210621 Nixdorf

Dringend gesucht: Digitale Persönlichkeit

Der Wahlkampf ist gerade erst eröffnet, da stehen schon wichtige Entscheidungen für den Zuschnitt der künftigen Bundesregierung an. Denn – egal, ob Schwarz oder Grün – ein Digitalministerium muss her! Darin sind sich nahezu alle Wirtschaftsverbände einig. Damit soll es zumindest in Sachen Digitalisierung kein „Weiter so!“ geben, also kein Digitalbeauftragter im Kanzleramt oder eine Bereichszuständigkeit im Innen-, Wirtschafts-, Forschungs-, Justiz- oder Verkehrsministerium. Doch selbst wenn es tatsächlich in der neuen Legislaturperiode zu einem Bundesministerium für Digitalisierung kommen sollte, das möglicherweise sogar ressortübergreifende Zugriffsmöglichkeiten hätte, bliebe ein Hauptproblem immer noch zu lösen: wo wäre denn die Persönlichkeit, die in der Lage wäre, Digitalstrategien für den Bund zu entwickeln und dann auch noch durchzusetzen?

Seit Jahrzehnten – vielleicht seit dem Tod von Heinz Nixdorf 1986 – fehlt in Deutschland eine ausgesprochene Gallionsfigur für das digitale Flaggschiff. Ralph Dommermuth, der Gründer von United Internet, oder die Samwer-Brüder sehen in ihren Karrieren wohl andere Schwerpunkte. Und auch Bitkom-Präsident Achim Berg, einer der lautstärksten Rufer nach einem Digitalministerium und einer griffigen Digitalstrategie, wäre wohl befähigt, würde aber kaum dem Ruf ins Kabinett folgen. Denn im Berliner Haifischbecken der Politik würde wohl jeder Quereinsteiger aus der Wirtschaft in den ersten Monaten um Auswechselung betteln.

Aber aus dem jetzigen Politikertableau im Bund bietet sich keiner oder keine für einen Platz in der Startaufstellung an. Da muss man schon auf die Landesebene schauen. In Nordrhein-Westfalen sitzt seit ziemlich genau vier Jahren Andreas Pinkwart als Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie im Kabinett von Armin Laschet einem solchen Superministerium vor, wie es für den Bund wünschenswert wäre. Denn Digitalisierung ist keine wertfreie Technologie-Übung. Sie ist erfolgreich, wenn dadurch Wirtschaft innovativ operieren kann oder wenn sie in den Dienst von Herkulesaufgaben wie Energiewende und Klimaneutralität gestellt wird.

Allerdings: so wie die Dinge in Zeiten von Datenschutz-Grundverordnung, „Cloudophobie“ und digitaler Bräsigkeit liegen, würde ein solches Digitalministerium doch wieder nur von einem Verhinderer angeführt, in dem Großprojekte langsam und mühsam auf den Weg gebracht würden – nach dem Motto: „Lieber nicht regieren, als schlecht.“ Mit Laufzeiten jedenfalls, wie sie seit dem schon Jahre ohne nennenswertes Ergebnis unter dem Namen Gaia-X vor sich hin dümpelnden Projekt der Daten-Cloud oder wie sie bei der seit Jahrzehnten versprochenen Entbürokratisierung zu beobachten sind, kann man im digitalen Zeitalter noch nicht einmal hinterherlaufen, geschweige denn verlorenes Terrain zurückgewinnen.

Mehr Agilität findet sich denn auch in der Empfehlung der Expertenkommission Forschung und Innovation für die kommende Bundesregierung. Die Technologie-Missionen müssten schneller und mit mehr Zukunftsperspektive formuliert und auf den Weg gebracht werden. Anreize für die Wirtschaft sollten konkret und diesen Zielen untergeordnet sein, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Gutachten für 2021. Fünf wesentliche Prioritäten empfehlen die Autoren: „Eine hohe Priorität müssen die großen gesellschaftlichen Herausforderungen und dabei insbesondere die Nachhaltigkeitsziele haben. Ebenso wichtig für die Wohlstandsentwicklung ist es, dass Deutschland bestehende technologische Rückstände aufholt und sie bei potenziellen Schlüsseltechnologien von Beginn an vermeidet. Damit diese Ziele erreicht werden können, muss ein rohstoffarmes Land wie Deutschland über eine starke Fachkräftebasis verfügen. Im Hinblick auf F&I-Investitionen bei privaten Unternehmen ist es darüber hinaus notwendig, die Innovationsbeteiligung zu erhöhen. Schließlich ist die Agilität der F&I-Politik eine wichtige Voraussetzung, um den gesellschaftlich erwünschten transformativen Wandel erfolgreich umzusetzen.“ Das klingt wie die Präambel eines künftigen Koalitionsvertrags über das zu bildende digitale Superministerium.

Es sollte aber zugleich auch die Handlungsaufforderung für die deutsche mittelständische Wirtschaft sein, die sich in Sachen Digitalisierung nicht nur im Corona-Jahr 2020, sondern auch schon davor schwertat. Zwar wurden einerseits Not-Programme wie die Umstellung auf Remote Work forciert, andererseits aber längerfristig angelegte Digitalprojekte auf Eis gelegt. Inzwischen hat ein Großteil der Unternehmen seine Rücklagen aufgebraucht. Und woran wird als erstes gespart? Richtig: an der Digitalisierung.

Dabei beweisen genügend Studien, dass vor allem die Unternehmen sich schneller von der Krise erholen, die schon früh mit digitalen Geschäftsprozessen ihre Transformation eingeleitet haben. Ein solcher Change-Manager wäre denn auch das Beste für ein mögliches digitales Superministerium. Muss das eigentlich ein Deutscher sein? Nachdem Microsofts CEO Satya Nadella dank seiner Erfolge in den zurückliegenden Jahren mit einer Machtfülle ausgestattet wurde, die vor ihm nur der Gründer Bill Gates innehatte, blickt man neidvoll auf die Visionäre auf der anderen Seite des Atlantiks. Wobei – Bill Gates hätte ja jetzt Zeit. Wir sollten schon jetzt mit der Stellenausschreibung beginnen: Digitale Persönlichkeit – dringend gesucht.

3 Gedanken zu „Dringend gesucht: Digitale Persönlichkeit“

  1. Erfrischend 🙂 Lieben DANK für die Gedanken, lieber Heinz!

    Ich schließe mich da voll an. Und ich meine: wenn wir mehr Entscheidungen treffen, die solche Größen entstehen lassen, um so mehr, werden wir die auch bei uns finden.
    Die Shopify Gründer – beispielsweise – haben auch viel zu erzählen, sind aber auch unter härtesten Vorbedingungen nach Canada gegangen, um dort ein Unternehmen zu gründen, dass SAP „alt“ aussehen lässt… im mehrfachen Sinne 🙂

  2. Lieber Achim Berg, wir haben den Tippfehler aktualisiert – jetzt sind Sie also tatsächlich einer der „LAUTstärksten Rufer“.

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