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Verkehrte Welt

Nächsten Montag, am 23. April, öffnet die Industriemesse in Hannover ihre Pforten. Dann drehen sich wieder Kräne, rattern Bohrmaschinen, klappern Förderbänder, pochen Hammerwerke und surren die Fertigungsautomaten. Auf den ersten Blick wird sich gar nicht so viel geändert haben auf dem Messegelände in Hannover. Das Hochfest des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus wird wieder einmal zeigen, dass der deutsche Exportüberschuss das Ergebnis harter Ingenieurskunst ist.

Doch es sind schon lange nicht mehr die Maschinen allein. Es sind die deutschen Tugenden wie Prozessoptimierung, Fertigungsautomation, integrierte Logistik und Materialkunde, die Produkte „Made in Germany“ international so beliebt machen. Daran werden wohl auch die Folterwerkzeuge eines amerikanischen Handelskrieges nicht viel ändern. Denn über den Preis hat der deutsche Maschinenbau noch nie verkauft – das wäre ein Wettlauf, den man hierzulande nur verlieren kann.

Wenn aber Functions und Features der deutschen Exportschlager immer mehr aus der Digitalisierung geschürft werden, dann wird die Innovationskraft immer stärker von der Frage abhängen, inwieweit deutsche Unternehmen in der Lage sind, den digitalen Wandel agil und zielorientiert zu betreiben. Das gilt für Anbieter und Anwender in gleichem Maße. Denn einerseits ist für die Fabrikautomation der Grundsatz “driven by Software” entscheidend. Andererseits sind die neuen GeschäftsModelle „driven by Data“. Beides sind hingegen US-amerikanische Tugenden.

Die wahre Industriemesse findet insofern eher in den Hallen statt. Und es ist nicht die klassische Hardware, die die Leistungsschau der HMI bestimmen wird, sondern die lautlose Software, die sich allenfalls in smarten Robotern, durch Gesten gesteuerte Handhabungsautomaten, durch Data Analytics optimiere Prozessketten vom Zulieferer des Zulieferers bis zum Kunden des Kunden manifestiert. So wie die Industrie, so wandelt sich auch die Industriemesse zu einer Digitalschau.

Wenn aber die Hannover Messe Industrie immer mehr den Charakter eines „CeFIT“ – eines Centrums für Fertigungsautomation, Informationstechnik und Telekommunikation – annimmt, wofür braucht’s dann noch des CeBITs? Das oder die Cebit war gut 30 Jahre lang der bürotechnische Aufgalopp zur Industriemesse. Hier wurden erst Computertrends und dann Softwaretrends gesetzt. Die Cebit zeigte Informationstechnik, die Industriemesse, was man daraus macht.

Heute hat die Industriemesse wieder zu sich selbst gefunden und damit zu einer Zeit zurück, in der Maschinen und Methoden eins waren. Nach dieser Wiedervereinigung muss die Cebit zu einer neuen Identität, zu einer neuen Mitte finden. Insofern ist die vielbelächelte Neuausrichtung als eventorientiertes Großereignis nur folgerichtig. Denn wo die Industriemesse das Zusammenspiel der digitalen Wirtschaft zeigt, wird die Cebit das Zusammenspiel unserer Gesellschaft in einer digitalisierten Welt beschreiben und vorleben. Und dieses Gesellschaftsspiel ist eventorientiert. Es setzt die Regeln einer teilenden, interaktiven, agilen und im Dauerdialog mit sich selbst befindlichen Gesellschaft um.
Erst Industriemesse, dann Cebit – der neue Messekalender erscheint nach drei Jahrzehnten wie einer verkehrte Welt. In Wahrheit stellt er aber die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße.

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