Inder-Netökonomie

Die Konjunkturprognosen für deutsche Unternehmen waren lange nicht so gut wie derzeit – aber deswegen muss man ja nicht mit liebgewordenen Gewohnheiten brechen: Durch Selbstzweifel lassen sich auch die aktuellen Zahlen des Internationalen Währungsfonds problemlos in Negativaussichten ummünzen: Sicher – Deutschland wird im laufenden Jahr um 2 bis 2,2 Prozent wachsen, schneller als Europa mit 1,5 bis 1,7 Prozent. Aber eben nur noch halb so schnell wie die Weltwirtschaft, deren Wachstum durch China (plus 9) und Indien (plus 8 Prozent) befeuert wird.

Während sich China zum Produktionszentrum der Welt entwickelt, baut Indien seine Rolle als globales Dienstleistungszentrum weiter aus. Bereits 50 Prozent des indischen Bruttosozialprodukts entstammen dem Service-Sektor – mit einem hohen Anteil an IT-Dienstleistungen. So soll es weiter gehen – das ist der klare Tenor des soeben beendeten NASSCOM  India Leadership Forums 2011 in Mumbai. Die National Association of Software and Services Companies – eine Mischung aus BITKOM, IT-Gipfel und Handelskammer -, schätzt, dass Indiens IT-Sektor im kommenden Jahr auf 68 bis 70 Milliarden Dollar angewachsen sein wird. Doch das Plus von rund 17 Prozent sei noch konservativ geschätzt, meint Subramaniam Ramadorai, der als Vice President von Tata Consultancy Services (TCS) nicht nur die Geschicke des größten indische Systemhauses vorantreibt, sondern auch als Berater von Premier Manmohan Singh fungiert.

Drei Viertel des Umsatzes generieren indische Systemhäuser für und zunehmend auch mit Anwendern in den etablierten Industrieländern. Und der weltweite Trend zum Cloud Computing wird den Exportcharakter der Dienstleistungen noch weiter fördern. Dabei schwebt den Indern nicht länger die Geschäftsidee vor, Rechenzentrums- und Codier-Leistungen zu erbringen. Vielmehr sieht die NASSCOM in der Cloud die ideale Plattform für eine global ausgelegte Produktentwicklung. Die Tendenz zeichnet sich jetzt schon ab: Software entsteht nicht ausschließlich im eigenen Entwicklungslabor und erblickt erst mit der Marktreife das Licht der Anwenderwelt. Vielmehr kommen 90-Prozent-Lösungen auf den Markt, die im Fegefeuer der Anwenderkritik dann veredelt werden.

Rund 500 CEOs dieser kommenden Produkthäuser hatten sich bereits im November 2010 auf der NASSCOM Product Conclave zusammengefunden, um Geschäftsideen und Geschäftsmodelle auszutauschen. Interessant ist dabei, dass die wesentlichen Zielmärkte nicht mehr zwangsläufig in Europa und Nordamerika liegen, sondern neben dem eigenen Heimmarkt vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika – dort also, wo die Weltwirtschaft in den kommenden Jahren ihren wesentlichen Wachstumsschub gewinnt. Die auf das Internet als Entwicklungsplattform ausgerichtete indische Netökonomie ist diesen Wachstumserwartungsländern deutlich näher als der Westen.

In der Tat wird der Wachstumswettlauf in den kommenden Jahrzehnten nicht im Westen oder Osten, sondern im Süden entschieden. Oder ist er bereits entschieden? Indien wird im weltweiten Ranking der Volkswirtschaften vom elften auf den dritten Platz vordringen, prognostizieren die Wirtschaftsexperten von PriceWaterhouseCoopers. Allerdings werden dann nicht nur die USA vor Indien rangieren, sondern auch – China.

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