Ist das jetzt etwa auch schon ein Vierteljahrhundert her? – vor 25 Jahren füllten die Visionen um das Computer Integrated Manufacturing (CIM), also die (durch) Rechner integrierte Fertigung, so manches Manager-Magazin. Aus der Vision, das Abteilungen nicht länger abgeteilt voneinander operieren sollten, sondern gemeinsam die Ressourcen des Unternehmens steuern und vERPlanen sollen, entstand eine völlig neue Klasse (all)umfassender Unternehmenslösungen: Enterprise Resource Planning. Und jetzt, wo nach Schätzungen im deutschen Mittelstand immer noch jeder fünfte bis jeder vierte Unternehmer auf eine solche Integrationslösung für mehr Effizienz und Transparenz meint verzichten zu können, starten wir bereits den nächsten Raketensatz…
Es ist nicht weniger als „Industrie 4.0“, was das Umsetzungsforum der „Forschungsunion Wirtschaft-Wissenschaft“ der Bundesregierung als Empfehlung für eine Agenda 2020 vorgelegt hat. Die vierte industrielle Revolution bringt nach der Mechanisierung (Dampfmaschine), Automatisierung (Elektrizität), Computerisierung (Mikroelektronik) nun die Individualisierung der Geschäftsprozesse. Denn Ressourcen sollen nicht mehr länger global oder zentral verwaltet, verplant und gesteuert werden. Vielmehr streben wir bis zum Ende des zweiten Jahrzehnts im neuen Jahrtausend eine Umkehrung der Werte an: Die Ware navigiert durch die Supply Chain, das Produkt definiert den Prozess im Unternehmen, der Artikel steuert seine Anwendung.
Es ist das vielbeschworene „Internet der Dinge“, das nun auch schon sein zehntes Jubiläum lange hinter sich hat, das diese Industriestruktur der vierten Generation bewirken soll. Nicht nur Maschinen, sondern Waren werden User im Internet. Sie verfügen über eine eigene IP-Adresse und können so über ihren Status, ihre Bestimmung und die nächsten Schritte Auskunft geben. Ermächtigt werden sie durch sogenannte Cyber-Physical Systems – also sensorisch begabte Handhabungsautomaten, die nicht mehr roboterhaft arbeiten, sondern umgebungs- und situationsbewusst reagieren.
Als freilich CIM vor 25 Jahren die Fertigungswelt umwälzte, waren die Flugzeuge nach Japan und Taiwan voller Eliten in Nadelstreifen, die sich in Fernost Nachhilfe in Sachen Automatisierung und Flexibilisierung holten. Und es war der deutsche Mittelstand – nicht nur, aber allen voran im metallverarbeitenden Gewerbe -, der daraus seine Lehren zog und im positiven Sinne mit dafür verantwortlich ist, dass Europa heute hilfesuchend auf Deutschland schaut. CIM ist eine Erfindung fernöstlicher Kanbaniker, aber das CIMsalabim zur Verwandlung einer ganzen Industrie ist der deutsche Ingenieurbeitrag dazu.
Daran gilt es nun anzuknüpfen. Es geht um die Symbiose von Web und Automatisierung, es geht um das Potenzial aus Cloud Computing und Kybernetik. Zwei Querschnittstechnologien sollen Industrieprozesse in praktisch allen Branchen beflügeln. Dazu ist eine größte Koalition aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik nötig, die nicht nur in Spitzentechnologie und Forschung investieren muss, sondern auch und vor allem in Bildung. Hier orientieren sich auch die großen Wirtschaftsverbände wie VDMA oder Bitkom derzeit neu: Sie fordern im und mit dem BDI seit langem Ausbildungsoffensiven und kreative Maßnahmen zur Stärkung der Hightech-Angebote.
Denn Deutschland braucht nicht nur Industrie 4.0, um den Wohlstand hierzulande aufrechterhalten zu können. Es braucht ebenso eine Bildung 4.0, um den Wissenstand zur Wahrung dieses Niveaus abzusichern. Sonst droht, was sich bereits in vielen Industrieländern abzeichnet: Komplexe Vorgänge werden nicht mehr verstanden, sondern hinter Symbolen simplifiziert. Dann denken wir nicht mehr in Prozessen, sondern in Prozeduren. Industrie 4.0 darf uns das Arbeiten abnehmen, aber nicht das Denken. Sonst folgt CIMsalabim die Entzauberung.