Diesem Ende wohnt ein Anfang inne

Risikokapital ist kein Bund fürs Leben. Wer in junge Unternehmen investiert, will sein Geld in absehbarer Zeit wiedersehen – plus Rendite, versteht sich.

Versteht sich das wirklich von selbst? In Deutschland, so scheint es, gibt es für diesen Grundsatz unternehmerischen Handelns in der Gründerszene durchaus noch Erklärungsbedarf. Für den Bundesverband Deutsche Startups immerhin Grund genug, eine eigene Exit Conference in Berlin abzuhalten – und weil es so nah war, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel als Keynote-Speaker zu bitten. Der kam auch und stellte sich in die Tradition seines freidemokratischen Vorgängers Philip Rösler. Der hatte mit seiner Reise ins Silicon Valley vor gut einem Jahr die Diskussion um mehr Gründergeist in Deutschland losgetreten.

Und der Ball rollte bis ins Koalitionspapier der Bundesregierung, worin ein Nachfolger des Neuen Markts unter dem Arbeitstitel „Markt 2.0“ als ein wesentliches Element einer gesunden Exit-Strategie für Risikokapitalgeber festgeschrieben worden war. Schließlich ist der Börsengang einer der elegantesten Wege für junge Unternehmen, Risikokapital durch breit gestreutes Kapital zu ersetzen, und für Investoren, aus dem Geburtshelfer-Engagement auszusteigen, „wenn das Kind auf eigenen Beinen steht“.

Denn nichts ist wichtiger für eine blühende Gründerszene, als dass Risikokapital zum richtigen Zeitpunkt (und damit mit Erfolgsaussichten) aus dem Unternehmen gezogen wird und neuen Gründungsideen zur Verfügung gestellt werden kann. Der Rückkauf des investierten Geldes durch die Gründer selbst ist jedoch eher eine Ausnahme – und würde ebenfalls wichtige finanzielle Substanz im Unternehmen binden, statt als zusätzliche Wachstumsspritze für neuen Schub sorgen zu können.

Dass Deutschland hier noch eine Menge mehr Schub benötigt, machte auch Sigmar Gabriel klar, der die sieben Börsengänge des vergangenen Jahres in Relation zu den 222 IPOs setzte, die allein in den USA im gleichen Zeitraum verzeichnet worden waren. Zwar seien hierzulande letztes Jahr immerhin 674 Millionen Euro an Wagniskapital in Wachstumsfirmen gestopft worden – in den USA sind im gleichen Zeitraum jedoch umgerechnet 21,5 Milliarden Euro in die Startup-Szene geflossen. Das US-amerikanische Bruttoinlandsprodukt ist jedoch nur 4,7mal so groß wie die 2,4 Billionen Euro der deutschen gesamtwirtschaftlichen Leistung.

674 Millionen Euro – das ist zwar deutlich mehr als in anderen europäischen Ländern – doch in Relation zum Bundesinlandsprodukt sind dies gerade mal 0,026 Prozent. Finnland steckt im Vergleich dazu 0,067 Prozent des BIP in neue Firmen, Irland praktisch ebenso viel. Hinter Schweden, Schweiz, Frankreich, Dänemark, Niederlande und Großbritannien auf den folgenden Plätzen rangiert Deutschland erst an neunter Position – mit deutlicher Luft nach oben…

Dieses Investitionsvolumen könnte ein „Neuer Markt 2.0“ deutlich erhöhen – und davon würden nicht nur Gründer in Deutschland, sondern in ganz Europa profitieren können. Ein zweiter wichtiger Schritt wären Steuererleichterungen für Risikokapitalgeber, wie sie im derzeit vorbereiteten Venture Capital Gesetz geplant sind. Und ein dritter Schritt wäre der gesunde Menschenverstand bei den Banken – statt Minuszinsen für gehortetes Geld zu zahlen, sollten Gründerfonds mit geringer Renditeerwartung ins Leben gerufen werden. Das wäre immer noch ein Geschäft – für alle Beteiligten.

Und florierende Exit-Strategien, die dabei helfen, das investierte Geld in einem geregelten Prozess wieder aus dem Jungunternehmen – in der Regel nach zwei bis sieben Jahren – herausnehmen zu können, sollen ebenfalls dazu beitragen, in Deutschland eine regelrechte Gründungs-Industrie nach dem Baukastenprinzip entstehen zu lassen. Denn damit wohnt, ganz nach Hermann Hesses „Stufen-Konzept“, jedem Ende auch ein Anfang inne.

