2000907 Supercvomputer

Initiativen ohne Initiative

Eigentlich müsste man dem Hochleistungsrechnen mit Supercomputern die Meriten für den Erfolg von Cloud Computing zusprechen. Denn deren Anschaffung und Betrieb waren schon immer so teuer, dass jede Rechnersekunde Tag und Nacht genutzt werden musste, um annähernd rentabel zu operieren. Deshalb sind Netzwerke für High Performance Computing nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In den Supercomputern hat die alte Idee des Time Sharing zu Zeiten des heiligen Hollerith überlebt. Zum Time Sharing kommen Skill Sharing und Shared Services wie Platform, Software oder Infrastructure as a Service – alles Dienstleistungen, die die heutige Cloud zum “neuen Normal” machen.

Jetzt soll mit EuroCC, dem Europäischen Supercomputer-Kompetenznetz eine Initiative entstehen, die die bereits vorhandenen Netzwerke – darunter das Unternehmen EuroHPC, die Europäische Prozessor-Initiative, das Exzellenzzentrum für HPC-Anwendungen oder die Initiative PRACE, die Anwendern Hochrechenressourcen zuteilt – zusammenfasst und unter eine einheitliche Strategie stellt. Daran hat es nämlich bislang gefehlt.

„Wie immer!“, möchte man ausrufen. Denn egal, ob Künstliche Intelligenz, Supercomputing oder Datencloud – stets stoßen wir Europäer nach Jahren auf die Erkenntnis, dass uns eine gemeinsame Strategie fehlt, während privatwirtschaftliche US-Konzerne oder chinesische Staatsunternehmen das Terrain schon längst für sich sondiert, Geschäftsmodelle entwickelt und Gewinne eingeheimst haben. Im „Digitalen Oklahoma Land Run“ wachen wir immer erst auf, wenn die anderen schon längst ihre Claims abgesteckt haben.

Nun ist das Ergebnis von High Performance Computing in erster Linie Erkenntnis-Gewinn – lange Zeit eine Domäne der Europäer, die dann aber die konkrete Vermarktung der Grundlagenforschung gerne den Schnellen und Schlauen überlassen. Aber dass jetzt ausgerechnet eine Initiative allen bisherigen Initiativen mehr Initiative im Supercomputing bringen würde, darf doch getrost bezweifelt werden. Über Jahrzehnte habe ich meine Erfahrungen in Gremien machen müssen, deren Ziel es war, die Initiative von Initiativen zu stärken. Meist endet dies mit Sand im Getriebe, Abstimmungsmarathon und verpassten Zeitplänen und Zielen. In den Gremien kann Parkinsons Gesetz, nach dem die Erledigung einer Aufgabe immer so viele Ressourcen verschlingt, wie ihr gewährt werden, voll zur Geltung kommen.

Das liegt an einem Webfehler dieser Initiativen. Sie haben hehre Ziele, beispielsweise die „technologische Souveränität“, wie Bundesbildungsministerin Anja Karliczek bei der Vorstellung von EuroCC formulierte. Aber für Tempo im weltweiten Technologiewettlauf sorgen keine abstrakten Ziele, sondern klare kommerzielle Vorgaben aus Soll und Haben, Umsatz und Gewinn, Marktpotenzial und Marktanteil.

Das ist auch der Webfehler hinter der Europäischen Cloud-Initiative Gaia-X, deren Grundsatz, einen europäischen „Datenozean“ und „Daten-Souveränität“ (so Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier) zu bieten, ja zu begrüßen wäre. Die Relevanz des Projekts, nämlich technologische Unabhängigkeit von den fünf marktbeherrschenden Cloud-Providern aus den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China zu gewinnen, ist unbestritten. Doch der Gaia-X-Foundation sind inzwischen schon 22 Unternehmen beigetreten – stellvertretend für viele Hundert kleine Cloud-Provider in Europa. Es wird schon eine Herausforderung sein, diese 22 unter einen Hut zu bringen. Es ist nicht anzunehmen, dass der Markt, der in der Corona-Krise noch zusätzliche Dynamik erlangt hat, demütig warten wird, bis diese Foundation sich auf eine gemeinsame Technologie, ethische Standards, ein Geschäftsmodell, ein Vertriebsmodell und schließlich auf Umsatz- und Gewinnziele geeinigt hat. Auch diese Initiative wird früher oder später durch die Einzelinteressen paralysiert werden. Statt Tempo aufzunehmen, um zehn Jahre Rückstand aufzuholen, droht der Abstimmungsstillstand. Europas Initiativen fehlt einfach die Initiative.

Doch wo wäre die Alternative? Die Initiative dem freien Markt zu überlassen, bis sich ein Europäer aufrafft, soviel Initiative zu ergreifen, wie wir sie staunend bei Elon Musk oder Jeff Bezos beobachten, hat sich in den letzten zehn Jahren ebenfalls als Irrweg erwiesen. Sie scheitern in Europa an nationaler Eigenbrötlerei. Nur die Gründung eines Unternehmens als Kind einer europäischen Industriepolitik, das sich von Anfang an am Markt bewähren muss, kann Tempo und Zielorientierung bringen. Das gelang einmal mit Airbus. Doch das zu wiederholen, auch dazu fehlt den Europäern zurzeit die Initiative.

 

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