Größe spielt keine Rolle

Was unterscheidet eigentlich ein Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern von einem Unternehmen mit mehr als 1000? Grundsätzlich doch eigentlich nichts – oder doch? Die Aufbauorganisation mag ein wenig komplexer sein: aus Referaten werden Abteilungen, aus Geschäftsführern Vorstände, aus Niederlassungen Landesgesellschaften. Aber die Art und Weise, wie sie ihre Branche definieren, ihre Kunden verstehen, ihre Geschäftsprozesse interpretieren und ihre Produkte entwickeln, ist unabhängig von der Firmengröße gleich.
Lange Zeit galt es aber unter IT-Anbietern als ausgemacht, dass die Komplexität einer Unternehmenslösung mit der Größe des Unternehmens zunehmen muss. Mittelstandsgerecht war demnach gleichbedeutend mit kompakt, Konzerngerecht bedeutete komplex. Small and Medium Companies waren immer knapp bei Kasse, Global Player hatten unerschöpfliche Budgets. Kein Wunder also, dass diese Weltsicht zu zwei völlig unterschiedlichen Vertriebsorganisationen führte: hier die Generalisten mit der Gold-DVD für jede Aufgabenstellung, dort die Spezialisten in einem Stab an Unternehmensberatern und IT-Experten. IBM, SAP, Oracle oder Microsoft – sie alle leisteten sich einen dualen Vertrieb, der – wie man so sagt – auf Augenhöhe mit dem Kunden kommunizieren sollte.
Der digitale Wandel scheint auch dieses Fundament des Software-Vertriebs aufzulösen: Nicht nur zeigt sich mehr und mehr, dass die Geschäftsprozesse in mittelständischen Unternehmen genau so komplex sein können wie in großen Konzernen. Sondern es zeigt sich auch, dass die Weiterentwicklung von IT-Strukturen und die Aktualisierung von Software und Systemen am besten über die Cloud funktioniert. Es ist höchstens noch eine Frage der Economies of Scale, ob 500 oder 1000 Arbeitsplätze aktualisiert werden sollen. Und es ist noch nicht einmal eine Frage der Größe, ob zusätzliche Cloud-Services neue Einsatzmöglichkeiten bieten. Eigentlich wussten wir es schon immer: Größe spielt keine Rolle.
Microsoft scheint diese Dichotomie aus Groß und Klein nun im Rahmen einer groß angelegten Reorganisation auflösen zu wollen, in dem die Trennung von SMB und Enterprise aufgelöst wird. Für mittelständische Kunden bedeutet das möglicherweise, dass der liebgewonnene Microsoft-Vertreter künftig nicht mehr zum Kaffee kommt. Umgekehrt soll die weitere Spezialisierung des Tele-Supports so viel individuelle technische Unterstützung bringen wie bei Konzernen. Auch Microsoft-Partner versprechen sich von der Reorganisation eine bessere Unterstützung im täglichen Geschäft. Denn auch die mittelständisch geprägten Softwarehäuser leiden darunter, dass im globalen Microsoft-Netz nicht immer und nicht sofort der nötige Sachverstand zu finden war. Ein neues Partnernetz soll hier die Ressourcen besser bündeln und durch Cloud-Services ergänzen.
Die von Satya Nadella eingeleitete Neuausrichtung unter dem Motto „Microsoft first, Cloud first“ bedeutet für rund 3000 Vertriebsmitarbeiter weltweit – und das bedeutet: außerhalb der USA – allerdings das Aus. Dass ihnen möglicherweise nach der Kündigung eine Neuanstellung mit allerdings befristetem Vertrag winkt, ist bedingt löblich. Sie werden sich als Opfer der Digitalisierung sehen müssen.
Aber diese Entwicklung war abzusehen: spätestens seit der wenig geglückten Markteinführung von Windows 7 noch unter Steve Ballmer weiß Microsoft, dass es immer schwieriger wird, mit klassischen Methoden neue Software in weit verzweigten Organisationen einzuspielen. Die Deployment-Kosten überstiegen die Lizenzgebühren um ein Vielfaches. Das war die Ultima Ratio für den Weg in die Cloud.
Jetzt übernimmt die Cloud aber neben den Infrastruktur-Leistungen auch mehr und mehr die Aufgabe, zusätzliche Softwareangebote als Services zu einer bestehenden Unternehmenslösung zu ergänzen. Vor allem rund um Anwendungen der künstlichen Intelligenz und der Big Data-Analyse baut Microsoft sein Software-Portfolio aus der Cloud über Partner kontinuierlich aus. Darauf muss sich der Vertrieb bei Partnern und bei Microsoft selbst einstellen. Profitieren sollen davon aber Konzerne ebenso wie mittelständische Unternehmen. Und das ist gerade für den deutschen Mittelstand eine gute Nachricht. Denn in der bislang vernachlässigten Größenklasse zwischen 500 und 1000 Mitarbeitern gibt es Hunderttausende von erfolgreichen Firmen. Größe spielt eben wirklich keine Rolle mehr in der Cloud.

