Im Radio hörte ich, die erste Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz habe etwas von „Opa liest den Koalitionsvertrag vor“. In den (a)sozialen Medien fremdschämen sich die selbsternannten Sprachpolizisten über den deutschen Englisch-Akzent von Außenministerin Annalena Baerbock. Und der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz gibt in der BamS zu Protokoll, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zwar unzweifelhaft vom Fach wäre, aber wie Kassandra wirke, wenn er erstens weiter schwarzmalt, ohne zweitens genauere Zahlen vorzulegen. Und Bundesfinanzminister Christian Lindner wird dafür angegriffen, dass er die Umwidmung von nicht abgerufenen Bundeszuschüssen zugunsten von Klimaprojekten mit genau dem Argument rechtfertigt, das er im Wahlkampf noch als unseriös abgelehnt hat.
Zunächst zu den Finanzen: In einer Zeit, in der wir Investitionen an praktisch allen Fronten benötigen – angefangen im Bildungs- und Gesundheitswesen über die Infrastruktur auf Straßen und Schienen sowie in den Strom- und Datennetzen bis zu weitreichenden Corona- und Klima-Projekten und der Stärkung unserer Sicherheit sowohl an den europäischen Außengrenzen als auch im Innern gegen rechte Hetze und Hass –, ist der jetzige Nachtragshaushalt das richtige Signal. Dass man nach langen Koalitionsverhandlungen dafür seine frühere Meinung kassiert, ist eher ein Ausdruck von Einsicht als von Wankelmut.
Dann zum Bundeskanzler: Die Wähler hatten es an der Urne in der Hand, einer rheinischen Frohnatur den Vorzug zu geben. Sie haben aber die hanseatische Mischung aus Angela Merkel und Helmut Schmidt (beide aus Hamburg) bevorzugt – wissend, dass in den kommenden vier Jahren dröge Sachlichkeit präsentiert werden würde. Wir werden auch künftig nicht damit rechnen können, dass Regierungserklärungen von der Ampel-Muse geküsst werden. Wir werden ihn nicht nach seinen Reden, sondern nach seinen Taten messen müssen.
Zu Deutschlands erfrischend jungem Gesicht in der Außenpolitik: Annalena Baerbock hat – sofern man das beurteilen kann, ohne unmittelbar dabei gewesen zu sein – einen souveränen Auftritt bei ihren ersten Auslandsaufenthalten hingelegt. Sie hat gegenüber Russland bereits klare Kante gezeigt. Und ihr Englisch ist – jedenfalls in den Ohren von CNN-Korrespondent Frederik Pleitgen – „außerordentlich gut“. Wir liebten John F. Kennedy für seinen Akzent, als er „Ick bin ain Börlina“ rief. Und wir haben uns auch nie gefragt, mit welchem Akzent Angela Merkel russisch spricht.
Und schließlich zu „Lauti“, wie der Bundesgesundheitsminister in WDR-Sketchen genannt wird: Sein Amtsantritt noch vor seiner Vereidigung beweist, mit welchem Engagement jetzt die Corona-Krise angegangen wird. Dass er sich bei der Impfdosen-Inventur ausdrücklich vor seinen Vorgänger stellt, ist ehrenwert. Und dass er Impfgegnern die Auswirkungen ihrer Verweigerung in den dunkelsten Tönen ausmalt, ist wohl eher der Beratungs-Resistenz dieser Ego-Shooter anzulasten, die die ganze Gesellschaft in eine Corona-Geiselhaft nehmen.
Baerbock-Bashing, Lauterbach-Lästern, Scholz-Schuhriegeln – wir Deutschen kommen einfach nicht heraus aus der Mäkel-Ära. Das hat Tradition: Die Häme, mit der diese Bundesregierung überzogen wird, erinnert an die „Birne Kohl“-Karikaturen der achtziger Jahre. Von der Häme ist es aber nur ein kleiner, wenn auch entscheidender Schritt zur Hetze. Wir bereiten auf diese Weise den Ton vor, mit dem die Rechte dieses Land überzieht. Wir sollten endlich die Mäkel-Ära hinter uns lassen.