200302 Corona

Corona und der Preis der Freiheit

 80.000 Fußball-Fans sahen an diesem Samstag das Heimspiel von Borussia Dortmund im Stadion. Die andere Borussia, die aus Mönchengladbach, spielte gleichzeitig auswärts in Augsburg – was insofern ein Glücksfall war, als der heimische Borussia-Park nur wenige Armlängen vom Kreis Heinsberg entfernt ist, in dem – Stand Samstag – schon 39 mit dem Coronavirus Infizierte festgestellt wurden, darunter vier Kinder.

Während überall Großveranstaltungen abgesagt werden, macht die Bundesliga einfach weiter. Die Mobile-Messe in Barcelona war der erste prominente Rückzieher. Die Internationale Tourismusbörse in Berlin ist das jüngste Opfer dieser Absagen. Rund 250 Messen sind es inzwischen weltweit. In der Schweiz wurde nicht nur der Genfer Autosalon abgeblasen, sondern gleich alle Großveranstaltungen bis zum 15. März.

Denn es sind gerade Menschenansammlungen, die die Verbreitung des Coronavirus begünstigen und gleichzeitig seine Rückverfolgung in der Infektionskette unmöglich machen. Das Heinsberger Ehepaar besuchte eine Karnevalssitzung, ein weiterer Erkrankter machte Urlaub im brandenburgischen Tropical Island. Wir wissen das, weil die Betroffenen dazu Aussagen gemacht haben. Wo sie sich angesteckt haben könnten, dazu können sie jedoch nichts beitragen.

Das wäre anders, wenn in Deutschland Bewegungsprofile erstellt würden, wie es in China zwangsweise passiert. Aber das wollen wir nicht, weil wir Privatsphäre und Menschenrechte schützen. Diese Unwissenheit ist der Preis der Freiheit und der Freizügigkeit. Wir sperren auch keine Gebiete ab, wie dies rund um Wuhan oder in der italienischen Lombardei geschieht. Wir vertrauen stattdessen zu Recht darauf, dass unser Gesundheitssystem, unsere Notfall- und Pandemieplanungen angemessen sind. „Die Leute sind ruhig, aber in Panik“, fasste eine Bewohnerin im betroffenen Grenzort Gangelt die Lage zusammen. Und in der Tat: auch in Deutschland verzeichnen wir bereits erste Hamsterkäufe – vor allem bei Atemmasken, die im Prinzip wert- und wirkungslos sind.

Zugleich gibt es Panikverkäufe an der Börse. Innerhalb von sechs Tagen verliert der Deutsche Aktienindex 1800 Punkte. Allein die fünf großen Internet-Firmen – Apple, Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft – haben in dieser Woche einen Marktwertverlust von zusammengenommen 200 Milliarden Dollar hinnehmen müssen. Die 500 reichsten der Reichen, die im Bloomberg Billionaires Index zusammengefasst sind, verloren allein am Montag 139 Milliarden Dollar. Insgesamt ist der Marktwert aller börsennotierten Unternehmen weltweit um sechs Billionen Dollar zusammengebrochen.

Der Grund: In dem Maße, in dem wir unsere Infektionsketten unterbrechen, kappen wir auch unsere Lieferketten. Und das spüren globale Konzerne wie mittelständische Unternehmen gleichermaßen. China ist mit 8,5 Prozent Exportanteil Deutschlands größter Handelspartner. Inzwischen produzieren und verkaufen 5000 Unternehmen direkt in China. Rund 3000 Niederlassungen oder Töchter deutscher Firmen existieren in der Lombardei. Viele sind oder waren von Schließungen betroffen. Die deutsche Wirtschaft, so die aktuellen Prognosen, wird sich in diesem Jahr nicht mehr erholen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz stellte bereits ein Konjunkturprogramm in Aussicht – so wie in der Finanzkrise 2008.