Aber nicht nur, meinte Sigmar Gabriel, der auf der Exit Conference auch darauf hinwies, dass in Deutschland Unternehmen gerade in der schwierigen Wachstumsphase – also durchaus auch nach der Sieben-Jahres-Frist – günstiges Geld aus investitionsbereiter Hand zur Verfügung stehen muss. Dass dies oft nicht so sei, sagte Gabriel, sei oftmals ein Grund dafür, dass deutsches Knowhow dann doch ins Ausland abwandere und zukünftige Marktführer sich außerhalb der Grenzen bildeten. In diesem Fall würde dem Anfang gleich auch das Ende innewohnen…

 

 

Größe ist doch wichtig

Das neue „Body-Maß“ im mobilen Computing beträgt ganze 22,86 Zentimeter. Unterhalb dieser Bildschirmdiagonale von neun Zoll gibt es künftig die mobile Variante von Windows „für umme“. Null €uro Lizenzgebühr für Smartphones oder Tablets unterhalb dieser Messgröße – das ist ein Beispiel, wie Microsoft im hart umkämpften Markt der mobilen Endgeräte aufholen will. Wer auf Stückzahlen kommen will, so die Erkenntnis, die zu einem fundamentalen Wechsel im Geschäftsmodell der Windows-Company führt, muss vor allem im Markt für Kleingeräte erfolgreich sein.

Und fürs Hochpreissegment gibt’s ja die neuen Nokias – inklusive dem neuen Windows Phone 8.1, das mit Cortana (dem AI-Charakter aus dem Videospiel „Halo“) jetzt über einen Sprachassistenten verfügt. Und es gibt rund 500 neue Apps pro Tag im Windows Store. Allein 75.000 Start-up-Companies arbeiten weltweit an der neuen Identität, die Microsoft unter Satya Nadella annehmen will.

Die wichtigste Änderung dabei, die den Entwicklern auf der Build-Konferenz in San Francisco angekündigt wurde, ist in der Tat ein Durchbruch: Apps sollen künftig identisch auf PCs, mobilen Devices oder am Fernseher (über Xbox One) laufen. Bisher waren Code-Anpassungen für alle drei Plattformen notwendig. Aus Anwendersicht funktioniert diese Form der Plattformdurchlässigkeit ebenfalls: eine einmal erworbene App (zum Beispiel auf dem Smartphone) soll auch für den PC gelten.

Das Ziel ist klar: Microsoft muss und will seine Lösungen auf allen Endgeräten über die Cloud zur Verfügung stellen und dabei auch Marktführerschaft zurückgewinnen. Insofern ist Nadellas Strategie des „Mobile first, Cloud first“ durchaus eine Modifikation von Steve Ballmers Strategie des „all Devices first“. Aber es gibt doch einen entscheidenden Unterschied. Wo Ballmer Rückzugsgefechte focht, präsentiert Nadella die Vision vom nächsten großen Ding, das es zu erobern gilt. Und dieses große Ding ist klitzeklein. Dafür aber künftig millionenfach im Web aktiv.

Das Internet der Dinge ist das Zielgebiet, in dem künftig Microsofts Mobillösungen für Furore sorgen sollen. Zehn Jahre nach dem Fehlversuch mit SPOT sind Internet-Uhren, aber auch Web-Brillen und andere „Wearables“ eine Zielmenge, für die Microsoft mit seinen Entwicklern und Partnern künftig Apps entwickeln will. Auch im Auto will Microsoft mit Windows (Phone) 8.1 weiter vordringen. Neueste Beispiele wurden ebenfalls in San Francisco gezeigt. Hinter den auto-mobile Devices verbirgt sich ein Riesenmarkt. Aber zusätzlich sollen Windows-Apps künftig sowohl im Maschinenpark von Produktionsunternehmen ticken als auch in den Haushaltsgeräten daheim. Die nächsten Märkte, die Digitalisierung der Fertigung („Industrie 4.0“) und Heimvernetzung („Internet der Dinge“), sind in den Fokus der Redmond-Entwickler gerückt. Die Xbox One steuert dann nicht nur die Spiel- und Sportaktivitäten der ganzen Familie, sondern auch den Kühlschrank in der Küche und den 3D-Drucker in der Werkstatt.

Für all diese neuen Endgeräte im Internet der Dinge wird Windows aller Voraussicht nach nicht weiter lizenzpflichtig sein – das besagt die Neun-Zoll-Regel, die jetzt in San Francisco verkündet wurde. Denn Windows verschwindet als Plattform im Hintergrund, während die Cloud mit Windows Azure die Regie übernimmt. Denn eine Vision hat Nadella in San Francisco klar durchblicken lassen: Je kleiner (und zahlreicher) die Devices, desto größer die Cloud.

Dazu ist die Durchgängigkeit der Lösungen entscheidend. Denn im Wettrennen mit Google, Apple, Facebook oder Amazon sollen Windows-Apps die Welt von morgen überall steuern. Ob sie dann noch Windows-Apps oder nicht doch vielmehr Microsoft-Apps heißen werden, wird viel darüber aussagen, welche Marke in Redmond als stärker angesehen wird – jetzt schon heißt die Schlussfolgerung aus „Mobile first, Cloud first“ logischerweise „Microsoft first“.

Die Schlüssel-Messe

Das Paradoxon der diesjährigen CeBIT wurde gleich zur Eröffnung überdeutlich sichtbar: Die beiden wesentlichen Trends, die hier in Hannover präsentiert werden, sind zugleich die Antipoden einer global vernetzten Datenwelt: Entschlüsselung und Verschlüsselung.

