Es gibt Infrastrukturprojekte, die sind einfach zu groß, um sie an ein einziges Unternehmen zu vergeben. Und es gibt Vergabeprozesse, die sind ganz einfach zu komplex, als dass sie einfache Entscheidungen unterstützen könnten. Beides gilt für zwei zehn Milliarden Dollar schwere Großprojekte, die vom US-Regierungsapparat in Auftrag gegeben werden sollten, bisher aber an den schwierigen Vergaberichtlinien und an der schieren Größe des Auftragsvolumens scheitern.
Denn ebenso wie die Vergabe des Projekts Joint Enterprise Defense Infrastructure durch das US-Verteidigungsministerium, noch der Auftrag der National Security Agency über 15 Jahre Hosting-Services in einer Multi-Cloud-Infrastruktur, haben nach der monatelange Prüfung der Angebote zu einer unangreifbaren Entscheidung geführt. Denn zunächst klagte das im Bieterverfahren unterlegene Unternehmen Amazon gegen den Zuschlag an Microsoft, dann klagte der bei der NSA ins Hintertreffen geratene Hightech-Konzern Microsoft gegen die Beauftragung von Amazon durch die NSA. Die wollte im Rahmen ihrer Multi-Cloud-Strategie das Hosting für 17 nachrichtendienstliche Behörden, darunter die CIA, vergeben.
Derzeit liegen beide Großprojekte erst einmal auf Eis. Das Verteidigungsministerium will das Projekt vollkommen neu ausschreiben und dabei die technologische Entwicklung der letzten beiden Jahre berücksichtigen. Die Nationale Sicherheitsagentur muss hingegen erst einmal auf das höchstrichterliche Urteil warten. Das kann dauern, denn Microsoft wird, wie zuvor Amazon, alle rechtlichen Möglichkeiten ausnutzen. Zunächst einmal wurde das Gouvernement Accountability Office angerufen, sozusagen der Oberste Rechnungshof, der das Verfahren prüfen soll und nicht vor Ende Oktober antworten wird. Danach geht es durch die Instanzen.
„Sic tacuisses philosophus mansisses“, sagt der Lateiner und meint damit im übertragenen Sinne: Hätten beide geschwiegen, wären die Bilanzen von Amazon und Microsoft jetzt um zehn Milliarden Dollar Umsatz – freilich verteilt über mehrere Jahre – schöner. So haben weder Microsoft noch Amazon etwas von der Riesensumme, die ihnen jeweils gewinkt hätte. Die einzigen, die letztendlich profitieren werden, sind die beauftragten Anwaltskanzleien, die bei diesem extrem hohen Streitwert Honorare in mehrstelligen Millionenbeträgen erwarten können.
Der größte Verlierer aber ist der technische Fortschritt selbst und die Gesellschaft, die davon hätte profitieren können. Tatsächlich geht es um die höchsten Geheimhaltungsstufen, die die Cloud-Infrastrukturen gewährleisten müssen. Nach Jahren, in denen Amazons Web Services praktisch der einzige nennenswerte Anbieter auf diesem Gebiet war, hat Microsoft erheblich aufgeholt, wenn nicht überholt. Doch tatsächlich ist gerade in Zeiten anhaltender Bedrohung durch Cyberkriminelle das Interesse an Hochsicherheitsstufen für kommerzielle Cloud-Infrastrukturen enorm gewachsen. Es geht nicht nur darum, Staatsgeheimnis zu wahren; auch Firmengeheimnisse haben einen hohen Schutzbedarf. Die Ransomware-Attacken der jüngsten Zeit zeigen, dass es dabei nicht allein um das Abgreifen von Firmen-Knowhow geht, sondern dass es bereits ausreicht, den Firmen den Zugriff auf ihren eigenen Datenschatz unmöglich zu machen, um ein Höchstmaß an Schaden zu verursachen.
Und auch mittelständische Anwender, erst recht aber multinationale Großkonzerne, sehen in einer Multi-Cloud- oder hybriden Architektur den Königsweg für die Zukunft, um für unterschiedliche Anforderungen jeweils den besten Service Provider heranziehen zu können. Multi-Cloud funktioniert aber nur, wenn es gleichzeitig gelingt, Datenzugriff zwischen den Clouds so transparent wie möglich zu machen. Auch daran arbeiten Microsoft und Amazon Kopf an Kopf im kreativen Wettbewerb.
Dass die Klage ohne Leiden – zumindest bei Amazon-Gründer Jeff Bezos – inzwischen zum guten Ton gehört, zeigt sein Vorgehen bei der Vergabe einer Konzeptstudie für die nächste Mondlandefähre. Das ebenfalls milliardenschwere Prestigeprojekt ging an Elon Musks Weltraumfirma SpaceX. Bezos hat zwischenzeitlich nicht dagegen geklagt, der NASA aber ein eigenes Vorab-Investment in Höhe von zwei Milliarden Dollar in Aussicht gestellt, wenn die Weltraumbehörde ihre Entscheidung noch einmal überdenkt.
Wir können getrost davon ausgehen, dass Klagen und Angebote, die beinahe wie ein Bestechungsversuch wirken, in Zukunft nach jeder größeren Vergabe zu erwarten sind. Wenn sich schon das Auswahlverfahren über Jahre hinzieht, um auf jeden Fall sicherzustellen, dass die Entscheidung wasserdicht ist, dann wird sich der nachfolgende Rechtsstreit noch einmal so lang hinziehen. Wir werden wohl kaum noch ein Großprojekt zu Ende bringen können. Und das wäre wirklich zu beklagen.