Vermummungsverbot 2.0

Ich bin nicht Stiller. Ich bin Bonn – und das ist mein Blog. Und die Meinung, die hier vertreten wird, ist meine Meinung – die ich mit anderen teile oder zumindest anderen mitteile (was nicht unbedingt das gleiche ist). Ich flüchte dazu nicht in die Anonymität, sondern – im Gegenteil – suche die Öffentlichkeit. Ich betrachte es als Privileg, erkannt und gekannt zu werden. Ich kann aber die Gedanken derjenigen nachvollziehen, die die Anonymität als Privileg suchen. Sie möchte Innenminister Hans-Peter Friedrich dann ans Licht der Öffentlichkeit zerren, wenn deren Meinungsäußerung nicht dem Mainstream entspricht. Nur: Wer entscheidet darüber, was Mainstream ist und was nicht?

Viele, die den Mut fassen möchten, sich öffentlich zu äußern, suchen dazu den Schutz der Anonymität. Angestellte zum Beispiel, die auf einer Gewerkschaftskundgebung für ihre Rechte und Forderungen einstehen wollen, später aber Repressalien ihrer Arbeitgeber fürchten. Oder Bürgerrechtler, die sich vor rechten Verfolgungen fürchten, wenn ihr Bild oder ihr Name an die Öffentlichkeit gerät. Oder erinnern wir uns an die erste Homo-Demo, die nur möglich wurde, weil die Teilnehmer sich vermummt hatten. Ist, wer im Kölner Karneval mit einer Clownsmaske auf „jeck jebrasselt“ ist, auch schon gleich in die Anonymität gewährende Vermummung geflüchtet?

Die Beispiele sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern entstammen der anhaltenden Diskussion um das Vermummungsverbot, das das Versammlungsrecht eingrenzt. Ziel des in Deutschland 1985 verabschiedeten Verbots ist es, die Verfolgung von während Demonstrationen begangenen Straftaten zu erleichtern. Der Aufruf zu Straftaten oder die Schaffung einer argumentativen Grundlage für Straftaten soll jetzt auch nach den Vorstellungen von Innenminister Hans-Peter Friedrich aus der Anonymität gerissen werden. Sein Vermummungsverbot für das Internet sieht vor, dass anonym geäußerte Meinungen im Internet gelöscht werden.

Das ist technisch und moralisch so fragwürdig wie der Internet-Alarmknopf, den Kriminalbeamte nach den Anschlägen von Oslo forderten und der wohl eher dem internationalen Denunziantentum als der globalen Verbrechensbekämpfung gedient haben würde. Dass der Innenminister ein „Offenes Visier“ in der Debatte fordert, ist schon sprachlich eine Meisterleistung, denn das Visier dient im Sport und diente im Kampf dazu, sehen zu können, während zu erwartende Schläge abgewehrt werden. Die Vermummung dient hingegen dem „Nicht-gesehen-Werden“ – unabhängig davon, ob man Schläge austeilt oder einzustecken befürchtet.

„Das Internet ist für so viele Menschen so wichtig geworden,  dass aus dem World Wide Web nicht der Wilde Wilde Westen wird“, hatte unlängst FBI-Direktor Steven Chabinsky als Antwort auf die jüngsten Hacker-Angriff auf US-Einrichtungen und Unternehmen geäußert – und prompt eine Replik von „Anonymous“, der für die Taten verantwortlich gemachten Hacker-Gruppe, erhalten: „Ich möchte Sie fragen, guter Mann, wann war das Internet nicht der Wilde Westen? Glauben Sie wirklich, Sie hätten auch nur die geringste Kontrolle darüber?“

Dass Innenminister Friedrich nunmehr eine ähnliche gelagerte Widerspruchswelle aus der Netzgemeinde erfährt, kann nicht nur nicht überraschen, sondern war (von ihm) erwartet worden. Dabei hat er inzwischen selbst auf die Kritik (auch auf anonyme) reagiert und seinen Sprecher dementieren lassen, im Innenministerium würden entsprechende Gesetzesinitiativen vorbereitet. Leider gibt es aber auch keine Toleranz-Initiative aus dem Innenministerium, die ein gesellschaftliches Umfeld schaffen könnte, dass den Wunsch nach Anonymität obsolet machte.

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