TranSissi: Schicksalsjahre einer Messe

Eigentlich könnten die Aussichten besser nicht sein. Nichts geht mehr ohne Digitalisierung. Und wo könnte man sich besser über die aktuellen Themen informieren als mitten im Centrum für Büro- und Informationstechnik, wie die (eigentlich das) CeBIT ursprünglich hieß. Denn die weltgrößte IT-Messe könnte, ja sollte die Informationsplattform für jeden sein, der sich mit dem digitalen Wandel in seinem Umfeld beschäftigt: der Meister, der seinen Handwerksbetrieb auf neue Dienstleistungen umstellen möchte; der Planer, der die Produktionsprozesse in der Fertigungshalle durchgängig digital gestalten will; der Produktmanager, der neue Features und Funktionen für Autos, Maschinen und Geräte ergänzen will; der Marketier, der neue Formen der Marktkommunikation ausprobieren möchte; der Dienstleister, der eine engere Bindung der Kunden an seine Angebote wünscht.

Sie alle haben sich durch die Berichterstattung über neue Gadgets, Software und Medien, wie sie auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas zu Beginn des Jahres vorgestellt wurden, Appetit für das Digitaljahr 2017 geholt. Satt werden sollen sie nun ab dem 20. März, wenn sich die CeBIT-Tore in Hannover für das Fachpublikum öffnen.

Oder lohnt es sich, bis April zu warten, wenn es auf der Industriemesse neben der Digitalisierung in Reinform auch ihre Auswirkungen auf all die Industrie- und Infrastrukturprodukte zu sehen gibt. Wo die CeBIT die Theorie darstellt, bildet die Industriemesse die Praxis des Internets der Dinge ab. So oder ähnlich lauten schon seit Jahren die Einschätzungen der Befürworter einer Zusammenlegung beider Messen – nach drei Jahrzehnten CeBIT-Unabhängigkeit. Gibt es also angesichts von Industrie 4.0, das in Deutschland als Kernkompetenz des Maschinen- und Automobilbaus, der Elektronikindustrie und der Unternehmensberater gesehen wird, noch eine Zukunft für eine eigenständige CeBIT, die dann aber künftig als Centrum für Business, Industrie 4.0 und Transition gedeutet werden muss? Es sind Schicksalsjahre einer Messe.

Doch halt! Zwar sind die Versuche der Messegesellschaft, mit Wortneuschöpfungen wie „Shareconomy“ (2013), „Datability“ (2014) oder „D!conomy“ (2015) den Zeitgeist zu treffen, aller Ehren wert. Um aber wirklich in den Sprachgebrauch überzugehen, waren diese Wortgebilde wohl doch zu verspielt. Aber einen Sinn für den digitalen Lifestyle – für die Strömungen von shared Economy, big Data und digitaler Wirtschaft – haben die Hannoveraner durchaus. Und auch jetzt zeigt der CeBIT Preview, zu dem ausgewählte Aussteller in zwei Messehallen geladen hatten, dass der CeBIT-Zeitgeist durchaus mit dem CES-Lifestyle mithalten kann. Zu sehen war das flügeltürige Model X von Tesla. Ein Quadrocopter an der Leine (haha, in Hannover!), ein autonom Hindernisse umfliegender Multicopter, ein Mini-Rechenzentrum und Analytics-Systeme im Taschenformat, Mode der Zukunft mit Laser-Zuschnitt und 3D-Druck, das von BMW geförderte Projekt CITY eTAXI und nicht zuletzt das autonom fahrende SmartShuttle der CeBIT.

Und dann gibt es noch die wachsende Zahl von Startup-Unternehmen, die sich der CeBIT als Präsentationsfläche nähern. Mit SCALE 11 hat sich die CeBIT inzwischen zur wichtigsten Startup-Plattform in Europa gemausert. Rund 450 digitale Firmengründungen präsentieren ihre Ideen und finden Investoren. In der Halle 11 ist etwas von der Aufbruchsstimmung zu spüren, die die erste CeBIT 1996 bestimmte. Die digitalen Startups sind die Renaissance der Software-Antike.

Also Thumbs-Up für die CeBIT? Vielleicht sind die emotionalen Durchhänger der vergangenen Jahre auch nur Spiegelbild des Branchenklimas gewesen. Jetzt jedenfalls könnten die Aussichten kaum besser sein, sagt das Konjunkturbarometer des Branchenverbands Bitkom. Um satte neun Punkte auf einen Indexwert von 71 stieg der Bitkom-Index zuletzt. Nur noch neun Prozent der vom Bitkom Befragten befürchten, dass das Geschäft schlechter läuft. Während der Umsatz mit ITK-Produkten und -Diensten in Deutschland im vergangenen Jahr um 1,7 Prozent auf 160,5 Milliarden Euro stieg, wird für 2017 ein Wachstum um 1,2 Prozent auf 162,4 Milliarden Euro erwartet.

Allerdings sind die Erwartungen je nach Sparte unterschiedlich: So rechnen jeweils gut acht von zehn Unternehmen im Bereich Software (85 Prozent) und IT-Services (83 Prozent) mit wachsenden Umsätzen. Hersteller von IT-Hardware erwarten zu zwei Dritteln (65 Prozent) ein Umsatzplus, während jedes sechste Unternehmen (17 Prozent) mit einem Minus rechnet. Produzenten von Kommunikationstechnik gehen zu 62 Prozent von höheren Umsätzen aus.