Brain für Millionen

Es ist schön, wenn man eine so große Fangemeinde hat: 500 Millionen Geräte weltweit nutzen mindestens einmal im Monat Windows 10. Und 141 Millionen Anwender stellen mindestens einmal im Monat Microsofts Sprachassistenten Cortana eine Frage. Und 90 Prozent der „Fortune 500“-Unternehmen nutzen bereits Cloud-Dienste von Microsoft. Und für diese Anwender – aber mehr und mehr auch für Apple-User – hat Microsoft jetzt auf der Build-Entwicklerkonferenz reichlich sensationelle KI-Services bereitgestellt. Sie bieten mehr Brain für Millionen – und werden gleichzeitig Millionen für Microsoft gewinnen.

Dabei zielt Microsoft eindeutig auf das Internet der Dinge, denn die Dinge im Internet benötigen zu ihrer Steuerung künftig mehr künstliche Intelligenz, die über die Cloud für jedes Unternehmen genutzt werden kann. Dazu soll nicht nur eine gemeinsame Echtzeit-Datenbank unter dem Codenamen Cosmos die zahllosen Daten, die an zahlreichen Standorten verteilt liegen, konsolidieren und Abfragen im Bereich von Millisekunden beantworten. Mit ein paar Programmierzeilen sollen auch bestehende Anwendungen in die Lage versetzt werden, auf KI-Dienste zurückzugreifen. Ohne Microsoft – so die Message an die Entwicklergemeinde – würden Softwarehäuser Jahre und Hunderttausende Dollar benötigen, um Unternehmenslösungen durch künstliche Intelligenz zu erweitern. Mit Microsoft kostet es voraussichtlich nur wenige Cent – pro Transaktion, versteht sich.

Künstliche Intelligenz soll in allem stecken, was Algorithmen hat – von Lösungen für die Xbox über Windows, von Bing bis Office. So formulierte es Harry Shum, Executive Vice President der für AI und Research zuständigen Microsoft Group bereits im Vorfeld der Build. Und immerhin 29 spezialisierte KI-Dienste aus der Cloud sind es dann geworden, die auf der Entwicklermesse in Seattle vorgestellt wurden. Darunter ist unter anderem der Sprachassistent Cortana, der ebenfalls „mit wenigen Lines of Code“ eingebunden werden kann.

Der spektakulärste KI-Dienst aus der Cloud dürfte der „Video-Indexer“ sein, mit dem Videos automatisch ausgewertet werden können. Der Indexer erkennt bei Videos, die auf die Azure-Plattform hochgeladen werden, rund 170.000 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Zeitgeschichte, die in einer vorbereiteten Datenbank hinterlegt sind. Für alle anderen müssen die Anwender die Personen zunächst benennen, ehe der Indexer die Akteure auf weiteren Szenen wiedererkennt. Bei Überwachungskameras können so leicht Mitarbeiter und angehörige von unbefugten Personen unterschieden werden. Doch das System hat Grenzen: Zwar können die Spieler eines Fußballspiels von der KI-Software verfolgt werden, für die Zehntausenden von Zuschauern fehlt aber noch die Performance.

Mit Hilfe von Optical Character Recognition und Spracherkennung schreibt der Indexer zum Beispiel bei einem Meeting-Mitschnitt die im Video wiedergegebenen Texte nieder und ordnet sie einzelnen Sprechern zu. Dabei bietet ein zweiter Cloud Service die Möglichkeit, fremdsprachige Texte unmittelbar zu übersetzen und einzublenden. Zusätzlich soll der Indexer auch in der Lage sein, durch Gesichtsanalysen Emotionen zu erkennen und so zum Beispiel einen Hinweis darauf geben, wie eine bestimmte Person gegenüber dem gesprochenen Text eingestellt ist.

Was nach Kontrollwahn à la NSA und Big Brother klingt, hat durchaus praktische Hintergründe die weit über die Auswertung von Überwachungskameras oder von Meeting-Mitschnitten hinausgeht. So lassen sich diese Analysen im Marketing einsetzen, wo zielgruppengerechte Werbung mit Hilfe des Video Indexers optimiert werden kann. Einsatzmöglichkeiten auch im Produktions- und Logistikumfeld sind denkbar.

