201221 Telekom1

Bei der Digitalisierung nur das Nötigste

An diesem Blog ist alles digital. Er wurde auf dem Smartphone mit Hilfe einer Spracherkennungssoftware diktiert. Für die Entfehlerung und Formatierung des Textes habe ich vom Laptop aus auf die Datei in der Cloud zugegriffen. Dort wurde auch die Audiodatei abgelegt, nachdem ich den Text – wiederum mit dem Smartphone – eingesprochen habe. Auch hier wurden kleinere Korrekturen am Laptop mit einem speziellen Editor vorgenommen. Zusammen mit einer Grafik – aus dem Web – wurde schließlich alles online gestellt. Den Link dazu habe ich in den sozialen Medien verbreitet und Ihnen persönlich per Mail zukommen lassen. Auch das Geschäftsmodell ist digital motiviert – es geht darum, im Aufmerksamkeitswettbewerb Punkte zu sammeln. Also wirklich alles digital.

Aber bin ich deswegen schon ein Digital Leader? Nach Auffassung des von der Deutschen Telekom bei techconsult in Auftrag gegebenen „Digitalisierungsindex Mittelstand 2020/2021“ bin ich tatsächlich ein digitaler Vorreiter, der dank des hohen Digitalisierungsgrades besonders gut auf die Corona-Pandemie vorbereitet ist. Doch streng genommen handelt es sich bei meinem digitalen Geschäftsprozess eher um eine „minimal invasive Innovation“. Zum Einsatz kommen lauter Commodities, die kaum einen echten und vor allem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil bringen.

Aber genau das sollten Digitalisierungsanstrengungen eigentlich bewirken: Wettbewerbsvorteile. Zwar loben die Telekom-Autoren, dass der Indexwert über den Grad der Digitalisierung im Mittelstand um zwei Punkte gegenüber dem Vorjahr zugelegt hat. Aber mit 58 von 100 möglichen Punkten ist das Glas doch eher nur halb voll. Oder halb leer: denn dieser Wert aus dem Mittelfeld zeigt, dass der deutsche Mittelstand bei der digitalen Transformation weiterhin nur Mittelmaß ist.

Ja, von Transformation, also von Veränderung, kann kaum ernsthaft die Rede sein. Nur eine Minderheit der befragten Unternehmen verbindet mit der eigenen Digitalisierungsstrategie auch das Nachdenken über neue Geschäftsmodelle oder neue Marktmechanismen. Und wo dies geschehen ist, waren die veränderten Rahmenbedingungen der Hygienemaßnahmen gegen Corona der ausschlaggebende Anreiz. Deutlichstes Indiz dafür ist, dass 55 Prozent der Unternehmen Home-Offices für ihre Mitarbeiter ermöglicht haben.

Aber auch ein Home-Office macht noch keinen Digital Leader. Es ermöglicht vielleicht die Fortführung der Geschäftstätigkeit unter Corona-Bedingungen. Eine echte Innovation, eine buchstäbliche Erneuerung, ist damit nicht verbunden. Nur 37 Prozent wollen unter dem Eindruck der Corona-Krise ihre digitalen Prozesse stärker vorantreiben. Da ist es kein Wunder, dass in den dienstleistungsorientierten Branchen die Unternehmen mit dem höchsten digitalen Durchdringungsgrad zu finden sind. Dabei, so stellen die Studienautoren fest, hat sich gerade die Logistikbranche zum Digital Leader gemausert. Sie hat der Untersuchung zufolge am heftigsten auf den Anpassungsdruck reagiert. Aber auf der anderen Seite haben freischaffende Dienstleister am wenigsten für ihre digitale Selbstverwirklichung getan – obwohl gerade hier Online-Aktivitäten das Überleben sichern könnten. Auch überraschend – und ebenso unverständlich – ist die Tatsache, dass der Handel sich laut Studie im vergangenen Jahr digital kaum weiterentwickelt hat.

Dabei operieren mittelständische Unternehmen ohnehin auf niedrigem digitalem Niveau. Zwar urteilen die Studienautoren wohlwollend, dass „zahlreiche Unternehmen die zurückliegenden Monate genutzt haben, um digitale Vorhaben kurzfristig voranzutreiben.“ Doch wenn sie genauer hinschauen, müssen die Studienautoren relativieren: „Im Fokus stehen mobile Endgeräte, Kollaborations- sowie Video- oder Webkonferenzlösungen.“ Ansonsten, so heißt es weiter, „wurde die Investitionsbereitschaft für nach wie vor als wichtig erachtete digitale Lösungen wie künstliche Intelligenz, Blockchain, Augmented und Virtual Reality oder generell in digitale Innovationskultur und Change Management vermehrt zurückgestellt.“

Es ist das alte Lied: Erst hatte der Mittelstand keine Zeit für Digitalisierung, weil Hochkonjunktur herrschte. Dann wollte man das Geld angesichts einbrechender Märkte zusammenhalten. Und schließlich wurde wegen Corona nur das Nötigste eingeleitet. Inzwischen fehlen wieder Zeit und Geld. Aus einer solchen Motivationslage können keine Digital Leader entstehen.

 

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