191021 Europa

Grundlegend falsch?

 Das McKinsey Global Institute hat in seiner kürzlich veröffentlichten „Innovation in Europe“-Studie eine Weisheit ausgekramt, die so alt ist wie das in Erlangen entwickelte MP3-Format: Europa sei zwar unverändert hervorragend in der Grundlagenforschung. Wenn es aber darum gehe, die Erkenntnisse in Produkte fließen zu lassen, zu skalieren und wirtschaftlich umzusetzen, verlören europäische Unternehmen den Anschluss gegenüber Wettbewerbern vor allem aus den USA und China.

Als Beweis dafür, dass diese Unfähigkeit, aus Erkenntnissen auch Ergebnisse zu kreieren, durchaus nachhaltig ist, haben die Autoren die Entwicklungsausgaben von 250 Hightech-Unternehmen verglichen: Der Anteil europäischer Investitionen in neue Technologien und Produkte ist auf acht Prozent der kumulierten F&E-Investitionen zurückgegangen. Der Anteil chinesischer Unternehmen liegt bei elf Prozent, der der amerikanischen Companies bei 77 Prozent.

Das hat unmittelbare Auswirkungen auf Umsatz und Gewinne. Unter den sogenannten „Superstar-Firmen“ – also dem obersten Zehntel aller Unternehmen mit der höchsten Gewinnabschöpfung – hat sich der europäische Anteil halbiert: nur noch jeder zwölfte „Superstar“ hat seinen Firmensitz auf dem alten Kontinent. Das legt nahe, dass international vernetzte und kapitalisierte Unternehmen offensichtlich einen stärkeren Innovationstrieb aufweisen, als deutsche oder europäische Firmen. In diesem Zusammenhang ist es eine spannende Tatsache, dass diejenigen DAX-Unternehmen, die mehrheitlich von ausländischen Investoren gehalten werden, auch zu den margenstärksten Anbietern gehören. Jüngstes Beispiel ist der DAX-Newcomer MTU, dessen Kapital zu 77 Prozent aus dem Ausland kommt und der die drittstärkste Umsatzrendite aller DAX-Konzerne aufweist.

Dass es aber dennoch kaum Anzeichen dafür gibt, dass sich dieser Trend noch einmal umkehren lässt, macht beispielhaft eine Umfrage der Boston Consulting Group aus dem vergangenen Jahr deutlich: nicht einmal jedes zweite deutsche Unternehmen beschäftigt sich demnach mit den Chancen und Nutzungsmöglichkeiten der künstlichen Intelligenz. Da stimmt es auch nicht gerade optimistisch, dass sich die Zahl der mit KI befassten deutschen Startups in den letzten drei Jahren zwar verdreifacht hat. Aber im Ergebnis hat es noch kein deutsches Startup zu einem Unicorn mit einer Marktkapitalisierung von einer Milliarde Dollar gebracht.

Dennoch gibt es Hoffnung: Während sich chinesische und US-amerikanische Unternehmen bei der KI-Forschung vor allem auf marketing-orientierte Ansätze konzentrieren, für die große Datenvolumina zum Käuferverhalten benötigt werden, setzen die Europäer – allen voran die deutschen Mittelständler – vor allem auf die Optimierung ihrer Produktionsprozesse durch KI. Es ist durchaus vorstellbar, dass hier viele Innovationsansätze unterhalb des Radarschirms geflogen werden. Denn die Optimierung des Shop Floors benötigt vergleichsweise geringe Datensätze (die auch nicht auf 5G-Infrastrukturen angewiesen sind) und einfachere Lernmodelle für die KI-Systeme.

Und während in China ein starker Fokus auf Smart Farming zu beobachten ist, also auf die Optimierung der Landwirtschaft durch künstliche Intelligenz, setzen US-amerikanische Unternehmen stark auf den Zukunftsmarkt Gesundheitswesen, wo sowohl große Infrastrukturprojekte als auch auf den einzelnen Patienten ausgerichtete Projekte anlaufen. In Europa ist hingegen das Engagement bei Agrar und Health etwa gleich groß. Die europäische KI-Initiativen sind also breiter aufgestellt.

Doch bleibt das Phänomen, dass die Fähigkeit, aus Erkenntnissen auch Ergebnisse zu erzeugen, anderswo inzwischen ausgeprägter ist. Das McKinsey Global Institute schlägt deshalb vor, dass analog zu den Eliteuniversitäten auch unter den europäischen Anbietern Eliten besser gefördert werden sollten, statt weiter mit der Gießkanne Forschung und Entwicklung zu fördern. Ganz ähnlich argumentierte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Anfang des Jahres auch bei der Vorlage seiner „Industriestrategie“ und erntete sofort heftige Kritik.

Eliten sind in Europa verpönt. Dabei wäre es ein naheliegender Schluss, dass, wenn die hervorragende Grundlagenforschung an den Elite-Unis betrieben wird, deren Umsetzung in Produkte und wirtschaftlichen Erfolg von ebenso profilierten Unternehmen betrieben werden muss. Schließlich hätte MP3 zu einer marktbeherrschenden Position führen können, während die globale Musikszene durch diesen Standard disruptiv umgewälzt wurde. Wäre also die Förderung „Europäischer Champions“ wirklich so grundlegend falsch?

 

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