Zwölf Funktionen bietet die automatische Analyse bereits. Neben der Gesichtserkennung, der Niederschrift beziehungsweise Übersetzung von gesprochener Sprache ist der KI-Service auch in der Lage, Sprache und Personen einander zuzuordnen. Darüber hinaus lassen sich Schlüsselwörter identifizieren, die entweder gezielt gesucht oder – weil politisch unkorrekt – überblendet werden können. Die Identifikation von zentralen Standbildern aus dem Video soll ebenfalls funktionieren.

Es hat den Anschein, als hätten sich die Microsoft-Verantwortlichen selbst ein wenig darüber erschreckt, was für ein Überwachungsmonster sie da möglicherweise erweckt haben. Deshalb sprach CEO Satya Nadella auch eiligst von der „Demokratisierung“ dieser Möglichkeiten, die nunmehr nicht nur den Geheimdiensten zur Verfügung stehen. Nachdenklich fügte Nadella hinzu, dass es an den Menschen liege, die Technik gewinnbringend und zum Positiven hin zu nutzen.

Man wird sehen. Die Erfahrung lehrt bedauerlicherweise das Gegenteil.

Microsofts „Turner“around

Was ist schon eine Personalmeldung in einer Welt, in der Organisationen und Visionen stärker zu wirken scheinen, als die Handlungsmöglichkeiten eines einzelnen Menschen? Okay, als Steve Jobs von uns ging, haben wir das Ende des iEverything befürchtet. Aber ist es dazu gekommen? Noch wird zwar bei jedem Apple-Announcement geunkt, was würde Steve dazu sagen? Aber ansonsten. Läuft bei uns, könnte man sagen.

Jetzt geht also der Lotse von Bord der MS Microsoft: Kevin Turner, der letzte Mann aus der Ballmer-Ära und der Mann fürs Grobe im Channel, im auf Partnerbeziehungen aufbauenden Vertriebsarm der Redmonder, verlässt das Unternehmen. Der Dank des Microsoft-Chefs, Satya Nadella, ist ihm sicher. Die Freude seiner Mitarbeiter über seine Demission aber auch…

Wie soll man das würdigen, wenn auf einer anonymen Meinungsplattform, die mit „Blind“ wohl weniger ein Urteil über den Gesichtskreis derer abgibt, die dort posten, als vielmehr das Versprechen vermittelt, dass die dort geäußerten Meinungsbeiträge unerkannt bleiben? Dort wird der Abschied des Chief Operating Officers als größten Glücksfall des Jahres gewürdigt. Das ist bitter für einen Soldaten, der elf Jahre lang mit – zugegeben – harter Rute einen Vertriebs- und Servicekanal geführt hat und dabei deutliche Performanceverbesserungen durchgesetzt hat. So haben sich nicht nur die Verkaufszahlen verbessert, sondern auch die Werte für die Customer Satisfaction, also die Kundenzufriedenheit. Mehr kann man von einem Channel-Chef nicht erwarten.

Und das hat auch CEO Satya Nadella zu würdigen versucht, als er der Microsoft-Gemeinde in einer weltoffenen Mail den Managementwechsel schmackhaft zu machen versucht hatte. Das war wohl gar nicht nötig, denn die Begeisterung über den Weggang des „Hagen von Redmond“ muss – wenn man die spontanen Reaktionen im Web richtig deutet, geradezu Begeisterungsstürme ausgelöst haben.

Das ist unwürdig für einen verdienten Firmensoldaten, dessen Beitrag für die Firma nicht durch seine Leistung, sondern durch die Zeitläufte in ein zwiespältiges Licht gebracht wird. Channel – was ist das? – Das scheint inzwischen die Frage zu sein, die sich in der Chefetage bei Microsoft zunehmender Vehemenz erfreut. Denn der Vertriebskanal über Partner, das ist die brutale Erkenntnis aus der Strategie über „Cloud First, Mobile First, Microsoft First“, die Satya Nadella zurecht losgetreten hat, ist: die Partner sind zu langsam auf dem Weg in de cloudifizierte, digitalisierte Welt.

Wie sehr das Paradigma der neuen Welt bei Microsoft durchschlägt, lässt sich an der Dynamics-Sparte exemplifizieren. Demnächst ist alles – also sowohl ERP als auch CRM – online unter dem 365-Regime, unter dem auch schon die komplette Office-Suite steht. Die Vorteile für den Kunden liegen auf der Hand. Nicht nur bekommt er seine Updates über Nacht, er ist auch in der Lage, Funktionen und Nutzungsgrad nach Belieben zu skalieren. Damit sind Leistungen automatisiert, die bislang der Channel übernommen hat.

Aber mehr noch: im Herbst wird es mit dem AppStore eine Plattform für ERP-relevante Zusatzdienste geben, die ergänzende Funktionen und Dienstleistungen im ERP- und CRM-Umfeld bereitstellen. Das ist ein viel mächtiger Kanal, als ihn Kevin Turner mit seinem Channel überhaupt in der Lage war aufzubauen.

