Surfen, bis die Drähte glühen

Deutschland ist immer auf Empfang, immer auf Sendung – kumuliert 5 Milliarden Minuten sind die Deutschen jeden Tag online, ermittelte der Branchenverband Bitkom. Hinzu kommen mindestens nochmal so viele Sprechminuten täglich am Telefon. Für beides gibt es Smartphones, deren Anteil bereits 43 Prozent aller Mobiltelefone ausmacht. Bei praktisch hundertprozentiger Abdeckung  der Gesamtbevölkerung mit Handys daddeln, surfen und brabbeln hierzulande mehr als 30 Millionen Smartphones. Allein im vergangenen Jahr wurden 11,8 Millionen dieser digitalen Alleskönner verkauft. Sie sind der Standard für die mobile Kommunikation auf allen Kanälen.

Doch der Nachfolger als dominierende Lebensform im mobilen Internet ist mit dem Tablet-PC längst auf dem Vormarsch. Um 162  Prozent stieg der Verkauf letztes Jahr gegenüber 2010. Wenn man mit den Dingern jetzt noch problemlos telefonieren könnte…

Kein Wunder also, dass für diese ständigen Begleiter des mobilen Deutschen die Zahl der Apps sprunghaft ansteigt. Fast eine Milliarde dieser kleinen Tausendsassas wurden im vergangenen Jahr allein in Deutschland runtergeladen. Zeitungslektüre, Umgebungssuche, Freunde-Finder, Lifestyle-Gadgets, Nachschlagewerke, Online-Auskünfte oder einfach nur Spaßanwendungen – die Apps zielen zwar auf den Individualisten, sind aber nicht immer nur auf den reinen Konsum ausgelegt. Immer mehr B2B-Apps sind in den Stores verfügbar, mit denen mobile Zugriffe auf Unternehmensanwendungen möglich werden, Kommunikation zwischen Geschäftspartner optimiert werden oder – immer häufiger – Arbeiten und Aufgabenstellungen in kleinen Paketen an App-Anwender verteilt werden. Mit Apps machen sich Unternehmen die Intelligenz des schwärmenden Deutschland zu nutze.

Zum Beispiel können App-enteurer mit dem Smartphone kleine Foto-Jobs übernehmen und so nach und nach ein dicht gespanntes Abbild von Deutschland schaffen. Googles StreetView-Cars waren gestern. Schwarmfotografie ist heute. Auch die Suche nach Plagiaten und Produktpiraten kann mit einer App organisiert werden. Einfach draufhalten auf das Corpus Delicti und Geodaten mitsenden! Tatsächlich gibt es immer mehr Apps, die „Q“ vor Neid erblassen lassen würden.

Auf dem Innovators´ Pitch hier auf der CeBIT wurden jetzt die jüngsten Appprodukt-Ideen gekürt. Archivlösungen „to go“ für Jedermann, Mobile Event-Agenden für den Kongress nächste Woche, Consumer-Tests für Webseiten, Shopsysteme für das Tablet – dem Ideenreichtum sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Apps werden als kleine Freunde fast so attraktiv wie „richtige“ Freunde.

In der Tat: Nach „Freunde treffen“ ist die Internetnutzung für Teenager inzwischen die zweitliebste Freizeitbeschäftigung – mit weitem Abstand vor Fernsehen, Radio und Lesen. Sport liegt nur ganz knapp hinter der Internetnutzung. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden Retro-Apps auf den Markt gebracht: Zum Beispiel für Nur-Telefonieren oder für Packman in der DOS-Version. Oder wie wäre es mit einer App, mit der man das Smartphone ausschalten kann. Unvorstellbare Möglichkeiten.

Das sind niemals drei Millimeter

Irgendwie ist es hier auf der CeBIT wie beim Fußball. Man verfolgt das Spiel im Stadion, freut sich, dass die eigene Mannschaft führt, und ist mit halbem Ohr doch am Radio, wo gerade in einer Life-Schalte das Parallelspiel kommentiert wird, wo der direkte Konkurrent ebenfalls führt. Wir sind nämlich alle hier auf der CeBIT nicht ganz bei der Sache. Mit halbem Ohr horchen wir rüber nach Cupertino, wo in drei Stunden, nein, nur noch zwei Stunden fünfundfünfzig die Ankündigung des iPAD3 steigt.

Und natürlich rätseln wir hier bereits über die Aufstellung. Wird das hochauflösende Retina-Display im starken Mittelfeld eingesetzt? Kommt im Sturm der pfeilschnelle LTE-Internetzugang mit dem Duo aus Vierkern- und neuem Grafikprozessor zum Einsatz? Wie sieht es in der Defensive aus – werden die Multifunktionsabdeckungen nicht nur das Display, sondern auch die Rückseite schützen?

Wie schaut’s mit dem Dress aus – schwarz oder weiß, die Rückseite mit Lederüberzug?

