Es ist ja nicht so, dass im deutschen Gesundheitswesen alles zum Besten steht: Die Gesundheitskarte oder elektronische Patientenakte steht geradezu sprichwörtlich für die Reformfeindlichkeit der medizinischen Versorgung. Die Debatte um eine „Zwei-Kassen“-Gesellschaft wird immer intensiver ideologisch geführt. Die ehemalige Apotheke der Welt hat zwar noch Pharmafirmen von Weltrang, doch die Entdeckung neuer Wirkstoffe findet verstärkt im Ausland statt. Hierzulande fehlen dagegen 100.000 Pflegekräfte – und die Versorgung mit niedergelassenen Ärzten auf dem Lande geht zurück.
Und es ist keineswegs der Mangel an finanziellen Mitteln, sondern die oftmals falsche Einstellung zur technologischen Erneuerung, die die Akteure im Gesundheitswesen hemmt: für sie ist „der Status-quo besser als die Veränderung“, schimpft Volker Amelung, Vorsitzender des Bundesverbands Managed Care (BMC), in einem Kommentar zu einer aktuellen McKinsey-Studie, die ein Einsparungspotential von 34 Milliarden Euro allein im deutschen Gesundheitswesen ermittelt hat. 70 Prozent dieses Potentials kommt demnach den Leistungserbringern zugute – also Arztpraxen und Krankenhäusern, weitere 30 Prozent könnten bei den Krankenversicherungen entstehen. Damit, so meinen die Studien-Autoren, werde „das alte Argument vieler Leistungserbringer gegen die Digitalisierung ausgeräumt, dass sie ihnen außer Arbeit nichts einbrächte.“
BMC-Chef Amelung kommt deshalb in seinem Urteil über die digitale Ausstattung des Health-Sektors zu einem vernichtenden Urteil: „Im europäischen Vergleich ist Deutschland bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen abgehängt!“ Dabei sind sogar die prä-digitalen Projekte wie zum Beispiel die Neuordnung von Krankenhausverwaltungen vielerorts noch Hängepartien.
Und während hierzulande noch um die Bedeutung der Digitalisierung im Gesundheitswesen gerungen wird, vollzieht sich anderswo längst die nächste Revolution. Künstliche Intelligenz breitet sich nicht nur in der medizinischen Forschung, sondern mehr und mehr auch in der Gesundheitspraxis aus. Eindrucksvoll zeigt dies der diesjährige Microsoft Health Award, der Krankenhäuser und Gesundheitsdienstleister in den USA und Großbritannien für ihre Initiativen mit künstlicher Intelligenz auszeichnet. „Leider hat es kein deutscher Beitrag ins Finale geschafft – aber nächstes Jahr gibt es ja eine neue Runde“, bedauert Oliver Gürtler, der als Senior Director bei Microsoft für die Cloud und Enterprise-Geschäfte zuständig ist, in seinem aktuellen Blog.
Dabei ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz im von McKinsey ermittelten Einsprungs- und Verbesserungspotential noch nicht einmal berücksichtigt. 26 Technologien haben die Berater im Gesundheitswesen identifiziert, die zu mehr Qualität in der Diagnose und Betreuung führen können. Zu den Top-Five gehören:
- Umstellung auf papierlose Datenverarbeitung – 9 Milliarden Euro.
- Teleberatung und andere Online-Interaktionen – 8,9 Milliarden Euro.
- Automatisierung von Arbeitsabläufen zum Beispiel durch mobile Vernetzung des Pflegepersonals oder die verbesserte Identifikation von Medikamenten durch Barcodes – 6,1 Milliarden Euro.
- Entscheidungsunterstützung durch Datentransparenz, um Doppeluntersuchungen zu vermeiden – 5,6 Milliarden Euro.
- Patientenselbstbehandlung durch Diagnosetools und Gesundheits-Apps – 3,8 Milliarden Euro.
Umso mehr könnte das Gesundheitswesen gesunden, wenn gleichzeitig die nationale KI-Initiative genutzt würde, um mehr künstliche Intelligenz in die Auswertung medizinischer Studien, in die Diagnose oder die Pflege zu stecken. Denn wichtiger noch als die Einsparungspotentiale ist die zu erwartende Qualitätsverbesserung durch KI im Gesundheitswesen. Sie kann Menschenleben retten. Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind zwei Elemente der bitterbenötigten Medizin im Gesundheitswesen.