Bundesinnenminister Horst Seehofer hat diese Woche zum Arbeitsdienst aufgerufen. Es gehe in der aktuellen Notlage darum, dass alle an der Herstellung dringend benötigter Medizinprodukte mitwirkten. Gehört haben den Ruf vor allem Frauen, die in der auferlegten heimischen Isolation nach einer sinnvollen Tätigkeit suchen. Rund 1,5 Millionen Links liefert bereits eine Google-Suche nach „Masken nähen Anleitung“. Und auf Facebook, Instagram oder Pinterest kann man sie bestaunen, die selbstgefertigten Mundschutzmasken, die so nicht heißen dürfen, weil der Begriff „Schutz“ eine medizinische Leistung suggeriert. Dazu sind aber nur mit der entsprechenden Zertifizierung ausgewiesene Betriebe berechtigt.
Diese juristische Spitzfindigkeit, die bereits zu mehreren Aktionen der professionellen Abmahnwirtschaft geführt haben soll, ist freilich im Hausgebrauch irrelevant. In den vergangenen Tagen ist schätzungsweise eine satte sechsstellige Zahl an Mundschutzmasken – wir bleiben jetzt mal bei dem Begriff – im Heimarbeitsdienst entstanden. Auch wenn der medizinische Wert einer Maskenpflicht eingeschränkt ist, weil dadurch ein infizierter Träger höchstens andere vor der Ansteckung schützt, Gesunde aber nicht vor der Ansteckung bewahrt werden – die heimischen Maskenbildner leisten doch einen volkswirtschaftlichen Beitrag, wie die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, anmerkt: Es wäre fatal, wenn nun auch vermehrt Privatpersonen Schutzmasken aufkauften, die eigentlich für den Gebrauch in Kliniken und Pflegeeinrichtungen gedacht sind und dort dringend benötigt werden.
Nun ist die strenge Kontrolle bei der Zulassung medizinischer Geräte, von Medikamenten und allen Produkten, die „Gefahr für Leib und Leben“ bedeuten könnten, eine Konsequenz, die das Gesundheitswesen weltweit aus dem Contergan-Skandal 1968 gezogen hat. Sie verhindert unter anderem auch, dass bislang nicht zugelassene Medikamente auf die Menschheit losgelassen werden, wenn sie nicht die drei Phasen klinischer Studien durchlaufen haben. Danach werden die Wirkstoffe zunächst an einer kleinen Anzahl gesunder Menschen auf freiwilliger Basis getestet, um Verträglichkeit und Nebenwirkungen zu identifizieren, ehe die eigentliche therapeutische Versuchsphase mit erkrankten Patienten beginnt. Darauf folgt eine Kontrollphase zur Bestätigung der Wirksamkeit und Sicherheit die im Erfolgsfall zur Zulassung des Medikaments führt. Die Phase IV begleitet dann das Medikament „im richtigen Leben“.
Das ist auch der Grund, warum wir uns bei der Bereitstellung einer Therapie und eines Impfstoffes gedulden müssen. Der „Erfolgsdruck“ – wie es ein Pharmakologe formulierte – ist aber dennoch ungemein hoch. Dennoch darf man an diesen Grundfesten der Medikamentensicherheit nicht rütteln. Das sollte im Prinzip auch für Corona-Schnelltests gelten, die jetzt im Internet zu Hauf angeboten werden. Zwar hält das Bundesgesundheitsministerium nichts davon, kann aber nicht einschreiten, weil Anbieter nach den derzeit geltenden EU-Regeln diese Verfahren „selbst zertifizieren und auf eine unabhängige Überprüfung verzichten“ können, ehe sie die Produkte in Verkehr bringen. Der Grund: Mit einem Schnelltest wähnt man den Käufer allenfalls in einer falschen Sicherheit, gefährdet aber sein Leben nicht unmittelbar.
Lockern kann man die Regelung bei weniger kritischen Produkten aber schon, meint Bundesinnenminister Horst Seehofer. Um fachfremde Firmen in die Produktion von Beatmungsgeräten, Schutzkitteln und Mundschutz einzubinden, brauche es kein neues Gesetz, denn „so viel moralische Verantwortung ist in unserem Land schon da.“ Da rächt sich allmählich, dass Deutschland, die ehemalige Apotheke der Welt, nahezu alle kritischen Produktionskapazitäten ins Ausland verlagert hat.
Jetzt rückt die Corona-Krise so manches zurecht. Das gilt auch für die Einstellung zur Digitalisierung. Die Vorstellung von menschenleeren Fabriken, in denen Roboter die Arbeit aufrechterhalten, verliert ihren Schrecken. Auch der Einsatz von Pflege-Robotern, die gegen das Virus immun wären und den Pflegekräften bei der Arbeit zur Seite stünden, ergibt jetzt einen Sinn. Wie sehr die Urteile relativiert sind, zeigt die Diskussion über die Tracking-App des Robert-Koch-Instituts. Plötzlich haben auch Datenschützer nichts mehr gegen eine auf freiwilliger Basis verbreitete Bluetooth-App, die vor der Begegnung mit Infizierten warnen kann. Warum nicht, wenn´s hilft?
Da wäre ich freiwillig auch dabei…