Und wann wird angepfiffen. Den Gerüchten zufolge ist der iPad 3 oder iPad HD noch im März verfügbar. Im Oktober kommt dann der nächste Schub – das wäre rechtzeitig zur IT&Business, wenn wir wieder ein Parallelspiel haben.

Es ist schon lange kein Politikum mehr, dass Apple für die Ankündigungen seiner Produkte nicht Fremd-Events wie die CeBIT oder die CES benötigt, sondern auf eigene Shows setzt. Der weltweite Wirbel gibt der Cupertino-Company Recht. 14 Millionen Fundstellen findet Google um kurz nach fünf Uhr unter „ipad 3“. Das Stichwort „CeBIT 2012“ bringt es auf 16,9 Millionen Ergebnisse in der Suchmaschine. Kann denn das wahr sein? Ein einziges Endgerät für das mobile Internet zieht nahezu mit dem gesamten CeBIT-Angebot gleich!

Und dabei geht es noch nicht einmal um ein total innovatives Produkt, sondern um das zweite Produkt-Update für eine im Markt sensationell verankerte Produktreihe. Da wird registriert, dass das neue iPad drei Millimeter dicker ist. Und geradezu detektivisch wird daraus geschlossen, dass mehr Akku und mehr Hauptspeicher und mehr Kameraauflösung hineinpassen.

So, ich sehe gerade, es sind noch zwei Stunden und dreißig Minuten bis zum Beginn der Ankündigung. Das reicht noch, um sich im Hannoverschen Messetrubel ein ruhiges Plätzchen zu suchen, um heimlich auf dem iPad 2 das Announcement im Lifestream zu verfolgen. Aber morgen sind wir dann alle wieder ganz konzentriert auf der CeBIT. Wir lassen uns doch nicht verapplen.

Vertrauen ist der Anfang von…

…der CeBIT. Mit Beiträgen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff, des niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister und Google-Manager Eric Schmidt zu den globalpolitischen Themen Sicherheit und Vertrauen wurde die CeBIT 2012 eröffnet. Zwischendurch konnte man allerdings den Eindruck gewinnen, es handele sich nicht um die weltgrößte Fachmesse für Informationstechnologie und –services, sondern um ein norddeutsches Gegenstück zur Münchner Sicherheitstagung.

Es ist schon ein Schelmenstück der Geschichte, das die Kanzlerin inmitten einer veritablen Vertrauenskrise der Bundesregierung eine Eröffnungsrede zum Thema „Vertrauen handhaben“ – oder wie man sonst den CeBIT-Slogan „Managing Trust“ übersetzen mag – halten ließ. Selbst ausgesucht hat sich die Regierungschefin die Themensetzung wohl nicht. Aber sie machte das Beste draus, indem sie den Vertrauenstitel gleich auf die nächst höhere Ebene weglobte. „Managing Trust“ sei ein idealer Themenschwerpunkt für das nächste G20-Treffen.

Das wäre – genau betrachtet – gar nicht mal so daneben. Schließlich handelt es sich bei den G20-Ländern nicht nur um die Hauptproduzenten von IT-Systemen, sondern auch um jene Industrie- und Schwellenländer, in denen die Informationstechnologie den entscheidenden Beitrag zum Wirtschaftswachstum leistet – als Querschnittstechnologie und als Wertschöpfungsbranche. Wie diese “Enabling Industry“ Sicherheit dekliniert und Maßnahmen zur Vertrauensbildung orchestriert, hat deshalb in der Tat einen globalpolitischen Zuschnitt bekommen, durch den Wirtschaft und Gesellschaft gestaltet werden.

Deshalb kommt es jetzt auch darauf an, dass die Diskussionsforen auf der CeBIT das Thema „Trust“ in allen seinen Ausprägungen durchleuchten. Es geht eben nicht allein um die technische Sicht, wie Sicherheitsvorkehrungen eingerichtet und vor allem auch angewendet werden. Es geht um das gesellschaftliche Miteinander, um Fragen von Ehre und Anstand, von Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit. Auch das in der Menschheit über Jahrtausende hin entwickelte Grundkorsett zum Aufbau von Vertrauen und zur Wahrung von Sicherheit setzt sich nicht allein aus Techniken zusammen, sondern funktioniert vor allem über allgemein akzeptierte Grundsätze und darauf aufbauenden Methoden zur Interaktion.

Es ist ein historischer Moment, das wir dies jetzt auch für eine Welt zu etablieren versuchen, in der unsere Instinkte versagen. Einem Lügner sieht man möglicherweise die unlautere Absicht an, weil er sich durch unwillkürliche Gestik und Mimik verrät. Eine gefakete Webseite oder Phishing-Mail enttarnt ihre unethische Absicht hingegen nicht so ohne weiteres. Hier brauchen wir Hilfsmittel und nicht zuletzt mehr Gefahrenbewusstsein.

