201102 Daten

Grundrecht auf Datenweitergabe

Letzte Woche hat meine Corona-Warn-App angeschlagen. Sie teilte mir mit, dass ich an einem bestimmten Tag  eine Begegnung mit niedrigem Risiko mit einer später Corona-positiv getesteten  Person hatte. Mehr erfuhr ich von dieser App nicht.

Ich habe daraufhin meinen Kalender gecheckt und festgestellt, dass ich an diesem Tag eigentlich zuhause war – bis auf einen Routine-Besuch bei meinem Hausarzt. Dort habe ich dann angerufen und der Praxishelferin mitgeteilt, dass ich nur beim Aufenthalt im Wartezimmer mit einem später Corona-positiv getesteten Patienten in Kontakt gekommen sein kann. Aber „natürlich“ konnte man mir nicht sagen, mit wem ich dort zusammengesessen bin. „Wegen Datenschutz“, hieß es.

Dann schränkte die Kanzlerin in der Konferenz mit den 16 Ministerpräsidenten/innen meine Freiheiten ein – keine unbedingt notwendigen Reisen, keine Feiern mit mehr als einem knappen Dutzend Menschen, keine Gaststättenbesuche, kein Shopping. Begründet wurde dieser Eingriff in meine Freiheitsrechte, also meine Menschenrechte, damit, dass es inzwischen nicht mehr im ausreichenden Maße gelingt, die Ansteckungsketten zurückzuverfolgen. Nur noch 25 Prozent der tatsächlichen Kontakte können von den Gesundheitsämtern nachverfolgt werden. Der Grund: „Wegen Datenschutz“, heißt es.

Wir schränken Freiheitsrechte ein – und das auch noch, ohne die Parlamente vorher mit dieser Notstandsregelung zu befassen. Aber den Popanz Datenschutz lassen wir unangetastet, obwohl die Einschränkung der informationellen Selbstbestimmung uns mindestens so viel Impuls beim Kampf gegen das Corona-Virus bringen würde, wie das Beherbergungsverbot. Das trifft ein Gewerbe und die Reisefreiheit gleichermaßen. Doch etwas mehr Datenfreiheit würde uns mehr Möglichkeiten geben, das Geschehen um die Virus-Verbreitung besser zu verstehen.

Man muss sich das mal vorstellen. Erst seit wenigen Wochen ist die Angabe von Fake-Names wie Dagobert Duck oder Paul Panther eine Ordnungswidrigkeit, die mit Spielgeld von wenigen Euro geahndet wird. Bis dahin konnte jeder die Nachverfolgung seiner Kontakte als Kavaliersdelikt behindern. Und auch jetzt ist die Ordnungswidrigkeit kaum ernsthaft zu verfolgen. Unsere Ordnungshüter haben echt wichtigeres zu tun, als dummen Witzbolden hinterherzurennen.

Datenschutz ist offensichtlich ein höheres Gut als Gesundheitsschutz. Wäre es anders, würde uns die Corona-Warn-App nicht mit lapidaren Mitteilungen kommen, die keinen handfesten Hinweis auf Kontakte und Nachverfolgbarkeit liefern, sondern eigentlich nur ein ungutes Gefühl schüren. Dass es anders geht, zeigt Südkorea – ein Land, das nicht unbedingt als demokratisches Entwicklungsland gilt. Dort aber geht Demokratie ein positives Verhältnis mit Technokratie ein. Daten sind dort das, was sie tatsächlich sein sollten: ein Rohstoff, aus dem sich Erkenntnis und Ergebnisse gewinnen lassen. Bei uns sind Daten immer noch etwas, was weggesperrt gehört. So handeln wir grundsätzlich – beim Cloud Computing, bei Big Data Analytics, bei der Bekämpfung von Kriminalität oder bei der Erkundung unerkannter Zusammenhänge.

Das kann man nicht mehr anders als paranoid bezeichnen. Und wenn gleichzeitig Millionen Deutsche ihre intimsten Details auf den sozialen Medien breittreten oder in Befragungs-Apps vom Haushaltseinkommen bis zu persönlichen Vorlieben alles preisgeben. Sich im sicheren Datenschutz bewegen und ihn dann bei jeder Gelegenheit ignorieren, das ist – die nächste psychiatrische Diagnose: schizophren.

Also fassen wir zusammen: Wir schränken fundamentale Freiheitsrechte ein, ohne dafür den eigentlich vorgesehenen demokratischen Prozess einzuhalten, lassen aber das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung unangetastet, obwohl es uns dabei helfen würde, die Nachverfolgbarkeit signifikant zu verbessern. Stattdessen begründen wir die Einschränkung unserer Freiheiten auch noch damit, dass wir wegen einer unzureichenden Datenbasis drei von vier Nachverfolgungen nicht abschließen können. Gehts noch?

