make in India“ geht es nicht allein darum, die bestehenden kleinen und mittleren Unternehmen ans Netz zu bringen und ihre Produktionsmethoden zu revolutionieren. Indien sucht neue Firmengründer, die das Land mit neuen Ideen überschwemmen. Wenn diese kleinen Unternehmen ins Leben treten, dürfte das in der Tat die nächste große Sache werden. Deutschland sollte vielleicht nicht das Silicon Valley zu kopieren versuchen, sondern „Make in India“. „Made in Germany“ hat schließlich schon mal ganz gut geklappt.

Start us up!

„Ich habe mehr als 30 Jahre darauf gewartet, das folgende sagen zu können: Dad, ich habe dir immer gesagt, dass ich zurückkommen werde, um meine Abschluss nachzuholen“, sagte Microsoft-Gründer Bill Gates zur Eröffnung seiner Rede bei der Abschlussfeier des 2007er-Jahrgangs in Harvard. Und mit der Rückschau nach drei äußerst erfolgreichen Jahrzehnten, mit einem milliardenschweren Vermögen und der Gewissheit, ein Lebenswerk sowohl in der Informationstechnik als auch im Gesundheitswesen geschaffen zu haben, das seinesgleichen sucht, kann man den tobenden Applaus für diesen Satz auch mit breitem Grinsen genießen…

Aber vorher, in den Gründerjahren war da dieser pickelige, bebrillte Nerd, der alles andere als sicher sein konnte, dass die Geschäftsidee, mit der er Harvard vorzeitig verlassen hatte, überhaupt bis zum ersten oder zweiten Geschäftsjahresabschluss halten würde. Zukunftsgewissheit steht ebenso an der Wiege eines jungen Unternehmens wie die Angst vorm Scheitern.

Oder die Angst, nach dem Scheitern stigmatisiert zu sein – als Loser, als einer, ders vergeigt hat. Rund zwei Drittel der deutschen Unternehmensgründer sehen (und fürchten) die kulturell bedingte negative Würdigung eines Fehlschlages, wie sie hierzulande üblich ist. Kein „der hats schon mal erlebt“, kein „aus Erfahrung wird man klug“. Die „Kultur der zweiten Chance“, die in den USA – zumindest im Wirtschaftsleben – fest verankert ist, fehlt in Deutschland.

Aber die deutschen Gründer sind deshalb keineswegs unerfahren, wie der zweite Deutsche Startup-Monitor in Erfahrung gebracht hat. Während das Durchschnittsalter deutscher Firmen-Starter bei 35 liegt und zugleich Mehrfachgründer mit 50 Prozent die größte Einzelgruppe bilden, zeigen die Startups selbst, dass ihre Frühphase immer professioneller gestaltet wird. Vom Business Case bis zum Recruiting neuer Mitarbeiter, von der Markteinführung bis zur Marktausweitung verlaufen die Geschäftsprozesse nach Best Practices, die in den vergangenen Jahrzehnten an Business Schools, durch Business Angels und durch Berufserfahrung etabliert wurden. Anteil daran hat auch der Bundesverband Deutsche Startups, der den Deutschen Startup Monitor letztes Jahr erstmals initiiert hat und jetzt sein zweijähriges Bestehen feiert.

Den Gründungserfolg nicht dem Zufall überlassen – das könnte als gemeinsame Überschrift über zahlreiche Initiativen rund um die deutsche – übrigens überwiegend (mit 31 Prozent) Berliner – Startup-Szene gelten. Denn eines ist klar: erfolgreiche Jungunternehmen stellen in ihrer Gesamtheit eine ebensolche Wirtschaftskraft dar, wie so manches etabliertes Industrieunternehmen. Und: sie sind mit rund 17 Mitarbeitern nach der Gründungsphase einer der wichtigsten Job-Motoren im Land. Konkret gerechnet: Wenn die rund 900 befragten Startup-Unternehmen im Durchschnitt im kommenden Jahr jeweils zehn weitere Arbeitsplätze schaffen wollen, dann ist das ein Potenzial vom 9000 Arbeitsplätzen.

