200615 Grenzen

Deutschlands ITK-Szene: So gut, so schlecht

Deutschlands Anbieter für Informations- und Telekommunikationstechnik sind schlechter Dinge: Das im Auftrag des Hightech-Verbands Bitkom erhobene Stimmungsbarometer der Branche weist dies aus. Nach einem Stimmungshoch Mitte des vergangenen Jahres mit 40,5 Punkten sank der ifo-Digitalindex des Bitkom mit aktuell 24 Punkten wieder auf ein solides Mittelmaß. Ein Jahr wie 2021, als Unternehmen wie Privatpersonen intensiv in die Aufrechterhaltung ihrer Handlungsfähigkeit investierten, gibt es – so scheint die Branche zu fürchten – so schnell nicht wieder.

Aber so schlecht geht es der ITK-Industrie in Deutschland nun auch wieder nicht: 2021 wuchs der kombinierte Umsatz gegenüber dem Vorjahr um 3,9 Prozent auf 178,4 Milliarden Euro. Und für das neue Jahr rechnet der Bitkom mit einem Branchenumsatz von 184,9 Milliarden Euro. Neben den bereits in diesem Industriezweig beschäftigten 1,25 Millionen Menschen sollen weitere 39.000 Jobs geschaffen werden. Das wäre ein Wachstum um knapp drei Prozent.

Aber so gut ist das nun auch wieder nicht: Schon jetzt fehlen über alle Industriezweige hinweg rund 96.000 IT-Fachkräfte. Der Expertenmangel bremst nicht nur die Wachstumspotentiale der digitalen Transformation in Deutschland aus, er bringt uns auch im Innovationswettbewerb mit anderen Ländern weiter ins Hintertreffen. Deutschlands Anteil an den weltweiten ITK-Ausgaben geht Jahr für Jahr zurück und wird 2022 voraussichtlich noch bei 3,9 Prozent liegen.

Aber so schlecht ist das nun auch wieder nicht: Zwar sind Indien (plus 9,1 Prozent) und China (plus 5,3 Prozent) derzeit die unangefochtenen Wachstumsspitzenreiter, doch ihr Nachholbedarf ist ungleich größer als in den industrialisierten Ländern des Westens. Und wenn auch mehr als ein Drittel des ITK-Weltmarkts auf die USA (36 Prozent) entfallen und China mit deutlichem Abstand mit gut einem Neuntel (11,6 Prozent) dahinter folgt – diese Märkte sind allein wegen der deutlich größeren Bevölkerungszahl nicht unbedingt eins zu eins mit Deutschland zu vergleichen. Im Europa der nach wie vor gut abgeschotteten ITK-Märkte ist Deutschland unverändert der mit Abstand größte Einzelmarkt.

Aber so gut ist das nun auch wieder nicht: Seit Jahrzehnten ist SAP der alleinige Vertreter der IT-Branche auf Weltniveau, mit Abstand gefolgt vom ewigen Zweiten Software AG. Im Telekommunikationsmarkt darf man getrost die Deutsche Telekom zu den globalen Playern zählen. Doch der Rest rangiert unter „ferner liefen“. Keines der deutschen Startups hat es zu einer Weltgeltung gebracht, die auch nur annähernd mit der Marktposition von Google oder Facebook vergleichbar wäre. Und trotz einer erneut einsetzenden Konsolidierungsphase im Markt für Unternehmenssoftware ist kein weiterer Großanbieter für ERP, Cloud und eCommerce in Sicht.

Aber so schlecht ist das nun auch wieder nicht: Immerhin hat SAP ausweislich der jüngsten Geschäftszahlen nach einer Phase des Strauchelns wieder Kurs aufgenommen und wächst nunmehr im Cloud-Business mit 26 Prozent schneller als der Markt. Dass SAP vor mehr als einem Jahrzehnt den Markt für Cloud-basierte Anwendungen mit seinem innovativen Angebot namens Business by Design überhaupt erst geschaffen, dann aber nicht besetzt hat, ist einer alten deutschen Krankheit geschuldet: im Erfinden sind sie fix, doch mit Produkten wird es nix.

Aber unterhalb der Produktebene tut sich einiges. Immerhin sind mehr IT-Fachkräfte außerhalb der IT-Branche in Lohn und Brot als innerhalb des Industriesegments selbst. Der Durchdringungsgrad mit Spezialisten für Informationstechnologie und Telekommunikationstechnik ist in den anderen Leitbranchen – allen voran der Automobilindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau, dem Chemie- und Energiesektor – besonders hoch. Sie entwickeln Lösungen für Elektromobilität, smart Factories, smart Cities sowie moderne Materialien, die die Produkte von morgen beeinflussen und damit Umsatzpotentiale der Zukunft bieten. Daran ändert übrigens auch der anhaltende Trend ins Cloud Computing nichts, der gerade von mittelständischen deutschen Unternehmen nicht dazu genutzt wird, IT-Personal einzusparen, sondern intelligent umzuwidmen.

Es gibt angesichts von Klimawandel, digitaler Transformation und Innovationswettbewerb wahrlich genug Wichtiges zu tun, wofür es IT-Skills im eigenen Haus bedarf. Vermutlich besteht ja das größere Wertschöpfungspotential nicht in den ITK- Produkten und -Services selbst, sondern vielmehr darin, was man damit macht. Das wäre eine zweite Chance, die man nicht auslassen sollte.

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