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Totes Rennen unter der Cloud

Könnten Sie schlafen, wenn Ihnen ein Zehn-Milliarden-Dollar-Deal durch die Lappen gegangen ist? Wie sehr der Verlust des Pentagon-Auftrags zum JEDI-Projekt die Führungsriege von Amazon schlaflose Nächte bereitet, konnte man jetzt auf der Partner-Konferenz AWS re:invent 2019 in Las Vegas feststellen. Nicht nur sah der für Amazon Web Services zuständige Andy Jassy sich und sein Angebot in Sachen Funktionalität und Reife 24 Monate vor Microsoft, sondern auch Amazon-Chef Jeff Bezos wettert inzwischen auf dem Klageweg gegen die Vergaberichtlinien bei der Joint Enterprise Defense Infrastructure – diese seien ungerecht und unzutreffend.

Ob, wann und wie ein US-Gericht über die Amazon-Klage zur JEDI-Vergabe entscheiden wird, ist noch völlig unklar. Heikel würde es sowieso, weil dann die US-Justiz auch darüber entscheiden müsste, ob der US-Präsident unangemessen Einfluss auf die Entscheidung des Pentagons genommen hat. Bekanntlich lässt Donald Trump öffentlich keinen Zweifel an seiner Abneigung gegenüber Jeff Bezos, dessen Washington Post zu den unermüdlichen Kritikern seiner Präsidentschaft gehört. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch die Klage von Oracle noch nicht vom Tisch ist, wonach die Vergabepolitik, einen so großen Staatsauftrag lediglich an eine Firma zu vergeben, verfassungswidrig sei.

Auch wenn Microsofts President Brad Smith jetzt klarstellt, dass ungeachtet der Klagen, die Arbeiten am Projekt fortgesetzt werden, kann sich Microsoft also nach wie vor nicht sicher sein, dass der Deal wirklich in den trockenen Tüchern ist. Ja, im Moment ist noch nicht einmal gesichert, wann und wie der Projektstart stattfinden soll. JEDI scheint zurzeit ein totes Rennen zu sein.

Unterdessen wächst Microsoft unverdrossen schneller als der Markt für das Cloud-Business, was auch erklären kann, warum Amazon derzeit so dünnhäutig reagiert. Jüngstes Beispiel ist die Partnerschaft mit KPMG, nach der das Beratungshaus in den kommenden Jahren bis zu fünf Milliarden Dollar in neue Lösungen und Tools auf der Azure-Plattform investieren will. Grund für dieses Investment ist die Einsicht, dass globale Projekte in ihrer Reichweite immer komplexer werden und immer mehr weltweite Synchronisation verlangen. Microsofts Cloud-Geschäft wächst inzwischen sowohl bei Azure, als auch bei Office 365 sowie bei der Anwendungs-Suite Dynamics 365.

Aber auch das ist eher ein totes Rennen. Denn so beeindruckend die Zahlen sind – gemessen an den Marktanteilen ist Amazon immer noch Lichtjahre voraus. Allein bei Cloud-Speichern und Web-Services ist Amazon so groß wie seine 14 nächsten Verfolger zusammen. Unternehmen wie Netflix hosten ihre gesamten Streaming-Services auf AWS. Und unter den aufstrebenden Startups sind Amazon Web Services nach wie vor die Plattform der Wahl. Mit jedem Unicorn wächst das Cloud-Business von Amazon. Dagegen setzt Microsoft mit Azure stark auf die Plattform-Ökonomie, wie sie sich in Partnerschaften mit BMW, Volkswagen, der Allianz und anderen Großkunden zeigt. Und bei den Deals mit Handelskonzernen in den USA und Europa sticht Microsoft direkt in eine weitere Amazon-Domain vor: den Offline- und Online-Handel. Solange hier beide gemeinsam wachsen, ist auch dies ein totes Rennen.

Man könnte als Daumenregel festhalten, dass gemessen an Funktionalität und Pricing, Vertragsmodellen, Support und Sicherheit sowohl AWS als auch Azure eher gleichauf liegen als dass sie ein zweijähriger Entwicklungsvorsprung trennt. Ohnehin achten beide Anbieter peinlich genau darauf, dass ihre Cloud-Services kaum vergleichbar sind. Das macht die Entscheidung für IT-Verantwortliche nicht unbedingt leichter, denn wer nach bewährter Manier eine Checkliste mit Pros und Cons aufstellt, endet ebenfalls schnell im toten Rennen.

Hier empfiehlt sich ein pragmatischer Tipp: egal, wie man sich entscheidet, am Ende werden große Anwender doch in einer Multi-Cloud-Strategie landen, in der für jeden Einzelfall die mutmaßlich bessere Lösung genutzt wird. Dann kommen auch die Nachfolger im Wettbewerb – Google, Alibaba, IBM oder Deutsche Telekom – zum Zuge. Marktvielfalt und Wettbewerb hat noch nie geschadet. Dadurch bleibt das Rennen offen.

 

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