Und nirgendwo wurde das deutlicher als im Eröffnungsvortrag des Volkwagen-Vorstands-Vorsitzenden Martin Winterkorn, der das Cockpit der Zukunft nicht nur mit der nötigen Wahrnehmung und Rechenkraft ausgestattet sieht, um Autos autonom durch den Verkehr steuern zu lassen. Die Werkzeuge dafür sind auch gleichzeitig bestens geeignet, den selbst steuernden Fahrer in seinem Handeln zu überwachen – zu seinem Besten natürlich.

Schneller kann man in das gesellschaftspolitische Grunddilemma der heutigen Zeit gar nicht einfahren: So viel steuernde Erleichterung wie nötig bei so wenig Einschränkung der Selbstbestimmung wie möglich. Die Informationstechnologie mit ihren Überwachungs- und Überraschungsmöglichkeiten steht gewissermaßen am Scheideweg.

Insofern ist die CeBIT in diesem Jahr ganz gewiss eine Schlüssel-Messe. Sie weist nicht nur auf die Trends der kommenden Zeit, sondern auch auf ihre gesellschaftlichen Konsequenzen hin.

So zeigte sich denn auch die Kanzlerin skeptisch, als sie nach Martin Winterkorn die CeBIT-Bühne betrat und immerhin einen positiven Aspekt der VW-Vision abringen konnte: „Herr Winterkorn hat Menschen, die nie eine Fahrerlaubnis machen wollten, eine Perspektive gegeben“, scherzte Angela Merkel, nicht ohne hinzuzufügen: Vor allem aber gehe es um die „Selbstbehauptung des Menschen“. Wenn sich „Big Data“ auf „Big Brother“ reimt, sind Selbstbehauptung und Selbstbestimmung gefährdet.

Dabei ringt die CeBIT unter dem Motto „Datability“ vor allem darum aufzuzeigen, wie die „Lebensqualität des Menschen“ gerade dadurch erhöht werden könne, dass große Datenmengen ausgewertet und zu neuen Erkenntnissen führen können. Zum Beispiel solchen, mit denen Anbieter besser und genauer auf individuelle Bedürfnisse eingehen können. Oder wie bislang nicht erkannte Zusammenhänge zum Beispiel in der Medizin zu einer besseren Gesundheitsversorgung führen. Oder wie eine verbesserte Übersicht über Verkehrsströme – und dies auch noch in Echtzeit – weniger Staus und Gefahrenpunkte im Straßenverkehr ermöglichen.

Die Zahl derer, die sich auf der CeBIT mit Big-Data-Lösungen der Entschlüsselung solcher Rätsel widmen, hält sich mit jenen, die sich auf der Messe mit der Verschlüsselung von Daten befassen in etwa die Waage. Nirgendwo sonst kann man den Wettbewerb zwischen digitaler Aufrüstung und digitaler Abrüstung so gut beobachten, wie auf der CeBIT in Hannover.

Die Computermesse hat damit in der Tat ihren Charakter verändert. Sie ist gesellschaftlich relevanter geworden – und das ausgerechnet in einem Jahr, in dem erstmals nur Fachpublikum aufs Messegelände gelassen wird. Dabei allerdings mag noch unsicher sein, wie man in einer offenen Gesellschaft den arrivierten Fachanwender vom bloßen Hobbycomputisten unterscheiden mag. Das Unterscheidungskriterium „Turnschuhe“ ist schon seit den achtziger Jahren unzuverlässig. Und Firmenzugehörigkeit lässt noch lange nicht auf Fachkompetenz schließen.

Auch hier macht die CeBIT in ihrer Dialektik durchaus ein Grundparadox deutlich: So sehr es wünschenswert erscheint, die Daddel- und Sammel-Experten außen vor zu lassen, so sehr ist es gleichzeitig erwünscht, dass junge, aufstrebende Firmengründer, innovative Freaks und App-Designer ihren Weg in die Messehallen finden und jenen Schub in die Informationswirtschaft bringen, der einen Gegenpol zur US-amerikanischen Start-up-Gesellschaft abgeben soll.

Von kaum etwas anderem als dieser jungen Generation der innovativen Entrepreneure sprach denn auch Großbritanniens Premierminister David Cameron in seiner Eröffnungsrede. Er lobte nicht etwa die Cyber-Experten im Government Communications Center in Cheltenham, sondern die Jungunternehmer am „Silicon Roundabout“ in Londons altehrwürdiger Old Street. Start-ups, so lautete das gemeinsame Credo von Bundeskanzlerin Merkel und Prime Minister Cameron, sind der Jungbrunnen der europäischen IT-Industrie und die einzig richtige Antwort auf die US-amerikanische Herausforderung. Und womit sollen sie sich beschäftigen? Mit der Entschlüsselung von Rätseln und der Verschlüsselung von Daten.

Die CeBIT ist in diesem Jahr wahrlich ein Schlüssel-Ereignis.