201207 digital-gipfel

Ach, du Heiliger Sankt Nimmerlein

„Ich brauche ja die App nicht zum Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern ich brauche sie sofort.“ Im Gespräch mit der Publizistin und Wissenschaftlerin Miriam Meckel verteidigte die Bundeskanzlerin und Wissenschaftlerin Angela Merkel auf dem virtuellen Digitalgipfel 2020 die Vorgehensweise bei der Entwicklung der Corona-App. Man habe dabei den dezentralen und freiwilligen Ansatz gewählt, um möglichst schnell möglichst breite Akzeptanz zu gewinnen. Es würde ja nichts geholfen haben, wenn man – wie in Frankreich – eine anspruchsvollere Lösung entwickelt hätte, die aber erst nach langer politischer Debatte um die Akzeptanz am Sankt-Nimmerleins-Tag 2023 zum breiten Einsatz gekommen wäre. Und außerdem habe man der Industrie durchaus vorgeführt, was mit Bluetooth möglich ist. Innovativ und agil – das sind nicht unbedingt die beiden Eigenschaften, die man mit der Technologiepolitik dieser Bundesregierung verbindet.

Das sind aber durchaus die Erfolgsgeheimnisse der Startups: Code a little, test a little. Von Teilprojekt zu Teilprojekt, also von Sprint zu Sprint folgen im agilen Projekt Entwicklung, Abstimmung und Zustimmung, ehe der nächste Entwicklungsschritt in Angriff genommen wird. Ähnlich agil will die Bundesregierung jetzt auch beim Datenschutz und dem Schutz der Privatsphäre vorgehen, scheint es: Die Frage der Abwägung von technologischem Fortschritt auf der einen und dem Schutz der Daten auf der anderen Seite müsse kulturell immer wieder neu ausgehandelt werden, so Merkel. Also von Kultur-Sprint zu Kultur-Sprint. Klar sei aber, dass dieser Prozess nun schnell gehen müsse, um zum Beispiel bei den Zielen beim Klimawandel nicht weiter hinterherzuhinken.

Oder zum Beispiel im Gesundheitswesen, in der Smart City, bei der Verbrechensbekämpfung, der Terrorabwehr, dem Kampf gegen Cyber Crime oder ganz allgemein bei den Zielen der Plattform-Ökonomie, dem Cloud Computing, dem Internet der Dinge und bei Anwendungen der künstlichen Intelligenz, möchte man hinzufügen. Denn Deutschland hinkt inzwischen überall hinterher.

Im Spannungsfeld zwischen digitaler Freizügigkeit und Datensparsamkeit wird in Deutschland im Zweifel immer für den Datenschutz entschieden, den wir nicht als Schutz der Daten, sondern eher als Schutz vor den Daten definieren. Im Wettbewerb mit den IT-Hochburgen in China und den USA ziehen wir dadurch immer wieder die Bremse an. Das hat einen sicheren wirtschaftlichen Nachteil zur Folge, während der gesellschaftliche Vorteil durchaus nicht als gesichert gelten muss.

Es ist das Dreigestirn aus überbordendem Datenschutz, Zögerlichkeit in der digitalen Transformation und Klein-Klein bei der Technologieförderung, das Deutschland lahmlegt. Das zeigt sich beim Cloud Computing, bei der Förderung von künstlicher Intelligenz und jetzt auch bei der neuesten Königsdisziplin der Informationstechnik, dem Quantencomputing. Hier will die Bundesregierung zwei Milliarden Euro in ihr Konjunkturprogramm einstellen. Wofür? „Wir entwickeln gemeinsam mit Fraunhofer eine Strategie, wie wir auch selber Quantencomputer bauen können“, erklärte die Kanzlerin.

Zwei Milliarden, das klingt nach viel Geld, ist es aber nicht. Zum Vergleich: allein für die Lufthansa und damit für ein Geschäftsmodell von gestern wurden 5,7 Milliarden Euro an stillen Einlagen eingeplant. Das aktuelle Hilfspaket für die Automobilindustrie umfasst drei Milliarden Euro und soll einer Branche klimafreundliche Investitionen schmackhaft machen, die in ihrer SUV-Laune das Drei-Liter-Auto völlig aus den Augen verloren hatte und jetzt versäumten Elektromobilitätszielen nachhechelt.

Wenn wir uns schon bei Investitionen in die Vergangenheit nicht lumpen lassen, warum klotzen wir dann nicht bei Investitionen in die Zukunft? Denn auch im internationalen Vergleich klingen zwei Milliarden Euro für eine „Strategie, wie man einen Quantencomputer baut“, nicht besonders beeindruckend. IBM und Google, zwei der Pioniere beim Rechnen mit Qubits, haben allein schon mehr investiert. Beide haben auch mehr in Cloud Computing und KI investiert als die Bundesregierung für diese Zukunftsthemen bereitstellt. Und in China ist allein ein Campus für Quantencomputing für zehn Milliarden Dollar in die Welt gesetzt worden. Deutschland wird mit der nächsten halbgaren Hightech-Initiative nicht den Abstand zu den führenden Quantentechnologen verringern, sondern lediglich das Anwachsen des Rückstands verlangsamen.

Wie wenig die Kanzlerin auf der Höhe der Debatte ist, zeigt der billige Wortwitz, die Investition in Quantencomputing sei ein Quantensprung. Das haben in der Tat schon andere – und das Jahre vor uns – erkannt. So meldet sich zum Beispiel das US-Unternehmen Honeywell zu Wort, das in den letzten Jahren eher durch Gerätesteuerung und Klimatechnik bekannt geworden ist, und meldet nach vier Jahren Forschungsarbeit die Entwicklung eines Quantenchips. Das wäre – wenn es denn stimmt – ein Quantensprung. Wir warten wahrscheinlich auch beim Quantencomputing auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.

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