Diesen Trend spiegelt auch die CeBIT wider: Was vor 31 Jahre als reine Hardware-Show aus der Industriemesse herausgebrochen wurde, entwickelt sich mehr und mehr zur Digitalshow, in der die Software dominiert. Sie steckt in jedem Gerät, das im digitalen Zeitalter einen Markt finden wird. Aber erfahrbar wird Software nun mal im Auto, in der Maschine im mobilen Endgerät. Das Internet der Dinge ist eigentlich ein Internet der Daten, aber wir bemerken es erst beim Betrachten der Dinge. Diesen Spagat wird die CeBIT auch in den nächsten Schicksalsjahren leisten müssen, sonst geht sie tatsächlich irgendwann in der Industriemesse auf.

Die Digitalisierung des Lifestyles

So, die Koffer sind gepackt und los geht’s nach Las Vegas. In der nevadischen Wüste steigt ab dem 5. Januar die 50. Consumer Electronics Show, auf noch mehr Fläche, mit noch mehr Ausstellern und noch mehr Besuchern. Aus praktisch allen Technologiebereichen – von A wie Autos bis Z wie Zubehör – werden Produkte vorgestellt, die auch nur irgendwie durch Elektronik smarter gemacht werden können. Die Digitalisierung des Lebens – hier feiert sie ihr Hochamt.

Gut, dass das Riviera Hotel und Casino abgerissen wurde – so entstanden noch zusätzliche Freiflächen für Außendemos, denn Drohnen und autonome Fahrzeuge sind längst nicht nur als Designstudien vorhanden, sondern werden im praktischen Betrieb vorgeführt. Hyundai plant sogar, die Messebesucher in Selbstfahrern den Strip rauf und runter zu kutschieren. Die ersten Drohnen, die groß und sicher genug sind, dass sie Menschen transportieren können, sind ebenfalls zu sehen.

Dabei muss man in diesem Jahr die Anreise schon früher planen, denn während die CES zwar offiziell erst am 5. ihre Tore öffnet, gibt es zahllos Pre-CES Events, auf denen die Anbieter ihr Tischfeuerwerk an Produktankündigungen schon vor den eigentlichen Messetagen abfeuern wollen. Zu den eifrigsten Vorankündigern gehört Samsung. Das Unternehmen, das zuletzt mit brennenden Smartphones auf sich aufmerksam gemacht hat, ist in allen Technologiebereichen mit Produktneuvorstellungen dabei. Von TV über Audio bis zu Smartphones kommt Samsung praktisch jeden Tag mit Bahnbrechendem auf die Bühne.

Interessant ist, dass inzwischen nicht nur die Geräte auf der CES ihren Auftritt haben. Sondern auch die Inhalte, die dem Ganzen überhaupt erst ihren Sinn beisteuern, werden in Las Vegas präsentiert. Das gilt insbesondere für Systeme zur Darstellung virtueller Realitäten, die als Augmented Reality längst Einzug ins Berufsleben von Entwicklern, Planern und Analysten gefunden haben. Doch um vor allem im Konsumermarkt voranzukommen, müssen die Anbieter mit Content rüberkommen. Das sind in erster Linie natürlich neue Spiele-Varianten, deren Komplexität und Spielwelt nur noch mit aufgesetzter VR-Brille zu erfassen sind. Aber auch Hollywood hat seinen Ausstoß an 3D-Videos in virtueller Realität auf dem Schirm. Und mehr noch: Die Anbieter von Freizeitvergnügen sehen in VR-Welten eine natürliche Erweiterung ihres Erlebnisangebots. Demnach können Besucher eines Freizeitparks auch schon im Vorfeld ihres Besuchs die Fahrt in der Achterbahn erleben. Und auch auf Kreuzfahrten, auf denen es ja weniger aufregend zugeht als in einem Fahrgeschäft, peppen die Reedereien ihre Angebote durch virtuelle Realitäten auf. Da kann der Landgang schon mal hinter der VR-Brille vorweggenommen werden.

Die 50. CES wird ihrem Image als Spaßmesse mehr und mehr gerecht. Die Messestände gewähren einen Eindruck von einem Leben, in dem uns Roboter in der digitalisierten Produktion längst die Arbeit abgenommen haben und wir auf die Hilfe von anderen Robotern und Computern angewiesen sind, um uns in unserer Freizeit vor Langeweile zu bewahren.

Doch es gibt auch die seriöse CES, die sich zwar mit der Leichtigkeit eines Spielerparadieses neuen Themen zuwendet, aber dabei einen ernsthaften Beitrag zum digitalen Leben leisten will: vor allem rund um die Themen im Gesundheitswesen zeigt die CES nun Flagge. Das beginnt selbstverständlich bei den Smartwatches, die uns dabei helfen, das tägliche Fitnesstraining zu absolvieren. Wearables, also wie Kleidung zu tragende intelligente Geräte, gibt es inzwischen schon für die Überwachung von nahezu jeder Körperfunktion – von der Blutdruckmessung, über die Ermittlung des Insulinbedarfs bis zur Überwachung von lebenserhaltenden Apparaten greift die CES ins medizinische Fach.

Es sind diese stärker auf den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen ausgelegten Entwicklungen der Digitalisierung, die die Domäne der CeBIT waren (und sind) und die jetzt allmählich auch in Las Vegas zu bestaunen sind. Diese Zweiteilung in Lifestyle (CES) und Informationswirtschaft (CeBIT) hat sich lange bewährt. Nun wird sie verwischt – wie alles, was vom digitalen Wandel berührt wird. Ein wenig mehr Infotainment würde der CeBIT in Hannover freilich auch gut tun.