Die Grenzen des Wachstums

Es ist eine faszinierende Duplizität der Ereignisse (oder eher der Ursachen), die Google ausgerechnet in der Woche ihre fundamentale organisatorische Neuausrichtung verkünden lässt, in der Chinas Zentralregierung die Finanzmärkte mit einer ebenso fundamentalen währungstechnischen Neuausrichtung konfrontiert. Die Abwertung des Yuan/Renminbi durch Chinas Zentrale Notenbank ist ein ebensolcher Paukenschlag wie die Abwertung von Google durch Google.

In beiden Fällen ist die Ursache nahezu identisch – zumindest strukturell. Zwar haben weder China noch Google die Grenzen des Wachstums erreicht, aber wohl doch zumindest einen Schwellenwert, hinter dem es schwieriger wird, das bisherige Wachstumstempo beizubehalten. In beiden Fällen ist das sogenannte „low hanging Food“ der leicht zu erzielenden Wachstumspotenziale abgearbeitet. Was jetzt kommt ist Wachstum bei größeren Investitionen und kleineren Margen.

Chinas stürmisches Wachstum basiert darauf, dass es gelungen ist, innerhalb von nur einer Generation rund 400 Millionen Menschen in einen mit dem westlichen Niveau vergleichbaren Wohlstand zu katapultieren. Daraus entstand eine Kaufkraft, die auch die Phantasien westlicher Konsumgüterproduzenten (einschließlich der Automobilindustrie) lange Zeit beflügelt hat. Damit ist vorerst Schluss, denn es dürfte unendlich viel schwieriger werden, die infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen, um der eine Milliarde Menschen großen ländlichen Bevölkerung Chinas einen vergleichbaren Lebensstandard zu bescheren. Deshalb soll nun nicht der Konsum ausländischer Waren, sondern der Export eigener Produkte gefördert werden.

Googles sagenhaftes Wachstum basiert darauf, dass es gelungen ist, innerhalb von nicht einmal zwei Dekaden rund einer Milliarde Menschen in den Industriestaaten einen Informations-Wohlstand zu bescheren, der durch die disruptive Kraft der Digitalisierung kontinuierlich beflügelt wurde. Aber mehr googlen als googlen geht nicht. Nach dem Ende des Wachstums bei den Werbeeinnahmen auf stationären Rechnern ist auch das Ende des Wachstums im mobilen Sektor in Sicht – es sei denn, es gelingt tatsächlich, die infrastrukturell unerschlossenen Gebiete Afrikas, Südamerikas und Asiens zu erschließen. Genau das soll mit der Super-Drohne Wings gelingen, die aus nichts als aus Flügeln und Sendekapazitäten besteht und monatelang über ansonsten Internet-freien Zonen kurven soll.

Aber die Entwicklung von Wings verlangt ein anderes unternehmerisches Engagement als der Ausbau von Suchmaschinen. Auch der Test und Betrieb von autonom-fahrenden Fahrzeugen – zumal wenn dies in Kooperation mit globalen Automobilmarken geschehen soll – verlangt einen anderen unternehmerischen Ansatz als das Bemühen, mit Android die Weltmarktführerschaft bei Smartphone-Betriebssystemen zu erhalten. Google Glass, die Brille mit dem Web-Durchblick, mag einfach nur ein weiteres mobiles Device sein – aber die Iterationsschritte, die offensichtlich noch nötig sind, um daraus das nächste ganz große Ding zu machen, verlangen die Spürnase eines Startup-Gründers, nicht die festgezurrten Prozesse eines Weltmarktführers.

China und Google haben in der vergangenen Woche jeweils nach dem Management-Trick der ersten Wahl gegriffen. China hat seine Wirtschaft gestärkt, indem es seine Währung klassisch einseitig abgewertet hat. Google hat sich mit Alphabet eine Holdingstruktur gegeben, in der Google nunmehr nur noch ein Teil ist. Die Cashcow wird von nun an anders gemanagt als die Versuchslabore, Entwicklungsprojekte oder die vielversprechenden Geschäftsideen, wie die Suche nach lebensverlängernden Maßnahmen und Mitteln unter dem Namen Calico oder Nest Labs, wo die Tools für das vernetzte Eigenheim entstehen.

Noch ist unklar, ob die Holding lediglich lose gekoppelte Einheiten vereinen soll, die getrennt marschieren und vereint erfolgreich sein sollen. Oder ob es sich um eine horizontal vernetzte Holding handeln wird, in der Kapital und Personal untereinander akkumuliert, ausgetauscht oder gar abgeworben werden kann. Beides kann funktionieren – und in beiden Fällen kann aus den Google-Schwestern das nächste ganz große Ding entstehen. Die Grenzen des Wachstums wären dann wieder einmal ein Stück weiter nach oben verschoben.

 

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