Haben Sie den Song noch im Ohr, mit dem die New Wave Group The Buggles 1979 die Charts eroberte: „Video killed the radio star“? Der Nostalgie-Song beschwor einen alternden Star, der im Radio reüssierte und im Fernsehen floppte. Das ganze wurde mit reduzierter Bandbreite aufgenommen, so dass der akustische Eindruck einer frühen Radioübertragung aus den dreißiger Jahren entstand. Es war als „Single“ aus einer „LP“ ausgeklinkt worden – Sie wissen schon, diese ewig verkratzenden Vinyl-Dinger. Und wenn man es heute hören will, sucht man bei Google, bis man den richtigen Youtube-Clip gefunden hat…
Der Wechsel vom Konzertsaal zum Aufnahmestudio war nicht das Ende der Musik, sondern der Beginn ihrer Demokratisierung. Der Wechsel vom Musik-Verlag zum Videoclip, von der CD zum mp3-Download war der Beginn ihrer Popularisierung. Zu keiner Zeit wurde auf der Welt mehr Musik gehört als heute. Und zu keinem Zeitpunkt wurde mit Musik mehr Geld verdient – nur nicht mehr von wenigen.
Und zu keiner Zeit wurde auf der Welt mehr gelesen als heute. Bevor es Visionen wie das Internet der Dinge gab, gab es bereits Phantasien vom Internauten, vom im Internet surfenden informierten Menschen, der sich nicht bei Redaktionen bedient, sondern bei Bloggern. Nicht, wer etwas schreiben darf, wird nun gelesen – sondern der, der etwas zu schreiben hat (oder auch nicht und es trotzdem tut).
Mit der Insolvenz der Frankfurter Rundschau und der wohl beschlossenen Einstellung der Financial Times Deutschland gewinnt in Deutschland eine Debatte an Fahrt, die nach Maschinensturm klingt. Und dieser Blog – ein Kind der Internet-Community – wendet sich entschieden gegen jene Kulturschelte, die dem Web als World Wide Wordprocessor entgegengebracht wird. Es geht nicht um das postulierte Junktim von Qualitätsjournalismus und Zeitungspapier. Es geht auch nicht um den Zusammenhang von Pluralismus und finanzieller Unabhängigkeit. Der Druck einer Zeitung garantierte niemals ihre Qualität, sondern immer nur das ihr zugrunde liegende Geschäftsmodell. Und das war ein Modell der Verleger, nicht der Schreiber.
Denn Verlage leben nicht von Lesern, sondern von Käufern. Im aktuellen Streit um die Zukunft des Journalismus geht es aber gar nicht um Inhalte, sondern um die Verwendbarkeit – die Fungibilität. „Fungibilität liegt vor, wenn die Sachen oder Rechte durch gleich bleibende Beschaffenheit (z.B. nach Zahl, Maß oder Gewicht) im Handelsverkehr bestimmt werden und durch jede andere Sache bzw. jedes andere Recht der gleichen Gattung und Menge ersetzt werden können“, weiß das Gabler Wirtschaftslexikon – und ich bin in der Lage, dieses Zitat schnell und einfach zu verwenden, weil es online verfügbar, also fungibel ist.
Seit es Online-Medien gibt, bin ich in der Lage, jederzeit aktiv am Meinungsstreit teilzunehmen – sozusagen als Teilzeit-Publizist. Ich muss mich nicht länger nach aufwändigen Produktionsprozessen – die Presse – ausrichten, um eine Meinungsäußerung, einen Diskussionsbeitrag, eine Idee in den öffentlichen Diskurs zu werfen. Und ich kann einen guten Gedanken mit meiner Community teilen – natürlich unter Wahrung der Quelle. Dies ist eine Frage der Wahrhaftigkeit, nicht des Mediums. Raubkopiert wurde immer – auch vor Gutenberg.
All dies hat die Diskussion, die Informationsverarbeitung, die Rezeption neuer Texte in meiner Umgebung erheblich vertieft und beschleunigt. Dem gegenüber stehen haptische Erfahrungen, die ich ebenso schätze: das Blättern in einer Zeitung oder das Öffnen eines Buches. Aber es gibt auch die (optische) Erfahrung in Flugzeugkabinen und ICE-Abteilen, die mit nach flüchtigem Durchscannen der Überschriften achtlos weggeworfenen Zeitungen zugemüllt sind. Das hebt zwar die IVW-Auflage, aber nicht die Achtung vor dem Qualitätsjournalismus.
À propos Haptik: Die ersten drei Jahre Bonnblogs gibt es jetzt als Buch. Aus Gründen der Nostalgie.