210726 Europa

(Noch) nicht wettbewerbsfähig

Das Motto von Tim Hoettges, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom, ist eindeutig: „Wir werden nicht ruhen, bis alle vernetzt sind“, schreibt er in seinem Profil in den sozialen Medien. Nun, er wird noch lange in seinen Anstrengungen fortfahren müssen, bis dieses Ziel erreicht ist. Das sieht er offensichtlich auch selber so: „Europa ist digital (noch) nicht wettbewerbsfähig. Im Muskelspiel zwischen den USA und China sind wir ein Zwerg.“ Auf vier Ebenen müsste Europa angreifen, meint er, und richtet damit indirekt die Handlungsaufforderung an die deutsche Bundesregierung, die immerhin die Rahmenbedingungen für die mit Abstand stärkste Wirtschaftskraft in der Europäischen Union setzt.

Da ist erstens die Abhängigkeit bei digitalen Komponenten: „Keiner der Top-Ten-Halbleiter-Produzenten weltweit kommt aus Europa.“ Doch statt hier im Wettrennen um immer kleinere Chips nachzulaufen, sollte Europa, sollte Deutschland die Differenzierung suchen und etwa für die Automobilindustrie spezialisierte Halbleiter herstellen.

Zweitens geht es um die digitale Infrastruktur: Während die privatwirtschaftlichen Netzbetreiber auf einen möglichst kostengünstigen Netzausbau setzen müssen, sind viele Kostentreiber den politischen Rahmenbedingungen geschuldet. „Alternative Verlegeverfahren, digitale Genehmigungsverfahren und eine Spektrumspolitik, die nicht auf Maximierung von Auktionserlösen setzt, sind Hebel für einen günstigeren und schnelleren Ausbau.“

Drittens sollten die digitalen Plattformen in Europa – und nicht anderswo – ausgebaut werden: 92 Prozent aller weltweit aufkommenden Daten werden nach Hoettges´ Analyse in den USA gespeichert. „Eine souveräne EU-Cloud wird daher nur erfolgreich sein, wenn die EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten zu ihren Leitnachfragern werden“ und wenn der Digital Markets Act Offenheit gegenüber Dritten erlaubt.

Viertens schließlich muss die Umsetzung von Forschungsergebnissen in digitale Anwendungen forciert werden. Es ist das alte Dilemma: Europa, insbesondere Deutschland, ist führend in der Grundlagenforschung, aber saumselig bei der Entwicklung von marktfähigen Produkten aus diesen Forschungsergebnissen. Deshalb wird der wirtschaftliche Erfolg in der Regel anderen, auf innovative Produkte setzenden Nationen wie den USA überlassen. Hoettges belegt dies mit Zahlen:“ 21 Prozent aller privaten Investitionen in Forschung und Entwicklung kommen aus der EU. Aber nur 15 Prozent des BIP wird hier geschaffen. Und nur acht Prozent aller Unicorns sind in der EU beheimatet.“

Dass dieser Wahnsinn Methode hat, beweist der Global Skills Report von Coursera. Danach gehört Deutschland hinsichtlich digitaler Kompetenzen und Fähigkeiten in den Bereichen Business, Technologie und Data Science zu den fünf am besten ausgebildeten Ländern weltweit. In die sind die Leistungsdaten von mehr als 77 Millionen Lernenden weltweit und 14,2 Millionen in Europa, 4000 Campus, 2000 Unternehmen und 100 Regierungen eingeflossen. Deutschland rangiert weltweit auf Platz zehn bei Business Skills, Platz zwölf bei den Technologie-Skills und Platz acht bei Data-Science-Fähigkeiten. Insgesamt reicht das für Platz fünf.

Das zeigt: Deutschland – und dadurch auch Europa – hat kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Das bestätigt auch die Bewertung der letzten Legislatur durch den Hightech-Verband Bitkom. Von den im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vereinbarten Digitalprojekten wurde lediglich die Hälfte – nämlich 64 von 135 Projekten – vollständig umgesetzt. Zählt man die 47 zumindest begonnen Projekte hinzu, erhöht sich der Anteil auf immerhin vier Fünftel.“ Dennoch: ein digitaler Durchbruch sieht anders aus. Denn die Corona-Pandemie dürfte die Digitalisierung stärker bewegt haben als die Regierungen in Bund und Ländern. Und der Lockdown “hat dargelegt, dass wir an vielen Stellen drastischen Nachholbedarf haben, insbesondere bei der Digitalisierung der Ämter, Behörden und Schulen“, resümiert Bitkom-Präsident Achim Berg.

Dass die Pandemie aber auch den deutschen Mittelstand in Richtung Digitalisierung geschoben hat und dabei ebenfalls die strukturellen Defizite offenlegte, macht das Umsetzungsproblem zu einem gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dilemma. Von Hoettges bis Berg ist das Urteil eigentlich identisch. Wir sind weder in Europa noch in Deutschland wettbewerbsfähig. Das muss sich ändern – bereits am Tag Eins nach der Bundestagswahl.

Ein Gedanke zu „(Noch) nicht wettbewerbsfähig“

  1. Danke für diesen Appell.

    In der Aufzählung fehlt Punkt 5, den ich auf den ersten Platz setze: Es wird Zeit den Datenschutz auf ein sinnvolles Maß herunterzubringen. Das Desaster der Corona-WarnApp, die bis heute in nicht einmal 20% der Fälle warnt, zeigt, das wir ohne eine sinnvolle Reduktion des Datenschutzes zunehmend Handlungsunfähiger sind.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert