Die Wolke im Kopf

Irgendwie klingt es schon wie eine Nachricht aus einer längst vergangenen Zeit, dabei sind es gerade drei müde Jahre her, dass IBM zusammen mit dem Wirtschaftsblatt Impulse zum letzten Mal den Stand der eDinge im Mittelstand untersuchte. 99 Prozent aller mittelständischen Unternehmen in Deutschland – und das sind dann so um die 3,2 Millionen Firmenadressen – sind online. Mit diesem Durchdringungsgrad hatte die Studie sozusagen ihre weitere Daseinsberechtigung verloren. Oder auch nicht. Eine der letzten Erkenntnisse der zehnten Studie besagte nämlich: der Mittelstand hat von Web 2.0 keine Ahnung.

Deshalb gibt es ja inzwischen die Neuauflage der Studie – allerdings zum Thema Cloud Computing. Diesmal ist HP der Hauptsponsor – aber die Marktbefrager von techconsult sind weiterhin der Analysepartner. Und hier zeigt sich nun noch deutliches Potenzial für künftige Studien. Denn immerhin 60 Prozent der befragten Mittelständler können im Cloud Computing keinen Nutzen identifizieren. Schlimmer noch. Von den 40 Prozent der Befragten, die einen Benefit aus der Wolke erwarten, hat etwa die Hälfte noch gar kein Cloud-Projekt durchgeführt.

Der Mittelstand bleibt sich treu. Er bleibt technisch lieber zwei bis drei Innovationsschritte zurück, steht damit aber auf sicherem Boden und innoviert stattdessen seine internen Prozesse. Das ist nicht unbedingt schlagzeilenverdächtig, sorgt aber am Geschäftsjahresende für eine solide Bilanz.

Trotz aller Fanfarenrufe rund um die Cloud, gilt für den Mittelstand unverändert: Erst wenn die Kostenvorteile als gesichert gelten, wird im breiten Stil investiert. Und tatsächlich haben die jüngsten Analystenmeinungen zur richtigen Einführungsstrategie im Business mit Anything as a Service auch nicht gerade dazu beigetragen, das Zutrauen des mittelständischen Unternehmers in die Wolkenburgen zu stärken.

Die Gartner Group empfiehlt ihren Small and Medium Clients, über standardisierte Lösungen in der öffentlichen Cloud zu beginnen. Individuallösungen in einer privaten Wolke seien nur dann angemessen, wenn es auf dem globalen Markt tatsächlich keine standardisierte Hochverfügbarkeitslösung gäbe. Aber der Mittelstand hört offensichtlich nicht hin.

Denn dem HP Cloud Index haben jetzt die Mittelständler zu Protokoll gegeben, dass sie keinen Nutzen im Cloud Computing erkennen können, gerade weil es die standardisierten Angebote aus den public Clouds an einem Wettbewerbsvorteil für den Anwender vermissen lassen. Umgekehrt sei die Implementierung in privaten Wolken, die das größte Nutzenpotenzial bergen, zu teuer, um einen handfesten Return on Investment zu gewährleisten. Was die Unternehmer den Analysten in die Fragebögen diktiert haben, ist die klassische – und durchaus bewährte – Minimax-Politik des Mittelstands. So viel Individualisierung wie möglich, so viel Standard wie nötig – einerseits. Andererseits gilt aber auch: So wenig Kosten wie nötig bei so vielen Extras wie möglich.

Seit Jahrzehnten treibt dieses Mittelstandsprinzip die globalen Anbieter in den Irrsinn. Aus ihrer Sicht ist Cloud Computing ein neuerlicher Ansatz, den weltweiten SMB-Markt mit einem einheitlichen, kostengünstig zu vertreibenden Komplettangebot zu versorgen. Und was macht der Mittelstand? Er pocht auf seine Individualität. Was in Deutschland ausgeprägt ist, zeigt inzwischen auch in den USA oder in China seine Wirkung. Die aufstrebenden Familienunternehmen sind hemmungslose Individualisten mit hohem Sparzwang – im Mittelwesten ebenso wie im Reich der Mitte. Der Mittelstand wartet global auf Cloud 2.0.

Ein Gedanke zu „Die Wolke im Kopf“

  1. Interessanter Artikel. Kann nicht schaden, sich mit dem Thema intensiver auseinander zusetzen. Ich werde gewiss weitere Artikel im Auge behalten.

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