Kaum ein IT-Manager wird durch die Digitalisierung so sehr getrieben wie der Chief Information Officer im Retail-Sektor. Das wurde vergangene Woche auf dem Microsoft Roundtable zum Thema Handel überdeutlich: Um Herr des Geschehens zu bleiben, muss der CIO in praktisch jede der großen Technologietrends investieren: Er muss das stationäre Geschäft zu einer Erlebniswelt mit digitalen Elementen weiterentwickeln. Er muss eine Multi-Channel-Strategie entwickeln, bei der er Online- und Offline-Angebote miteinander verknüpft und mit der passenden Logistik versorgt. Er muss sich bei Big Data-Analysen engagieren, um den breiten Datenstrom, den die Kunden bei ihren Kaufaktivitäten hinterlassen, auswerten und in seinen Sortimentsplänen einbeziehen zu können. Und nicht zuletzt muss er durch Cloud Computing eine moderne, omnipräsente IT-Infrastruktur schaffen, um überall dort wahrgenommen zu werden, wo der Kunde eine Kaufentscheidung trifft.
Dabei ist es nicht die Technologie, die den Chief Information Officer treibt, sondern der Kunde selbst. Denn anders als früher ist es die Kundschaft, die den Einsatz neuer Technologien fordert. Welche Dynamik darin liegt, zeigt die aktuelle Konsumentenstudie von KPMG. Darin wurden die Besitzer von Smartphones gefragt, wie sie sich ihre technische Ausstattung in der Zukunft vorstellen – und welche Services und Einsatzgebiete für sie relevant sind. Ich denke, dass die damit verbundenen Szenarien einen direkten Einfluss auf die IT-Strategie im Handel haben.
Fast die Hälfte der Befragten – nämlich 47 Prozent – können sich vorstellen, in den kommenden Jahren einen Haushaltsroboter anzuschaffen, der zum Beispiel das Staubsaugen übernimmt. Genauso viele erwägen, ihr Haus besser abzusichern – zum Beispiel durch eine Zugangskontrolle per Augen-Scan oder Fingerabdruck. Für mich völlig überraschend ist die bereits erreichte hohe Akzeptanz von 3D-Druckern. Jeder dritte würde es praktisch finden, wenn einfache Haushaltsgegenstände Becher oder Schüsseln mit additiver Technik zuhause produziert werden könnten. Ebenfalls ein Drittel würde den Kauf eines selbstfahrenden Fahrzeugs in Betracht ziehen.
Schon heute steuert der Kunde den Handel gewissermaßen vom eigenen Smartphone aus. Nach einer Deloitte-Studie sind bereits 30 Prozent aller Kaufentscheidungen, die im stationären Handel getroffen werden, schon heute digital manipuliert. Das sind nicht allein Produktinformationen im Vorfeld oder während des Kaufs. Es sind Werbespots im Fernsehen und im Internet, Produktempfehlungen von Youtubern, es sind Posts in den sozialen Netzwerken, die das Verhalten der Käufer beeinflussen. Und dabei werden 15 Prozent der Kaufentscheidungen durch mobile Geräte – also typischerweise noch während des Kaufs – beeinflusst. Das entspricht immerhin einem Umsatz von 126 Milliarden Euro.
Im Vergleich dazu sind die 46 Milliarden Euro, die in diesem Jahr alleine in Deutschland im Online-Handel umgesetzt werden, noch marginal. Aber die Bedeutung der electronic Shops nimmt rasant zu. 2016 wird doppelt so viel online verkauft wie noch 2010. Bis zum Jahr 2025, so besagen Prognosen, wird jeder vierte Euro online umgesetzt. Heute sind es etwa 15 Prozent. Was das für unsere Straßen bedeuten wird, ist eine besondere logistische Herausforderung. Allein in diesem Jahr werden 290 Millionen Pakete wieder zurückgeschickt. Das hat seine Ursache in der Kaufhaltung: 40 Prozent der Bestellungen erfolgen, obwohl der Kunde gar keine feste Kaufabsicht hat. Jeder Vierte unter 29 Jahren beschäftigt sich aus Langeweile mit dem Online-Shopping.
Dabei sind es eben nicht mehr nur die Menschen, die für den Handel als Kunden in Frage kommen, es sind auch die Maschinen, die Leistungen einkaufen. Der berühmte Kühlschrank, der die Waren selbst bestellt, ist schon in zahllosen Beiträgen zu Tode geritten worden. Der aktuelle Favorit der Zukunftsforscher ist das selbstfahrende Auto, das Botengänge übernehmen kann und den Konsumenten zum Ladenlokal seiner Wahl bringt. Dabei gibt es viel banalere Dinge: die Waschmaschine, die neues Waschmittel benötigt, der Staubsauger, der neue Müllsäcke anfordert.
So wird der Datenstrom noch umfassender, noch unübersichtlicher. Aber es entstehen auch neue Optimierungspotenziale in der Wertschöpfungskette vom Hersteller über den Handel zum Kunden. Sie entstehen nicht allein dadurch, dass der Konsument immer und überall erreichbar ist und angesprochen werden will. Sie entstehen auch dadurch, dass die Kunden unaufgefordert Feedback geben zu Produkten, zu Dienstleistungen, zur Qualität.
Ich habe diese Trends und Treiber in der vergangenen Woche auf dem Microsoft Roundtable zum Thema Handel am Beispiel des Konsumverhaltens meiner Enkelkinder aufgezeigt. Sie gehören als Digital Natives zu jenen, die den Handel vor neue Aufgaben und Herausforderungen stellen. Dabei waren sich die Teilnehmer einig: Der Handel muss an all diesen Technologiefronten investieren, wenn er mit dem digital ausgerichteten Prosumenten, dem produzierenden und professionellen Konsumenten, wie der Zukunftsforscher Alvin Toffler das bereits in den achtziger Jahren nannte, Schritt halten will. Der Handel muss handeln, sonst schwindet sein Handlungsspielraum.