Dazu – sagen die befragten Gründer – benötigen sie in Summe ein Wachstumskapital von rund 650 Millionen €uro. Das entspricht einem Investment von 72.000 €uro pro zusätzlichem Arbeitsplatz. Gar nicht mal so wenig, möchte man meinen. Gar nicht mal so viel, möchte man meinen, wenn man bedenkt, dass die Agentur für Arbeit im Rahmen ihrer laufenden Tätigkeit Beschäftigungsverhältnisse in Höhe von bis zu 75 Prozent unterstützt.

Aber den Gründern geht es um Kapital, nicht um Beihilfe. Sie wollen ihr Wachstum finanzieren, nicht ihre Kosten verteilen. Dafür wollen sie ihren Erfolg teilen. Die typische Neugründung erfolgt nicht im Elfenbeinturm, sondern in einer teamorientierten, kommunikativen Umgebung. Und bis zu 13 Prozent der Unternehmensanteile sind heutige Starter bereit, mit ihren Mitarbeitern erfolgsorientiert zu teilen. Deshalb ist es auch interessant, dass sich viele Neugründungen nicht um ichbezogene Innovationen, sondern um teamorientierte Geschäftsmodelle ranken. Die wahre Innovation der Startups liegt nicht unbedingt in der Technologie – hier dominieren IT-Klassiker wie Cloud, eCommerce oder mobile Apps -, sondern in der Geschäftsidee, die bewährtes weiterentwickelt, alte Prozesse mit neuen Methoden aufpoliert. Dass dabei Infrastrukturen wie Cloud oder Mobile Computing und Soziale Medien ins Zentrum der Geschäftsidee gestellt werden, kann nicht überraschen. Wer beispielsweise wie Graphmaster nicht einfach nur ein neues Navigationssystem entwickeln will, sondern alte und neue Infrastrukturen miteinander verknüpft, indem er Straßenkarten mit den Routenplänen anderer Autofahrer vernetzt, der schafft nicht unbedingt neue Technologien, aber neue Geschäftsideen durch die Verknüpfung etablierter Mechanismen.

Davon lebt Deutschland. Startup starten sich nicht nur selbst, sie pushen auch den Standort Deutschland. „If you start me up“, sangen die Rolling Stones (übrigens auch zum Launch des legendären Microsoft Windows 95), „If you start me up I´ll never stop.“ Dass es so kommen möge, gehört zum Gründungsmythos des Bundesverbands Deutsche Startups, dem ich herzlich zum zweiten Geburtstag gratuliere.

 

Diesem Ende wohnt ein Anfang inne

Risikokapital ist kein Bund fürs Leben. Wer in junge Unternehmen investiert, will sein Geld in absehbarer Zeit wiedersehen – plus Rendite, versteht sich.

Versteht sich das wirklich von selbst? In Deutschland, so scheint es, gibt es für diesen Grundsatz unternehmerischen Handelns in der Gründerszene durchaus noch Erklärungsbedarf. Für den Bundesverband Deutsche Startups immerhin Grund genug, eine eigene Exit Conference in Berlin abzuhalten – und weil es so nah war, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel als Keynote-Speaker zu bitten. Der kam auch und stellte sich in die Tradition seines freidemokratischen Vorgängers Philip Rösler. Der hatte mit seiner Reise ins Silicon Valley vor gut einem Jahr die Diskussion um mehr Gründergeist in Deutschland losgetreten.

Und der Ball rollte bis ins Koalitionspapier der Bundesregierung, worin ein Nachfolger des Neuen Markts unter dem Arbeitstitel „Markt 2.0“ als ein wesentliches Element einer gesunden Exit-Strategie für Risikokapitalgeber festgeschrieben worden war. Schließlich ist der Börsengang einer der elegantesten Wege für junge Unternehmen, Risikokapital durch breit gestreutes Kapital zu ersetzen, und für Investoren, aus dem Geburtshelfer-Engagement auszusteigen, „wenn das Kind auf eigenen Beinen steht“.

