171022 Volkszählung

AI wartet auf die Killer-Anwendung

Die Diskussion um Artificial Intelligence nimmt mitunter Züge der großen Ausspähangst vor 30 Jahren an, als ein großer Teil der deutschen Bevölkerung die Teilnahme an einer Volkszählung rundweg ablehnte: „Lass dich nicht erfassen“, hieß der Slogan, unter dem die Gegner die Herausgabe ihrer persönlichen Daten verweigerten. Drei Jahrzehnte später geben ihre Kinder praktisch alles Persönliche preis, wenn es dafür Dienste aus der Cloud „für umme“ gibt. Doch umsonst ist nichts – es ist höchstens vergebens…

Jetzt zeigt sich die gleiche paranoide Haltung gegenüber Systemen der künstlichen Intelligenz – allerdings finden sich Widerstand und Unterstützung nun nicht mehr in zwei Generationen, sondern in ein und derselben Personengruppe. Nach einer weltweiten Befragung des Spezialisten für Kundenbindung, Pegasystems, unter 6000 Konsumenten fühlt sich je ein Drittel wohl beziehungsweise unwohl beim Gedanken an künstliche Intelligenz, das letzte Drittel ist unbestimmt. Dabei, das hat die Studie detailliert herausgearbeitet, glauben mehr als zwei Drittel der Befragten genau zu wissen, was es mit der künstlichen Intelligenz auf sich hat.

Das wäre ein erstaunlicher Bildungserfolg angesichts der Tatsache, dass es sich bei der künstlichen Intelligenz um eines der komplexesten Technologiethemen unserer Zeit handelt. Und tatsächlich mussten die Studienbetreiber feststellen, dass die Konsumenten auch einfachste KI-Anwendungen nicht als solche identifizierten: dazu gehören die Kauf- und Lesevorschläge von Amazon und Facebook, die Werbeeinblendungen bei Google oder die Sprachassistenten von Microsoft und Apple. KI ist in der breiten Bevölkerung offensichtlich immer noch mit Großcomputern und Robotern, mit Überwachung und Bevormundung verknüpft. Tatsächlich sind sich zwei Drittel der Konsumenten nicht bewusst, mit KI in Verbindung gekommen zu sein, obwohl vier von fünf Befragten Endgeräte im Einsatz haben, die ohne KI gar nicht auskommen. Ein Viertel fürchtet sogar ganz konkret die Versklavung der Menschheit durch intelligente Maschinen.

Doch umgekehrt können sich 34 Prozent der Konsumenten vorstellen, beim Einkaufen von KI-Systemen unterstützt zu werden – tatsächlich ist dies aber bei 80 Prozent der Fall. Immerhin 27 Prozent können sich KI im Gesundheitswesen vorstellen – hier sind es tatsächlich derzeit noch weniger als zehn Prozent der Anwendungsfälle. Und ein Viertel stellt sich den KI-Einsatz in der Telekommunikation vor – in Wirklichkeit sind es hier wohl eher schon 99 Prozent der Situationen. Finanzberatung würde jeder Fünfte durch KI dulden – das entspricht auch durchaus der heutigen Einsatzdichte.

Tatsächlich handelt es sich hierbei um genau die Handlungsfelder, in denen Unternehmen derzeit am intensivsten in KI-Systeme investieren. Nach einer Befragung des Marktforschungsinstituts Vanson Bourne engagieren sich bereits 80 Prozent der 200 befragten globalen Konzerne bei KI. Und jeder dritte Entscheider ist davon überzeugt, das Investment in den nächsten drei Jahren sogar noch erhöhen zu müssen. Dabei ist es bemerkenswert, dass europäische Unternehmen im Unterschied zum weltweiten Trend den Industriesektor hinter ITK und B2B-Services an dritter Stelle sehen, noch vor Konsumer-Services und Finanzdienstleistungen.

Dabei erwarten die künftigen KI-Anwender höhere Renditen durch Umsatzsteigerungen und Kostenersparnisse. Die Umsätze sollen durch schnellere Produktentwicklung, verbesserten Kundenservice und eine optimierte Lieferkette entstehen. Für jeden heute investierten Euro erwarten die Anwender einen Euro innerhalb der nächsten fünf Jahre zurück. Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollen es sogar 1,87 Euro sein.

Interessant ist dabei, dass neben den klassischen Verdächtigen, also Hinderungsgründen wie mangelnder IT-Infrastruktur, zu wenig Personal und Know-how, zu knappen Budgets oder zu komplizierten Strategien oder Richtlinien bereits an fünfter Stelle ein Newcomer unter den Inhibitoren auftaucht: ein zu schwacher oder zu schwammiger Business Case für die Einführung von KI-Technologien.

Da schließt sich der Kreis. Unternehmen und Konsumenten fehlt es derzeit noch an konkreten Vorstellungen, was genau mit KI eigentlich geändert werden soll bzw. kann.

Dass sie nahezu jeden Lebensbereich verändern kann, darüber sind sich alle einig – nur an den konkreten Anwendungsfällen scheint es zu fehlen.

Das haben auch die KI-Anbieter inzwischen erkannt. Microsoft beispielsweise, das wie kaum ein anderer Anbieter seine Cloud-Services durch KI-Funktionen anreichert, steht vor der Riesenaufgabe, seinen 64.000 Cloud-Partnern – und den gut 100.000 weltweit, die es noch werden wollen – die Vision vom KI-Geschäft erst noch einzuimpfen. Denn allzu lange war künstliche Intelligenz etwas ausschließlich für Forschungslabore und Entwicklerbüros. Dass Artificial Intelligence nun für jedermann auf dem Smartphone, Tablet und aus der Cloud als Dienst zur Verfügung stehen kann – beflügelt leider noch nicht die Phantasie. AI – ein Alleskönner wartet auf seine Killer-Anwendung. Dabei ist AI doch schon selbst die Killeranwendung, die alles verändert?

Microsoft und seine Partner müssen diese Frage genauso lösen wie alle anderen großen Anbieter und deren Partner sowie die vielen Startups, die bereits heute rund um diese Technologie versuchen Lösungen aus dem Boden zu stampfen.

 

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