Satya Nadella geht mit aller Konsequenz in die Cloud. Das ist die gute Nachricht. Wer diesen Weg in die Cloud nicht mitgeht, wird seine Daseinsberechtigung verlieren. Das ist die schlechte Nachricht – zumindest für Microsoft-Partner, die den Wind of Change nicht verspüren. Der Turnaround hat ein weiteres Opfer gefunden: Kevin Turner, der immerhin mit einem gut dotierten CEO-Posten abgefunden wurde. Aber was machen die Partner im Kanal? Sie suchen noch nach ihrem ganz individuellen Turnaround.

 

 

SAPple

In einer Welt, in der jeder jeden kaufen könnte, sind schon Kooperationen Anlass zur Spekulation. Es sollte eigentlich nichts Besonderes sein, wenn SAP mit Microsoft über eine engere Zusammenarbeit diskutiert. Immerhin sind gut und gerne 90 Prozent der Endgeräte, von denen aus auf SAP-Software zugegriffen wird, von Microsoft dominiert. Aber, dass dabei schon zweimal über eine Fusion der beiden Software-Riesen diskutiert worden sein soll, entfacht doch die Phantasie. Da muss man noch nicht einmal Verschwörungs-Fanatiker sein.

Jetzt verspricht Apple, die SAP-Software auf seine mobilen Geräte iPhone und iPad zu bringen. Eigentlich nur logisch. Denn die Welt der Gegenwart ist schon mobil – die Zukunft hingegen wird wearable und virtuell real. Da lohnt es sich, mit jedem der potentiellen Device-Designer zusammenzuarbeiten. Also eigentlich keine Nachricht, oder?

Oder doch? Anders als Microsoft hat sich Apple seit Jahrzehnten dem Markt für Geschäftskunden verweigert. Zwar gibt es eine hochloyale Geschäftskundschaft in der Kreativindustrie, aber der Markt für ERP-Systeme, über die Unternehmen ihre Geschicke und Geschäfte steuern, verzichtet weitgehend auf die Unterstützung aus Cupertino. Dabei sind doch gerade hier die langfristigen Bindungen möglich, die einen soliden Umsatzsockel sichern. Stattdessen ist Apple mit der Fokussierung auf das hoch volatile Privatkundengeschäft zur weltweit wertvollsten Firma emporgestiegen. Aber derzeit ist die Aktie im Sinkflug, Apple droht – wie schon einmal – die Spitzenpositionen an Alphabet (also Google) zu verlieren. Denn die nächsten Highflyer-Produkte, mit denen die nächste Umsatz- und Gewinnrakete gezündet werden kann, sind nicht in Sicht.

Jetzt soll also der direkte Zugriff auf die Hana-basierenden SAP-Anwendungen vom iPad und iPhone aus zusätzliches Geld in die Kassen spülen. Aber warum sollte das funktionieren? Die schon 2014 mit IBM eingegangene Partnerschaft hatte anscheinend nicht die erhofften Auswirkungen. Das freilich könnte an den seither kontinuierlich enttäuschenden Quartalsergebnissen von Big Blue liegen.

Da könnte die Partnerschaft mit den Walldorfern tatsächlich aussichtsreicher sein. SAP will seine Benutzeroberfläche Fiori auf die mobilen Apple-Geräte bringen und diese zugleich mit Afaria, den seinerzeit über Sybase erworbenen Tools fürs Gerätemanagement, weltweit ansteuern. Das könnte zumindest dem Arbeitsplatztrend entgegenkommen, wonach jeder Mitarbeiter sein eigenes Device auswählen und anwenden darf. Zudem wandelt sich der Arbeitsplatz derzeit ohnehin rapide. Ein fester Desktop klingt irgendwie nach 20. Jahrhundert. Im 21. Jahrhundert erfolgt das Unternehmensmanagement von unterwegs aus – und sei es aus Panama…

Die neue SAPple-Umgebung wird freilich gleich auch den Herausforderungen der digitalisierten Arbeits- und Fertigungswelt begegnen müssen. Ob dazu Gestensteuerung oder doch lieber gleich virtuelle Realität das Werkzeug der Zukunft ist, bleibt abzuwarten. Aber für beide Seiten dürfte es besser sein, diese Entwicklungsaufgaben gemeinsam anzugehen. Die Arbeiten an der Benutzeroberfläche Fiori hatten seinerzeit SAP-Entwickler ohnehin schon an den Rand des Wahnsinns getrieben. Das muss man nun nicht wiederholen, sondern kann es getrost den Experten überlassen. Die Expertise der SAP liegt nun mal eindeutig im Prozessumfeld und das liegt tief unter der Oberfläche.