Das Coronavirus trifft uns nicht nur über die Todesopfer, die es zu beklagen gibt. Es legt sich wie Mehltau über das öffentliche Leben und die Wirtschaft. Und die Wucht, mit der wir getroffen werden, zeigt sich an einer einzigen Zahl: Im Jahr 2009 schätzte der Internationale Währungsfonds die weltweiten Wertpapierverluste auf vier Billionen Dollar. Jetzt sind es innerhalb einer Woche schon sechs Billionen.

Doch es gibt Unterschiede: Vor zwölf Jahren begannen wir gerade erst damit, über Cloud Computing nachzudenken – und die Vorstellung, die hauseigene IT zugunsten von Cloud-Services einzuschränken, stieß allenthalben auf Skepsis. Facebook war gerade vier Jahre alt – und die sozialen Medien beeinflussten mit ihren Fake News noch kaum den öffentlichen Diskurs. Heute forschen Pharma-Firmen mithilfe künstlicher Intelligenz am Impfstoff, den wir spätestens zum Jahresende erwarten dürfen. Anders als 2008 wissen wir, dass spätestens mit der weltweiten Corona-Impfung der Spuk vorbei sein dürfte.

Doch die abgesagten Großveranstaltungen, die leergeräumten Supermarktregale, die Preisexplosion bei Desinfektionsmitteln, die Verschwörungstheorien über ein absichtlich in die Welt gesetztes Virus, die Bewegungsprotokolle im Überwachungskommunismus – alles das ist die Summe unserer gesellschaftlichen und technologischen Entwicklung in den vergangenen zwölf Jahren. Als Nachkriegskind fühle ich mich an die Hoch-Zeit des Kalten Krieges erinnert – vom Koreakrieg bis zum Prager Frühling. Damals reichte der Schreckruf – „Die Russen kommen!“ – aus, um uns zu Hamsterkäufen und Verschwörungstheorien zu verleiten. In der heutigen ubiquitären Informationsgesellschaft reicht eine Desinformation, ein jüngstes Gerücht, eine Fake News, um die gleichen Panikattacken auszulösen.

„Ruhe bewahren“ ist und bleibt die höchste Bürgerpflicht. Und „Hände waschen!“ Das Coronavirus zeigt uns erneut, dass Freiheit kein „Free Lunch“ ist, sondern einen Preis hat, den wir immer wieder entrichten müssen. In diesem Fall sind es die Einschränkung unserer Mobilität, die Beschneidung unserer Lieferketten und die Einhaltung simpelster Hygienevorschriften. Statt Panik zu schieben sollten wir erkennen, dass der Preis der Freiheit doch relativ leicht entrichtet werden kann.

Post Scriptum:

Wenn ich für diesen Beitrag schon die Ereignisse des 24. Bundesligaspieltags bemühe, so möchte ich dabei ausdrücklich meinem Freund Dietmar Hopp mein Mitgefühl aussprechen. Es muss eine unglaubliche psychische Belastung sein, über Jahre hinweg von Fußball-Fanatikern – Fans sind das nicht – so grundlos verunglimpft und öffentlich geschmäht zu werden. Ich bewundere ihn für seine Standhaftigkeit wie auch für sein Lebenswerk, aus dem nicht nur Deutschlands erfolgreichstes Unternehmen hervorging, sondern auch ein beispielloses Mäzenatentum in der Region Rhein-Neckar sowie die Förderung von jungen Unternehmen aus der Biotechnologie. Auch der Hass, der sich auf öffentlichen Bühnen und in sozialen Medien eine Plattform sucht, ist Ausdruck unserer gesellschaftlichen Entwicklung, die von Halle, Hanau bis Hopp ihr Ventil sucht. Und schließlich: bei der Wortwahl im Bayern-Block sollte nicht unerwähnt sein, dass die Beleidigung nicht nur Dietmar Hopp trifft, sondern auch seine Mutter. Aber dies alles erdulden zu müssen, ist wohl auch – wenngleich ein sehr hoher – Preis der Freiheit.

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