220124 Metaverse

Das Metaversum schlägt zu

Seine Vision von einem Metaversum hat Mark Zuckerberg selbst so sehr überzeugt, dass er gleich sein ganzes Unternehmen umbenannt hat – aus Facebook wurde Meta, sonst ändert sich erstmal nichts. Oder doch? Seit die Vorstellung von einem alles und alle miteinander virtuell verknüpfenden kohärenten „Multiversum“ in der Welt ist, durch das wir in Gestalt unserer selbst geschaffenen Avatare streifen, kaufen, verkaufen, tauschen, chatten und – vor allem – spielen, dreht sich das Übernahme-Karussell immer schneller. Microsofts geplante Übernahme des Spieleherstellers Activision Blizzard für knapp 69 Milliarden Dollar in Cash ist nur der aktuelle Höhepunkt, aber sicher nicht das Ende dieses ganz realen Monopoly-Spiels um die Marktherrschaft im Metaverse.

Denn dies haben die Lenker der Tech-Giganten sofort begriffen, die im Kampf um die Weltherrschaft im Metaversum mitbieten. Erstens: das Metaversum wird kommen, koste es was es wolle. Zweitens: Das Metaversum wird ein Mega-Business. Und drittens: Wer an diesem Metaversum tatsächlich Geld verdienen will, braucht vor allem Content. Und Content steht in diesem Metaversum offensichtlich weniger für eine Wissens-Enzyklopädie wie Wikipedia, sondern vielmehr für zeitfressende Computerspiele, die bereits heute ihren zweifelhaften Charme dadurch entfalten, dass sie die Gamer in eine andere Welt entführen. Früher, als es nur eine Welt – und zwar die reale – gab, nannte man dieses Phänomen Eskapismus, vulgo; Weltflucht.

Dabei ist weder der Begriff „Metaversum“ eine Neuschöpfung des Silicon Valley, noch hat es bislang an Warnungen vor der Wirklichkeitsflucht durch virtuelle Welten gemangelt.

  • Das Metaversum wurde bereits vor genau drei Jahrzehnten Neal Stephenson in seinem Science Fiction-Roman „Snow Crash“ verwendet. Darin entwarf er eine Parallelwelt, in die die Menschen flüchten, um ihren harten Lebensbedingungen in der realen Welt zu entfliehen.
  • Auch Steven Spielberg schuf in seinem Film „Ready Player One“ eine virtuelle Realität, in die die Menschen mittels VR-Brillen fliehen. Die doppelbödige Ironie dabei: Um aus der dystopischen realen Welt zu entkommen, suchen sie Entspannung in einer virtuellen, aber ebenso dystopischen Welt.
  • Und schließlich weist auch die „Matrix“ auf ein Metaversum hin, in dem die Avatare so lebensecht sind, dass sie sich von ihren Originalen nicht mehr unterscheiden und Realität und Virtualität sich miteinander vermischen.
  • Und wer sich noch an die Neuromancer-Romane von William Gibson erinnert, weiß, dass man durch das Sprawl nicht nur der Realität entkommen kann, sondern in ihm auch überwacht wird.

Das alles sind Visionen, die so im Metaversum des Mark Zuckerberg nicht virtuelle Wirklichkeit werden müssen. Aber schon jetzt zeichnet sich ein Weg ab, in dem Computerspiele nicht länger nur ein Milliardengeschäft für sich sind, sondern der vielleicht entscheidende Content, ja sogar die Schlüsseltechnologie für die virtuelle Parallelwelt im Netz sein können. Wer wie jetzt Microsoft, mit Activision Blizzard einen Giganten der Game-Szene zu übernehmen versucht, kauft nicht nur einen Markterfolg wie „Call of Duty“, sondern zugleich eine Marke und nicht zuletzt die Technologie, um Avatare zum Leben zu erwecken.

Das Wettrennen ins Metaversum ist also längst eröffnet – und Facebook, pardon: Meta, ist keineswegs in der Pole-Position. Microsoft arbeitet schon länger ganz konkret an einem Leben im virtuellen Raum – nur dass bislang damit vor allem die Kommunikation in einer zeitlich und räumlich verteilten Arbeitswelt gemeint war. Und diese Aktivitäten haben durch die Corona-Shutdowns zusätzlich Auftrieb erhalten. Aber vor einem guten halben Jahrzehnt präsentierte Microsoft Konzepte und Lösungen wie Windows Holographic, ein virtuelles Computer-Interface, oder mit Holoportation eine Lösung, um Personen bei Videochats als Hologramm ins Büro zu bringen. Und mit der Plattform Microsoft Mesh zeigt Microsoft Pläne für ein Office im virtuellen Raum. Im Grunde sind dies schon Elemente des Metaversums, denn auf der Mesh-Plattform kann man als Hologramm auftreten und im dreidimensionalen virtuellen Raum interagieren.

Mit Microsoft Teams hat das Unternehmen sozusagen eine Einstiegsversion in die hybride Arbeitswelt geschaffen, die Dank Corona von Millionen Angestellten genutzt wird. Mesh setzt darauf auf, um das Office vollends zu virtualisieren. Aber die hybriden Arbeitswelten sind möglicherweise nur ein Nebenschauplatz im Metaversum. Der Homo Ludens, der spielende Mensch, will vor allem seiner Welt entfliehen und sich Ersatzbefriedigungen im Spiel holen. Deshalb will Microsoft knapp 69 Milliarden Dollar in Activision Blizzard investieren.

Auf diesem Weg liegt für Microsoft ein nicht ganz überraschender Stolperstein aus der realen Unternehmenswelt. Die jetzt zu übernehmende Company entspricht – vorsichtig ausgedrückt – in keiner Weise den Compliance- und Etiquette-Guidelines von Microsoft. Schon begehren Mitarbeiter auf, die in Activision Blizzard Sodom und Gomorrha erkennen. Sensibilisiert durch eigene Untersuchungen möglicher sexueller Übergriffe zu Zeiten von Bill Gates, warnen die Mitarbeiter vor der Übernahme dieses Ungeists.

Und auch die US-amerikanische Regierung hat plötzlich Bedenken – wenn auch aus ganz anderen Gründen. Sie will das Übernahme-Karussell wieder verlangsamen und Mega-Deals wie diesen künftig eindämmen. Dann würde das Metaversum nicht zuschlagen, sondern zurückschrecken. Es bleibt spannend – und vielleicht bleibt auch alles Science Fiction, egal ob damit eine Utopie oder eine Dystopie verbunden sein wird.

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