Das ist in der Tat ein G20-Thema. So, wie es auch ein Thema für die Unternehmen in den G20-Ländern ist. Und die bilden naturgemäß auch den Schwerpunkt der Aussteller und Besucher hier in Hannover. Die CeBIT übrigens hat allem Anschein nach keine Vertrauenskrise. Sie hat sich nach den Jahren der Rezession – in denen sie eben auch durch den Rückgang der Teilnehmerzahlen Spiegel des Wirtschaftslebens war – deutlich erholt. Sie steht auch nicht in Konkurrenz zum Internet als neuer Dauermarktplatz. Sie ist vielmehr die Plattform, auf der die Herausforderungen durch das Web thematisiert werden. Und sie ist die Plattform für die dazu notwendigen Lösungen.

Darauf können wir vertrauen.

Ein Kommen und Gehen

Wer vor einem Jahr online leben wollte, musste ein Netbook haben – so ein  kleines Dings, das leichter als ein Laptop, aber leistungsfähiger als ein  Smartphone ist. Wer auf der CeBIT nach diesen Dingern sucht, findet zwar immer  noch kleine Dingsbumse zwischen zu kleinem Bildschirm und zu wenig  Telefonfunktion. Sie sind entweder gesten- oder sprachgesteuert. Netbooks waren  beides nicht – und sind deswegen schon wieder ausgestorben.

Dieses schnelle Ende hatten Marktkenner eher dem Cloud Computing zugedacht.  Doch in der aktuellen Bitkom-Trendumfrage ist die Wolke zum dritten Mal in  Folge auf Platz Eins gewählt worden. Kaum ein Software- und Service-Anbieter  hier auf der CeBIT, der nicht mit Solutions on Demand aufwartet. Dabei wird oft  alter Wein in neuen Wolken angeboten, also die alte Server-Lösung im klassischen Outsourcing-Modell offeriert. Tatsächlich weist die CeBIT auch  völlig neue Nutzungsmöglichkeiten: Big Data, NumberCrunching, Storage und nicht  zuletzt vernetzte Lösungswelten. Der Bitkom sieht  fünf  Kompetenzschwerpunkte für intelligente Lösungsnetzwerke: Energie, Verkehr, Gesundheit,  Behörden und Bildung, in denen Deutschland stärker offensiv werden sollte.  Schwarmintelligenz statt Serverintelligenz!

Dahinter steckt ein deutlicher Zwang zur Veränderung: Anbieter müssen  intensiver über Kooperationen nachdenken, statt über Competition.  Cloud-Infrastrukturen entstehen nicht durch einzelne Lösungsangebote, sondern  durch deren globales Zusammenspiel. Praktisch alle großen IT-Anbieter versuchen  deshalb hier auf der CeBIT, ihre Lösungskompetenz dadurch unter Beweis zu  stellen, dass sie Plattformen für das Zusammenspiel von Apps und Applikationen,  von Software und Services bereitstellen. Und interessanterweise ist immer der  Mittelstand das erklärte Ziel dieser Initiativen. Der freilich muss sich der  Wolke noch stärker öffnen, beobachtet der Bitkom. Das gilt für Anbieter und  Anwender gleichermaßen – denn nicht nur scheinen die Zeiten vorbei, in denen  IT-Systeme beim Firmenrundgang mit Besitzerstolz präsentiert werden; es sind  auch die Zeiten vorbei, in denen man mit dem Verkauf von Microsoft- (oder  anderen) Lizenzen eine zukunftssichere Programmierbude unterhalten kann.

Wie stark das Momentum aus der Cloud inzwischen geworden ist, machen die  Bitkom-Zahlen zur Lage der Nation deutlich? Mit etwa 1,6 Prozent auf dann mehr  als 150 Milliarden Euro wird die Branche deutschlandweit in diesem Jahr nicht  nur schneller als das Bruttoinlandsprodukt wachsen, sondern auch wird der  Softwaresektor – beflügelt durch die Cloud – mit 4,4 Prozent wieder einmal  stärker als die Branche zulegen. Und mit wiederum prognostizierten 37 Prozent  legt hierin die Cloud-Nutzung am stärksten zu.

Die Cloud ist keine Einzellösung, sondern ein Trust von parallelen, vertikal  integrierten angeboten. „Managing Trust“, das CeBIT-Motto, das  eigentlich ausschließlich auf die Themen „Sicherheit“ und  „Vertrauen“ zielt, fokussiert damit auf ein weitergehendes  Zukunftsthema: wie managen wir die Vielzahl von Software- und  Service-Angeboten, die wir aus der Cloud beziehen (können)? Dazu braucht es  einen Cloud-Scout als neues Berufsbild – und natürlich die CeBIT in Hannover  einmal im Jahr und sonst immer im Netz.