210823 Mall

Dann geh´ doch zu meiner Mall

Während Kaufhäuser sterben und Innenstädte veröden, denken wir über die Zukunft des Handels nach. Denn die Konsumenten wandern mehr und mehr ins Internet ab. Dort sind nicht nur die Angebote übersichtlich gelistet; auch Bestpreisangebote lassen sich über Vergleichsportale ideal identifizieren, ohne dass man sich die Mühe machen muss, von Shop zu Shop zu wandern. Und nicht zuletzt bietet der Lieferservice einen bequemen Wareneingang durch Haus-zu-Haus-Dienste. Das Online-Shopping ist der unbestrittene Gewinner in der Corona-Krise, dessen Angebot auch nach der drohenden Ansteckungsgefahr in der vierten Corona-Welle noch anhalten wird.

Ebenfalls kam der klassische B2B-Vertrieb mit Firmenbesuchen, schlechtem Kaffee und Trockengebäck im Corona-Lockdown praktisch zum Erliegen.  Wer konnte, stellte seine Business-to-Business-Services über die Cloud zur Verfügung. Wer das nicht konnte, verschob seinen mobilen Außendienst ins Virtuelle und organisierte Kundenmeetings über Microsoft Teams, Skype, Slack oder andere kooperative Infrastrukturangebote. Weil das in vielen Branchen nicht so gut funktionierte, boomten die Geschäftsflüge nach der Lockdown-Lockerung zwar kurzfristig. Doch angesichts der Delta-Welle, die sich unaufhörlich für den Herbst auftürmt, ist diese Option praktisch schon wieder obsolet. Also, was tun?

Völlig überraschend kommt eine Uralt-Idee wieder aus der Kiste, die als virtuelle Variante die analogen Angebote in den vom Lockdown geworfenen Schatten stellt: die Einkaufs-Mall ist wieder da. Apple und dem verstorbenen Steve Jobs gebührt die Anerkennung, die Idee von der Software-Mall überhaupt ins Leben gerufen zu haben. Und den Gewinnen aus der Mall, die freilich durch – nach unserer Ansicht – völlig überteuerte Gebühren gegenüber App-Anbietern erhoben wurden, hat es Apple zu verdanken, dass die Aktie nicht nur durch die iPhone-Verkäufe, sondern auch durch die Lösungsangebote vorangetrieben wurde. Doch Apples Marketplace hat einen Designfehler: Während das iPhone aus gutem Grund eine abgeschottete, proprietäre Anwendungsumgebung repräsentiert und damit auch nur Lösungen zulässt, die auf diese Architektur hin optimiert sind, sind die Marketplaces der nächsten Generation deutlich offener und deutlich stärker von Lösungen, die von Dritten entwickelt wurden, bestückt. Neben diesem wesentlichen Unterschied besteht die größere Revolution darin, dass heutige Software-Marketplaces nicht mehr nur streng vorkonfigurierte Konsumer-Lösungen wie Wetterberichte, Börsennotierungen oder Gaming-Apps im Angebot haben, sondern betriebswirtschaftlich relevante Lösungen, die die installierte IT-Infrastruktur im Unternehmen effektiv unterstützen.

Die Mall ist also zurück – und sie wird nicht auf dem platten Land errichtet wie Factory-Outlets, sondern im World Wide Web. Und die Malls werden auch nicht mehr für den Massenmarkt der Konsumer errichtet, die sich eine App nach der anderen runterladen und nur die Hälfte – wenn überhaupt – jemals benutzen. Nein, sie werden für Online-Ergänzungen von Unternehmenslösungen aus der Cloud wie Enterprise Ressource Management, Warenwirtschaftssysteme und Lagerverwaltungssysteme sowie – und das zurzeit in verstärktem Maße – für die Kundenkommunikation genutzt.

Dabei sind die erfolgreichsten Online-Malls – oder Marketplaces – diejenigen, die ihr Ökosystem auf einer Anwendungsbasis aufbauen, wie zum Beispiel Microsoft Dynamic 365. Deshalb ist es nicht überraschend, dass Microsofts Azure Marketplace von 71 Prozent der Software-Entwickler als wichtigste Plattform für zusätzlichen Software-Umsatz gesehen wird. Amazon folgt auf Platz zwei mit 61 Prozent der Nennungen. Das Ergebnis kann nicht überraschen, wenn man berücksichtigt, dass – die gleiche Qualität der Cloud-Services unterstellt – Microsoft mit 400.000 Lösungspartnern in der Welt auftritt, während Amazon dieses Feld nicht nur komplett unbestellt lässt, sondern darüber hinaus auch noch den Raubbau an geistigem Eigentum zum Geschäftsprinzip erhebt. Denn ebenso wie bei den Verkaufsplattformen auf Amazon, wo erfolgreiche, gehostete Angebote schnell imitiert und dann eliminiert werden, können Software-Partner nicht sicher sein, wie lange und ob überhaupt sie alleiniger Eigentümer ihrer eigenen Intellectual Property sein werden.

Aber selbst mit dieser Gefahr im Hinterkopf sind die Malls von Microsoft, Amazon, Google oder IBM höchst interessant für Anbieter, die mit eigenen Ergänzungen oder gar Komplettlösungen einen neuen Vertriebskanal suchen. Denn für die Anwender ist das One-Stop-Shopping extrem attraktiv. Geh´ doch zu meiner Mall, wird deshalb eines der wichtigsten Slogans sein, die die Plattform-Anbieter zu bieten haben.

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