Die Nachricht schreckte die Aktionäre: Teamviewer, der deutsche Spezialist für Fernwartung und Remote Access, hat eine Marketingkooperation mit dem englischen Fußballverein Manchester United geschlossen und will auch in der Formel 1 mitmischen. „Größenwahnsinnig“ oder zumindest „großspurig“ dachten die Aktionäre und schickten die Aktie ins Minus. Doch der Coup dürfte wohldurchdacht sein, denn in Zeiten von Lockdowns und Reiseverboten ist die Software, mit der nicht nur Computer im Homeoffice gewartet werden können, sondern auch ganze IT-Landschaften beim Kunden, gefragt wie nie. Um jetzt im lukrativen anglo-amerikanischen Raum wahrgenommen zu werden, muss man schon etwas dicker auftragen.
Ein solches Gebaren ist in der mittelständisch geprägten deutschen Softwareszene unüblich, in der nach SAP und SAG erstmal lange nichts kommt. Das Ergebnis der letzten Konsolidierungswelle vor der Corona-Krise, nämlich der Zusammenschluss aus Step Ahead, Godesys und Informing, ist mit weniger als 300 Mitarbeitern immer noch im mittelständischen Mittelfeld. Und ohne langjährige Partnerschaften mit den Technologieführern wie SAP, Microsoft, Salesforce oder Oracle wären die deutschen Anbieter kaum überlebensfähig. Ihnen fehlt die Marktbedeutung, um ein eigenes Technologie-Ökosystem zu etablieren.
Die Corona-Krise trifft sie darüber hinaus an mehreren Stellen besonders hart: Während die Mehrzahl der Anbieter von Unternehmenslösungen erst allmählich damit begonnen hatte, vom guten alten Lizenzgeschäft auf Abonnements im Cloud Computing umzuschwenken, brach im vergangenen Jahr bei vielen der Umsatz gleich aus zwei Gründen ein: Erstens bedeutet der Schwenk vom Verkauf zur Vermietung zunächst einmal weniger Umsatz, bis die Abonnentenzahlen so weit zunehmen, dass die laufenden Einnahmen wieder steigen. Zweitens aber ist das vom Volumen her viel wichtigere Beratungsgeschäft, das vor allem im direkten Kundenkontakt erfolgt, praktisch zum Erliegen gekommen. Kundenmeetings finden nicht mehr bei der berühmten Tasse Kaffee statt, sondern im beiderseitigen Homeoffice. Da kommt eine Fernwartungssoftware wie Teamviewer gerade recht.
Dabei ist gerade jetzt das Beratungsgeschäft so wichtig wie nie. Praktisch alle Unternehmen haben sich in der Corona-Krise neu ausrichten müssen, mussten etwas mehr Digitalisierung wagen und ihre Geschäftsprozesse umstellen. Wie sehr dabei auch das Gefährdungspotenzial zunimmt, haben die jüngsten Hacks bewiesen. Es hat den Anschein, dass vor allem die Lösungen der großen Technologieanbieter wie zuletzt bei Microsoft von den Hackern ins Visier genommen werden. Noch kurz vor Ostern musste Microsoft seine Cloud-Services runterfahren, weil ein mutmaßlicher „Distributed Denial of Service“-Angriff auf die Domain Name Server des Unternehmens gefahren worden war. Kurz zuvor hatte Microsoft übrigens sein Bounty-Programm ausgeweitet, mit dem ethische Hacker aufgefordert werden, gezielt nach Systemlücken in den Cloud-Lösungen zu suchen. Nach dem rapiden Wachstum des vergangenen Jahres wurde auch die Collaboration-Software Teams in dieses Reward-Programm aufgenommen.
Software ist und bleibt die weiche Stelle im digitalen Rückgrat der Weltwirtschaft. Da muss auch die Systemfrage gestellt werden, ob die zahllosen kleinen und mittelständischen Softwarehersteller nicht auch selbst ein Sicherheitsrisiko darstellen, weil sie mitunter gar nicht die personellen und intellektuellen Ressourcen haben, um ihre Lösungen von allen Seiten auf mögliche Sicherheitsmängel zu überprüfen. Deshalb wird die Abhängigkeit von den Ökosystemen der großen Technologieanbieter weiter wachsen, denn nur sie haben die Ressourcen, die eigenen Infrastrukturangebote auch technisch ausreichend abzusichern.
Doch auch umgekehrt nimmt die Abhängigkeit der Technologiegiganten von ihren kleinen und mittelständischen Softwarepartnern weiter zu. Microsofts CEO Satya Nadella beklagte jetzt in einem Blog, dass die Bereitstellung von Updates und Patches die erkannten Sicherheitslücken noch lange nicht behebt. Denn Patches müssen auch aufgespielt werden, was – schlimm genug – von vielen Anwendern nicht oder nur zögerlich geleistet wird. Solange noch die Mehrheit der Anwender auf eigene IT-Shops setzt, sind es vor allem die Softwarehäuser vor Ort, die mit Beratung und Betreuung für mehr Sicherheit sorgen können. Das geht übrigens ganz gut mit Teamviewer oder ähnlichen Lösungen, solange der Lockdown den Besuch verbietet.
Mittelständische Softwareberater sind wie Hausärzte, die selbst am besten wissen, wo ihren Patienten, respektive Klienten der IT-Schuh drückt. Deshalb gilt in dieser Corona-Zeit nicht nur „impfen, impfen, impfen“, sondern auch „patchen, patchen, patchen“. Denn so wie wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben, werden wir uns auch darauf einzustellen haben, dass Software nun mal die weiche Stelle in unserem Rückgrat ist.
Heinz-Paul Bonn bloggt seit mehr als zwei Jahrzehnten zu Themen der Digitalwirtschaft. Mit HPBonn.Consulting berät er Unternehmen und Persönlichkeiten aus der Szene. Mehr erfahren Sie hier.