Denn nichts ist wichtiger für eine blühende Gründerszene, als dass Risikokapital zum richtigen Zeitpunkt (und damit mit Erfolgsaussichten) aus dem Unternehmen gezogen wird und neuen Gründungsideen zur Verfügung gestellt werden kann. Der Rückkauf des investierten Geldes durch die Gründer selbst ist jedoch eher eine Ausnahme – und würde ebenfalls wichtige finanzielle Substanz im Unternehmen binden, statt als zusätzliche Wachstumsspritze für neuen Schub sorgen zu können.

Dass Deutschland hier noch eine Menge mehr Schub benötigt, machte auch Sigmar Gabriel klar, der die sieben Börsengänge des vergangenen Jahres in Relation zu den 222 IPOs setzte, die allein in den USA im gleichen Zeitraum verzeichnet worden waren. Zwar seien hierzulande letztes Jahr immerhin 674 Millionen Euro an Wagniskapital in Wachstumsfirmen gestopft worden – in den USA sind im gleichen Zeitraum jedoch umgerechnet 21,5 Milliarden Euro in die Startup-Szene geflossen. Das US-amerikanische Bruttoinlandsprodukt ist jedoch nur 4,7mal so groß wie die 2,4 Billionen Euro der deutschen gesamtwirtschaftlichen Leistung.

674 Millionen Euro – das ist zwar deutlich mehr als in anderen europäischen Ländern – doch in Relation zum Bundesinlandsprodukt sind dies gerade mal 0,026 Prozent. Finnland steckt im Vergleich dazu 0,067 Prozent des BIP in neue Firmen, Irland praktisch ebenso viel. Hinter Schweden, Schweiz, Frankreich, Dänemark, Niederlande und Großbritannien auf den folgenden Plätzen rangiert Deutschland erst an neunter Position – mit deutlicher Luft nach oben…

Dieses Investitionsvolumen könnte ein „Neuer Markt 2.0“ deutlich erhöhen – und davon würden nicht nur Gründer in Deutschland, sondern in ganz Europa profitieren können. Ein zweiter wichtiger Schritt wären Steuererleichterungen für Risikokapitalgeber, wie sie im derzeit vorbereiteten Venture Capital Gesetz geplant sind. Und ein dritter Schritt wäre der gesunde Menschenverstand bei den Banken – statt Minuszinsen für gehortetes Geld zu zahlen, sollten Gründerfonds mit geringer Renditeerwartung ins Leben gerufen werden. Das wäre immer noch ein Geschäft – für alle Beteiligten.

Und florierende Exit-Strategien, die dabei helfen, das investierte Geld in einem geregelten Prozess wieder aus dem Jungunternehmen – in der Regel nach zwei bis sieben Jahren – herausnehmen zu können, sollen ebenfalls dazu beitragen, in Deutschland eine regelrechte Gründungs-Industrie nach dem Baukastenprinzip entstehen zu lassen. Denn damit wohnt, ganz nach Hermann Hesses „Stufen-Konzept“, jedem Ende auch ein Anfang inne.

Aber nicht nur, meinte Sigmar Gabriel, der auf der Exit Conference auch darauf hinwies, dass in Deutschland Unternehmen gerade in der schwierigen Wachstumsphase – also durchaus auch nach der Sieben-Jahres-Frist – günstiges Geld aus investitionsbereiter Hand zur Verfügung stehen muss. Dass dies oft nicht so sei, sagte Gabriel, sei oftmals ein Grund dafür, dass deutsches Knowhow dann doch ins Ausland abwandere und zukünftige Marktführer sich außerhalb der Grenzen bildeten. In diesem Fall würde dem Anfang gleich auch das Ende innewohnen…