200518 Konjunktur

Retten, was zu retten lohnt

 

Nach den Zahlen der Johns Hopkins University liegt die Zahl der an Corona neu Infizierten in Deutschland seit acht Tagen unter 1000 Personen täglich. Und seit gut einer Woche tobt der öffentliche Diskurs darüber, wann es denn nun genug sei mit dem ganzen Spuk, wie die einen meinen, während die anderen vor der zweiten Infektionswelle warnen. Parallel dazu entflammt die Debatte nicht nur darüber, wann welcher Wirtschaftssektor wieder uneingeschränkt operieren darf, sondern vor allem darüber, mit welchen Fördermaßnahmen welcher Branche unter die Arme gegriffen werden soll.

Der Austausch der Argumente kommt immer gebetsmühlenartig auf die gleichen Kernsätze: Die Digitalwirtschaft brauche keine Stütze, sie zahlt ja auch ohnehin kaum Steuern. Die Automobilindustrie könne nicht gleichzeitig Fördermaßnahmen verlangen und ihren Aktionären satte Dividenden versprechen. Dann kommt die Frage nach der Systemrelevanz – etwa bei TUI oder der Lufthansa. Endlich geht es um Firmen im Handel und Handwerk, um Startups, Soloselbständige und mittelständische Familienunternehmen, die zwar jede für sich genommen nicht systemrelevant sind, aber insgesamt das Rückgrat der deutschen Wirtschaft darstellen. Und schließlich geht es um Unternehmen, die schon vor der Krise kein funktionierendes Geschäftsmodell mehr vorweisen konnten: sie sollen auch nicht durch die Krise gesundgestoßen werden – genannt werden dabei immer GaleriaKarstadtKaufhof und ThyssenKrupp.

Es geht um Kaufgutscheine, Abwrackprämien, Staatszuschüsse, Steuerstundungen und unzählige andere wirtschaftspolitische Steuerungselemente. Aber erst ganz zum Schluss kommt die Debatte auf die eigentliche Modernisierungsfrage: Warum stützen wir nicht vor allem die Unternehmen, die uns die Arbeitsplätze von morgen sichern? Natürlich darf ein Staat nicht entscheiden, wer zukunftssicher ist und wer nicht. Aber er darf Anreize schaffen, die unzweifelhaft die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft stützen. Und das sind vor allem Investitionen in digitale Geschäftsprozesse!

Egal in welcher Branche, egal in welcher Betriebsgröße und egal in welchem Business-Modell gilt ein und derselbe Grundsatz: Digitalisierung sorgt für mehr Durchgängigkeit zwischen Abteilungen, zwischen Prozessen und zwischen Unternehmen in einer Supply Chain, während gleichzeitig mehr Transparenz über das tatsächliche wirtschaftliche Geschehen geschaffen wird und mehr Kommunikation zwischen Markt und Marketing, zwischen Verbrauchern und Vertrieb, zwischen Konsumenten und Produkten entsteht. Dabei sorgt die Digitalisierung für die Daten als Rohstoff, deren Veredelung zur Erkenntnis aber erst durch Big Data Analytics und künstliche Intelligenz gelingt.

Deutschland hat wie andere Länder auch die einmalige Chance, beim Wiederanlauf der Wirtschaft auf digitale Kompetenz und künstliche Intelligenz zu setzen. Statt nur drei Milliarden für KI-Forschung in fünf Jahren auszuschütten, sollte es das Hundertfache sein, das im nächsten Konjunkturpaket für Investitionen in Digitales und KI bereitgestellt wird. In einer aktuellen Studie zum Einsatz von KI-Werkzeugen, die Microsoft in Auftrag gegeben hat, zeigen sich zwei klare Tendenzen: Unternehmen, die bereits Erfahrung mit künstlicher Intelligenz in ihren Geschäftsprozessen gesammelt haben, sind erstens in der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen, Marktstrategien und Kundenkommunikation innovativer. Und zweitens sind Unternehmen, die ihre Mitarbeiter im Umgang mit KI-Tools intensiv schulen und neue Berufsbilder entwickeln, zugleich auch erfolgreicher als Firmen, die beim Althergebrachten bleiben. Die KI-Studie zeigt deutlich, dass die beste Methode Arbeitsplätze zu erhalten, darin besteht, Mitarbeiter zu qualifizieren. Die schlechteste Methode besteht darin, Arbeitsplätze zu erhalten, für die es keine Märkte mehr gibt.

Wir haben in den letzten Wochen genügend Beispiele dafür erlebt, wie die Digitalisierung die Wirtschaft im Shutdown am Laufen hielt. Jetzt sollten wir uns um Beispiele bemühen, wie Daten und KI die Konjunktur ans Laufen bringt. Dabei geht es gar nicht darum, dass KI-Systeme besser sein müssen als die qualifiziertesten Menschen; es reicht, wenn sie besser sind als die meisten Menschen. Bots beispielsweise, die eine Vorqualifizierung von Kundenanfragen vornehmen, besetzen Arbeitsplätze, die ansonsten gar nicht ausgeschrieben würden. Analysewerkzeuge, die klinische Studien durchforsten, kommen zu Ergebnissen, auf die sonst keiner gekommen wäre. Roboter in Lackierzellen übernehmen eine Arbeit, die für Menschen lebensgefährlich wäre.

KI-Systeme übernehmen Aufgaben an beiden Enden der Qualifizierungspyramide. Sie übernehmen Commodities – also geistlose oder lebensbedrohende Tätigkeiten – oder Qualities – also Tätigkeiten, die einer besonderen Spezialisierung bedürfen. Dazwischen ist Platz genug für qualifizierte Mitarbeiter in attraktiven Jobs.

Diese Vision müssen wir entwickeln, wenn wir über ein postcoronales Konjunkturprogramm nachdenken. Wir sollten retten, was zu retten lohnt, und erneuern, was möglich ist. Die nächste Konjunktur beginnt nicht mit KO, sondern mit KI.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert