Das Internet of Think

Lange nichts mehr von Watson gehört, dem an künstliche Intelligenz glaubenden Supercomputer der IBM! Vorgestern noch hat er in der US-Quizshow „Jeopardy!“ als erster nicht-menschlicher Teilnehmer gewonnen, gestern noch hat er seinen Arbeitgeber, die IBM, bei der Definition der eigenen Produkt- und Marketingstrategie beraten und heute? Ja, heute kann er sogar Ironie! Und das lässt sich wohl nur über die wenigsten US-Bürger sagen.

Aber der Supercomputer Watson, der heute schon Ärzte bei der Diagnose, Börsianer bei der Aktienanalyse und Chemiker bei der Suche nach neuen Molekülen und damit Wirkstoffen unterstützt, dieser Watson ist gar kein US-Citoyen mehr, sondern ein Deutscher. Ein – wie man so sagt – waschechter Münchner gar. Watson ist ab jetzt die Inkarnation des „Laptop-und-Lederhose“-Postulats.

Watson ist nämlich jetzt Kern der neuen IBM Business Unit, die sich um das Internet of Things kümmern soll, aber mit der wissensbasierten Watson-Technologie daraus so etwas wie das Internet of Think machen soll. 1000 Menschen sollen in Kürze von München aus diese vielleicht wichtigste Zukunftstechnologie der IBM mit ihren Tausend-und-Einer-Möglichkeiten in die Wirtschaftswelt bringen.

Beispiele gibt es bereits genug: So hat sich die Versicherungskammer Bayern (VKB) der Dienste von Watson versichert, um die sieben Millionen Kundenbriefe, die über Jahr und Tag im Postfach landen, schneller und vor allem kundengerechter analysieren zu lassen. Watson scannt jetzt die Beschwerden nach semantischen und inhaltlichen Kriterien wie „Auslöser“, „Unmutsäußerung oder „Forderung“. Ein hypothetischer Satz wie etwa „Ich habe von Ihnen seit drei Monaten keine Reaktion auf meine Beschwerde erhalten“ (Auslöser), „deshalb fühle ich mich von Ihnen missachtet“ (Unmutsäußerung) „und fordere Sie letztmalig auf“ (Forderung) wird mit Watsons Hilfe jetzt sofort an den richtigen Kümmerer weitergeleitet – selbst, wenn die Anfrage ironisch daherkommt.

Und wie kommt da das Internet der Dinge ins Spiel? Nun, über kurz oder lang werden die Milliarden von Maschinen, Sensoren und Aktoren, die über das World Wide Work Web Daten austauschen, die größte Datenquelle auf diesem Planeten sein. Aber rund 90 Prozent dieser Informationen wird unausgewertet bleiben, wenn keine Werkzeuge entwickelt werden, die diese Daten analysieren. Das ist einerseits Aufgabe der Big-Data-Analysewerkzeuge, die es über Cloud Services oder als Standalone-Installationen bereits heute gibt. Mit Watson aber, so die Hoffnung der IBM und zahlreicher ihrer Kunden, können diese Daten auch nach Kriterien durchforstet werden, die kognitiven Eigenschaften ziemlich nahe kommen. Künstliche Intelligenz eben.

Deshalb wird es weltweit mehrere Watson IoT Client Experience Centres geben: neben München auch in Böblingen, von wo aus IBM seit jeher die mittelständische deutsche Automobilzuliefer- und Maschinenbauindustrie bedient. Darüber hinaus werden in den Standorten Peking, Seoul, Tokyo in Asien, Sao Paolo und drei weitere US-Standorte in Amerika mit “Watsonites”, also Spezialisten für die kognitive Informationsverarbeitung, ausgestattet. Sie sollen vor allem die Digitalisierung der Fertigungs- und Kundenkommunikationsprozesse vorantreiben und zugleich in dem bereits bewährten Terrain des Gesundheitswesens Fahrt aufnehmen.

80 Prozent der Daten, so glaubt IBM, können mit Watsons Hilfe gedeutet und ausgewertet werden. Und darauf soll sich das zukünftige Geschäftsmodell der IBM gründen. Das wird in der Tat auch dringend gebraucht, denn mit dem bisherigen Portfolio aus Hardware, Systemsoftware, Outsourcing, Beratung oder Cloud Services hat Big Blue Quartal um Quartal Verluste eingefahren. Übernehmen Sie, Watson!

Partnertausch

Offensichtlich gibt es immer noch keine Klarheit darüber, wie viele Mitarbeiter IBM nun in den kommenden Wochen (oder bisher schon) entlässt. Die schockierende Zahl von 110.000 Mitarbeitern – oder gut einem Viertel der Gesamtbelegschaft – mag als zu hoch gegriffen erscheinen. Sicher ist aber, dass IBM im Zuge der letzten Restrukturierungen 2000 Partner verloren hat. Sie sind mit dem Verkauf des x68-Server-Geschäfts an Lenovo mit in das chinesische Ecosystem gewechselt.

