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Licht am Ende des Tunnels?

Lassen Sie mich mit einer persönlichen Bemerkung beginnen: Als Software-Unternehmer war ich Jahrzehnte lang Wettbewerber, aber auch Berater und Partner des größten deutschen Softwarehauses SAP. Ich habe die Lebensleistung der Gründer stets mit Respekt, ja: sogar mit Bewunderung verfolgt. Und es schmerzt mich zutiefst, wie dieses Unternehmen im globalen Vergleich ins Mittelmaß abrutscht. Dieser Blog dokumentiert mein Entsetzen darüber…

„Wir sehen Licht am Ende des Tunnels“, beteuerte SAPs CEO Christian Klein zur Eröffnung der virtuellen SAPphire Now und er meinte damit weniger die Tatsache, dass sich seine Company nach dem Tiefschlag im Oktober 2020 allmählich erholt, sondern vielmehr das bevorstehende Ende des Corona-Lockdowns. Damals – im Oktober 2020 – ließ eine überraschende Gewinnwarnung den Börsenkurs um 40 Prozent absacken. Zwischenzeitlich – im April – notierte die Aktie wieder bei 120 Euro. Beflügelt wurden die Phantasien der Aktionäre auch durch einen Großauftrag der Google-Mutter Alphabet, die künftig mit SAPs Finanzlösung die bisherige Oracle-Installation ablösen will.

Nein, am Ende des Tunnels sieht Christian Klein vielmehr Menschen, die es nicht erwarten können, vom Home Office wieder ins Firmenbüro zu wechseln. Wahrscheinlich gibt es sie tatsächlich – und es mag sogar eine knappe Mehrheit sein. Aber es gibt auch diejenigen Unternehmen und Mitarbeiter, die im Remote Work Teile des neuen Normal nach Corona erkennen. Aber wenn man nicht – wie Microsoft mit Teams oder Salesforce mit Slack – eine eigene ausgefeilte Collaboration-Lösung im Portfolio hat, dann muss man sich die Realität eben ein wenig zu seinen Gunsten umdeuten.

Tatsächlich sind Zahlen wie die 75 Millionen täglichen User, die mit Hilfe von Microsoft Teams in Projekten zusammenarbeiten oder in Meetings neue Kommunikationsformen eingeübt haben, für SAP in weiter Ferne. Der deutsche Software-Riese musste ausgerechnet im Corona-Jahr einen vorsichtigen Ergebnisausblick abgeben – zu einem Zeitpunkt, wo deutlich stärker cloud-orientierte Unternehmen von einem Lockdown-Boom getragen wurden. SAP kann zwar inzwischen respektable und robuste Cloud-Umsätze vorweisen. Doch es bedarf wohl noch sehr viel mehr Überzeugungsarbeit, um die Kunden von ihren millionenschweren SAP-Installationen im eigenen Rechenzentrum in die Cloud zu hieven.

Das soll jetzt in der Nach-Corona-Ära gelingen. Deshalb gehört „Resilienz“ zu den wichtigsten Vokabeln im SAP-Sprech. Damit ist einerseits die Fähigkeit gemeint, sich von einem erlittenen Rückschlag möglichst schnell und vollständig zu erholen. Andererseits verlangt Resilienz aber auch, Verhalten und Einstellungen angesichts von Veränderungen neu auszurichten. Beides ist jetzt nach dem Trauma der Corona-Krise und auf dem Weg ins neue Normal gefordert. Es reicht deshalb nicht, wiederholt Klein eine These, die an dieser Stelle schon mehrfach postuliert wurde, bestehende Prozesse einfach nur zu digitalisieren, sie ansonsten aber unangetastet zu lassen. Gefordert ist ein wenig mehr Erleuchtung am Ende des Tunnels: digitale Transformation bedeutet nämlich Digitalisierung plus Veränderung.

Doch diesem Anspruch wird SAP meiner Auffassung nach derzeit kaum selbst gerecht: Als Highlight der bisherigen – noch über Tage andauernden virtuellen SAPphire Now – zauberte Klein das Projekt Rise aus dem Hut. Damit sollen Kunden weiter von OnPremises in Richtung SAP-Cloud gelockt werden. Das Projekt zielt also deutlich auf ein „Weiter so“. Der Migrationspfad ins Cloud Computing verspricht nämlich zunächst nur eine andere Infrastruktur, nicht aber auch eine veränderte Geschäftsprozesskultur. Ein vergleichbares Migrationsangebot gab es übrigens schon seit 2020 mit dem bisherigen Partner Microsoft. Doch weil da der Weg monodirektional in Richtung Azure führte, wurde jetzt die Vertriebspartnerschaft erst einmal still und heimlich auf Eis gelegt.

Dagegen soll das nicht besonders einfallsreich benannte „Business Network“ tatsächliche Veränderungen bringen – nämlich in der Supply Chain. Auch hier spielt Resilienz eine zentrale Rolle. Denn nach Schocks wie dem Corona-Lockdown mit Grenzkontrollen und der Havarie der „Ever Given“ im Suez-Kanal wurde den Unternehmen noch einmal aufgezeigt, wie anfällig eine Just-in-Time- oder gar Just-in-Sequence-Logistik in Wirklichkeit ist. Hier sollen die Lösungsbausteine aus den Einzellösungen Ariba für das Procurement, SAP Logistics Business Network und SAP Asset Intelligence Network eine neue Basis für künftige „Business Communities“ bilden. Während andere also auf vernetzte Teamarbeit als Zukunftsmodell setzen, blickt SAP auf die vernetzte Lieferkette, die eben längst keine Kette mehr ist, sondern ein hochkomplexes Netzwerk.

Dafür braucht man mehr Intelligenz – zum Beispiel „Business Process Intelligence“, also die Fähigkeit, Geschäftsprozesse neu zu denken. Doch statt hier nach vorne zu schauen, spricht Aufsichtsratschef Hasso Plattner im Interview mit der neuen Marketing-Chefin Julia White von weit, weit zurückliegenden Erfolgstories, indem er beim Sprechen – während andere hier Augenkontakt mit dem Publikum oder seiner Interviewpartnerin suchen würden – irgendwas zwischen seinen Beinen zu suchen scheint. Die alerte Julia White versucht, interessiert zu schauen, während Plattner sich im – unstreitig legendären – Migrationsprojekt verlor, als IBM in den späten achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die SAP-Lösung von Unix auf die AS/400 hob. Das ist sowas von alter Tobak, dass sogar die Übersetzer für die Untertitel des Keynote-Videos ins Straucheln gerieten und „ASV 100“ statt „AS/400“ texteten.

„Da war mehr drin“, wie man jetzt in der Sprache der soeben angepfiffenen Fußball-Europameisterschaft sagen könnte. Die von Microsoft zu SAP gewechselte Marketing-Chefin Julia White hat sich redlich bemüht, den virtuellen Event aufzupeppen. Doch alles wirkt wie eine Billigkopie der Microsoft Entwicklerkonferenz Build, die soeben über die Bildschirme gegangen ist. Das ist – um eine weitere Fußball-Sprechblase zu benutzen – zu viel Klein-Klein. Statt Licht am Ende des Tunnels ist da noch ziemlich viel „Luft nach oben“.

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