Wir brauchen ein Grundrecht auf Datenweitergabe im Notfall. Und diesen Notstand haben wir doch längst ausgerufen. Es gibt keinen Grund, dieses Freiheitsrecht, das die meisten Deutschen sowieso freiwillig mit Füßen treten, unangetastet zu lassen. Es wird Zeit für eine öffentliche Debatte über unser Verhältnis zu Daten. Ich freue mich auf Ihre Kommentare – natürlich nur, wenn sie nicht anonym gepostet werden.

4 Gedanken zu „Grundrecht auf Datenweitergabe“

  1. Lieber Heinz Paul,

    Danke für diesen Beitrag, Du sprichst vielen aus der Seele.
    Schreibe gerne mehr zu diesem Thema.

    Du sagst Daten sind eine Ressource – behandelt werden sie eher als Heiligtum.

    Wären Daten tatsächliche eine strategische Ressource, wie es weitläufig heisst, dann müsste dazu konsequenter Weise auch geregelt werden wer wann welche Daten unter welchen Bedingungen, in welchem Umfang zu welchem Zweck nutzen darf. Dazu gehört dann auch (d)eine dringend notwendige Notfallregelung. So wie es übrigens bei allen anderen Ressourcen (also was ein Produktions- und Eigentumsverhältnis mit sich zieht) üblich ist, wie Finanzen, Rohstoffe, Geräte oder… Waffen.

    Solange Daten keine echte Ressource sind, bleiben sie leider nur heilig.

    Frank

  2. Sie haben die Funktionsweise der Corona-App leider nicht richtig verstanden. Bei einer Begegnung mit niedrigem Risiko zeigt die App nicht an, wann diese Begegnung stattgefunden hat.
    Wie das bei einer Begegnung mit erhöhtem Risiko ist, weiß ich nicht, da ich in dieser Situation Gott sei Dank noch nicht war.

  3. Dass viele ihre Daten bewusst oder unbewusst oder aus vermeintlichem Mangel an Alternativen Google, Facebook & Co in den Rachen schmeißen, kann nicht als Argument benutzt werden, Datenschutz aufzugeben, aber ich bin ein absoluter Freund einer auf Freiwilligkeit basierenden Datenweitergabe. Und das nicht nur seit Covid19. Meine Erfahrungen als Patient sagen mir zum Beispiel, dass ich eine Patientenakte will. Freiwillig.

    Aber wie viele werden freiwillig ihre Daten weitergeben? Wie viele melden derzeit zurück, dass sie infiziert wurden? Aus Angst, falsch verstandenem Schutz der eigenen Daten oder was auch immer.

    Wir sollten nur nicht zu schnell, unsere Datenschutzprinzipien aufgeben, finde ich. Das wird allenthalben jetzt sehr plakativ gefordert. Wir brauchen Freiwilligkeit, intelligente Modelle und Aufklärung/Weiterbildung. Auch wenn manche offensichtlich nicht aufgeklärt werden wollen, wie wir gerade verhängnisvoll sehen.

  4. Ich kann Ihnen (leider) nur voll und ganz zustimmen. Neben diesem akuten Problem sehe ich mit besonderer Besorgnis ein anderes, langfristiges.

    Vor Jahren sah ich das Ergebnis einer weltweit durchgeführten Umfrage, für wieviel Geld die Befragten bereit wären, ihre Daten aus bestimmten Bereichen (Telefon-Meta-Daten, Gesundheit, etc.) zu verkaufen. In den meisten Ländern waren diese Daten den Befragten nur ein paar Cents wert. Selten ging es mal über einen US$. Es gab aber eine signifikante Ausnahme: Befragte in D hätten ihre Gesundheits-Daten erst für einen Betrag von über 200 US$ hergegeben.

    Ich bin sicher, dass es den in D befragten Personen nicht klar war/ist, was diese extreme Vorsicht an Folgen hat? Doppelte und dreifache Untersuchungen, die nur durchgeführt werden, da die Daten nicht oder nur per Fax ausgetauscht werden, sind da nur die Spitze des Eisberges. Viel gewichtiger ist, dass Datenbanken zu Therapien von schweren Erkrankungen und deren Erfolg nur unter sehr begrenzten Bedingungen aufgebaut und – was noch wichtiger ist – ausgewertet werden können.

    Wenn ich an Krebs erkranke, dann möchte ich die für mich am besten passende Therapie erhalten, die auf Grund von Daten ausgewählt wird und nicht nur vom Erfahrungsschatz des behandelnden Arztes abhängt.

    Ich plädiere hier nicht für den sorglosen Umgang mit Daten aller Art, aber was derzeit (nicht) passiert, grenzt an Selbstverstümmelung.

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