Die Zahl nannte Ginny Rometty auf der PartnerWorld in Las Vegas, als sie das ganze Ausmaß des Transformationsprozesses skizzierte, dem sich IBM derzeit unterzieht. Im gleichen Zeitraum nämlich sind zehntausend neue Partnerunternehmen dem globalen Kanalnetz der IBM beigetreten. Statt der Büchsenschieber jetzt also Entwickler für Cloud- und Mobile-Anwendungen, Security und Analytics – vier der Mainstream-Entwicklungen, aus denen IBM künftig wieder Umsatzsteigerungen generieren will. Zusammen mit den Partnern – aber nur, wenn die sich ebenfalls einer so massiven Transformation unterziehen wie die IBM.

Denn – ob nun bei IBM, Microsoft oder SAP – mit Partnern, die über die Distribution kaum einen Mehrwert erbringen, kann kein Ökosystem in der Informationswirtschaft mehr etwas anfangen. Distribution – das übernimmt künftig die Cloud. Systemadministration – das macht die Cloud. Customer Service – da gibt’s doch auch etwas aus der Cloud. Dazu braucht es künftig keine Low-Skill-Partner mehr. Der Added Value muss her, aus Sicht der IBM am besten in Form eines mobilen Cloud-Services auf der Analyse-Basis von Watson oder der der SoftLayer-Architektur.

Dabei betreibt IBM selbst den eigenen Turnaround bis zur Unkenntlichkeit. Man sieht jetzt IBM-Berater mit Management-Präsentationen auftreten, die von einem Max abgespult werden und eindeutig die Handschrift des neuen – und offensichtlich dominierenden IBM-Partners Apple aufweisen. Immerhin zehn Apps auf dem iPad sind bereits aus der Partnerschaft mit Apple entstanden – zunächst sämtlich branchenorientierte Speziallösungen. Im laufenden Jahr sollen weitere 90 Apps hinzukommen. Die neuen Apps sollen stärker horizontal ausgelegt sein und zum Beispiel Lösungen entlang der Supply Chain offerieren. Das wiederum dürfte nur in enger Partnerschaft mit den führenden ERP-Anbietern funktionieren.

So aber soll künftig das neue Cloud- und Mobile-Geschäft funktionieren. Add-Value-Solutions von Partnern auf iPads von Apple und im Hintergrund tickt die Architektur der IBM. Dafür hat sich Big Blue nicht nur selbst eine neue Organisationsstruktur verpasst, die eine stärkere Lösungsorientierung aufweist. Auch die Partnerorganisation wird diesen Rubriken – Watson, Security, Cloud, Mobile etc. – angepasst. Und wichtiger noch: so wie die Schranken innerhalb der IBM fallen, um eine stärker horizontale Durchmischung der Lösungen zu erreichen, sollen auch die Vertriebskanäle als One Channel Team zusammengefasst und interdisziplinär interaktiv werden.

Lediglich 20 Prozent ihres Umsatzes generiert IBM derzeit durch Partner. Das klingt mau, ist aber durchaus stattlich, wenn man berücksichtigt, dass eine ganze Reihe von Lösungsangeboten – wie bislang zum Beispiel das Globale Outsourcing Business – praktisch ohne Partnervermittlung läuft. In stärker lösungsorientierten Bereichen ist der Partneranteil am Umsatz durchaus oberhalb der 50-Prozent-Marke.

Aber genau hier sei mehr drin, sind Ginny Rometty und ihr Channelchef Marc Dupaquier überzeugt. Die schlichte Formel lautet: mehr Value Add, mehr Profit. Und das soll für beide Seiten der Partnerschaft gelten. Um mehr als die Hälfte erhöhen will Marc Dupaquier als General Manager IBM Global Business Partners den Umsatzanteil, der durch befreundete Firmen in die Kassen nach Armonk strömt.

Dazu scheinen Unternehmen, die keinen Turnaround nötig haben, noch attraktiver zu sein, als im Markt aktive Unternehmen, die ihre Kraft derzeit für ihren eigenen Schwenk benötigen. Deshalb fördert IBM Startups was das Zeug hält. Unternehmen, die jünger als fünf Jahre alt sind können – den entsprechend attraktiven Business Plan vorausgesetzt – mit einer Wachstumsspritze zwischen 100.000 und 150.000 Dollar rechnen. Als Darlehen, versteht sich. Aber aus Sicht der IBM, die ja noch lange kein Liquiditätsproblem haben dürfte, könnte das ein interessanter Coup werden.

Heute schon die Partner von morgen an sich binden. Das ist Partnertausch mit Nachhaltigkeitsgarantie. Und irgendwann muss ja auch das ewige Transformieren mal wieder zu Ende sein.