Abgespeckt und abgepackt

Gäbe es einen Nobelpreis für Prozessinnovationen, dann hätten deutsche Ingenieure Jahr um Jahr gute Chancen auf diese Auszeichnung. Denn das permanente Herumbosseln an Prozessen, Projekten und Strategien ist eine geradezu sprichwörtliche Paradedisziplin der Deutschen. Kein Wunder also, dass der plakative Titel „Industrie 4.0“ so gar nichts Futuristisches an sich hat. Industrie 4.0 ist bereits heute –in zahllosen Einzelprojekten zwischen Achim und Zugspitze.

Und tatsächlich gibt es doch so etwas wie eine Mini-Nobelauszeichnung der Prozessoptimierung. Verliehen wird er jedes Jahr im Oktober in Berlin, wenn die Bundesvereinigung Logistik zum Deutschen Logistiktag einlädt. Aus einigen guten Dutzend Bewerbungen wählt die hochkarätig besetzte Jury die erfolgreichsten Strategien und Geschäftsideen aus. Dabei haben alle Projekte bereits die wichtigste Auszeichnung erhalten – nämlich die erfolgreiche Praxiserprobung.

Dabei ist es faszinierend, dass die Projektarbeiten stets multidisziplinär sind. Ohne IT geht kaum noch was. Aber ohne intensive Verhandlungen zwischen Lieferanten und Kunden, zwischen Partnern in der Supply Chain läuft auch nichts. Industrie 4.0 geht nicht ohne Kommunikation 4.0.

Das macht der diesjährige Preisträger, der Darmstädter Chemie- und Pharmakonzern Merck, auf eindrucksvolle Weise deutlich. Ausgezeichnet wurde sein Konzept, die rund 3500 verschiedenen

Packmittel – vom Fass bis zur Ampulle, von der Blisterfolie bis zum Schraubverschluss – nicht mehr in großer Stückzahl auf Lager vorzuhalten, sondern Just-in-Time durch die Lieferanten heranbringen zu lassen.

Der Ertrag ist beträchtlich: Merck konnte nach der Umstellung das gebundene Kapital von 14,5 Millionen Euro nahezu halbieren. Aber der Erfolg birgt auch Risiken. Denn jeder Logistikleiter weiß: ein Tag ohne Packmittel ist ein Tag ohne Umsatz. Neben diesem betriebswirtschaftlichen Grundsatz gelten für Pharmahersteller wie Merck zusätzliche gesetzliche Richtlinien, die zur besonderen Qualitätssicherung anhalten. Auch Packmittel müssen geprüft, getestet und zertifiziert werden – und das Charge für Charge.

Das geht nicht ohne die Mitarbeit der Lieferanten, die einerseits Qualitätsprüfungen im Warenausgang vornehmen, andererseits aber auch höchste Qualitätserwartungen erfüllen. Überprüft wird dies durch regelmäßige Audits, in denen die Lieferanten Sorgfalt und Compliance nachweisen. Dafür zahlt man dann auch im Zweifel mal etwas mehr für die Kiste…

Das aber ist vielleicht der wahre Standortvorteil, den die Deutschen genießen können: ein dicht geknüpftes Netz aus Hochleistungs-Lieferbeziehungen. Exzellenz ist keine Einzelleistung, sondern ein Teamplay. Merck spart, weil nicht an der Kommunikation gespart wird.

Die Automobilindustrie hat vorgemacht, wie ein minutiöses Taktgefühl im Wertschöpfungsprozess nicht nur zu günstigeren Produktionen, sondern auch zu zusätzlichen Leistungen führen kann. Dabei ist der Taktgeber nicht mehr das Fließband, sondern die Informations- und Kommunikationstechnik. Erfolgreiche Lieferbeziehungen schlagen mit dem Puls der Mikroprozessoren – egal, ob sie in einem Server, einem Laptop oder in einem Smartphone arbeiten.

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