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Mittelstand zwischen Sanktionen und Hilfen

In diesen Tagen fahren die ersten von 20 geplanten Sattelschleppern von München aus in die Ukraine. Sie liefern Hilfsgüter, die mittelständische Unternehmen aus dem IHK-Bezirk München gespendet haben. Kein Einzelfall: Überall in den Industrie- und Handelskammern werden derzeit Lastwagen und Kleinbusse bestückt, die die Bevölkerung der von Putin überfallenen Ukraine mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Wintersachen versorgen sollen. Und viele planen, auf dem Rückweg ukrainische Flüchtlinge aufzusammeln und nach Deutschland zu bringen.

„Das Engagement wächst von Tag zu Tag“, staunt DIHK-Präsident Peter Adrian über die Wirkmächtigkeit der spontanen Initiative #Wirtschafthilft. „Nicht nur die großen Betriebe, auch viele sehr kleine und auch unsere Mittelständler sind hier mit Herzblut dabei“, sagt er gegenüber dem Handelsblatt. „Es bringen sich nicht nur Unternehmen mit eigenen Kontakten und Geschäftsbeziehungen in die Ukraine ein. In vielen Belegschaften unserer deutschen Betriebe arbeiten Menschen mit ukrainischen Wurzeln – und dann will der ganze Betrieb helfen.“

Auch unterhalb der Wahrnehmungsschwelle in der Medienöffentlichkeit helfen mittelständische Unternehmen, wo sie können. Auf billige, aber durchaus zu billigende Publicity zu verzichten – das gehört zur Mittelstands-DNA. „Es gibt vielfältige Hilfsprojekte von mittelständischen Unternehmen, due Flüchtlinge aufnehmen und sich direkt engagieren“, ergänzt Hans-Toni Junius, Geschäftsführender Gesellschafter der Hagener Waelzholz Gruppe und zugleich Vorsitzender des gemeinsamen Mittelstandsausschusses von BDI und BDA. Er sieht auch die Auswirkungen in den beiden kriegsführenden Ländern: „Viele Unternehmen sind direkt oder indirekt mit Geschäftspartnern in der Ukraine oder auch in Russland verbunden. Der dadurch entstandene Wohlstand und die wirtschaftliche Prosperität in der Mittelschicht in beiden Ländern wird nun zerstört,  weil diese Geschäftsbeziehungen völlig zum Erliegen kommen.“

In der Tat: Die Hilfsbereitschaft im Mittelstand ist überwältigend. Aber die Hilfsbedürftigkeit, die sich aus den Folgen einer zusammengebrochenen Infrastruktur in der Ukraine und aus den Folgen der Sanktionen gegenüber Russland für mittelständische Unternehmen ergeben, ist ebenfalls groß. Viele bangen nicht nur um ihre Lieferketten und ausländischen Dependancen – einschließlich der dortigen Mitarbeiter. Sie fürchten auch um ihre Existenz, wenn Produktionsausfälle und Außenhandelsgeschäfte auf Null gestellt werden.

Rund 2000 deutsche Unternehmen sind in der Ukraine aktiv. Ihnen ist völlig unklar, ob sie die eigenen Niederlassungen, Maschinen und Einrichtungen jemals wieder nutzen können. Und zugleich ergeben sich erste Engpässe. Es sind nicht nur die Kabelbäume für die deutsche Autoproduktion, an denen es fehlt. Gleichzeitig haben deutsche Unternehmen rund 20 Milliarden Euro in Russland investiert. Davon sind derzeit rund 7,4 Milliarden Euro durch den Staat garantiert. Weitere elf Milliarden Euro sind durch Hermes-Bürgschaften besichert. Doch Auslandsinvestitionen sind zunächst einmal das Risiko der Unternehmen selbst. Das könnte existenzgefährdende Ausmaße annehmen. Deshalb plant das Bundeswirtschaftsministerium ein Kreditprogramm mit der staatlichen Förderbank KfW, das deutschen Firmen, die Einbußen in Russland zu gewärtigen haben, finanziell unter die Arme greift. Diese Kredite sollen genutzt werden, um für die betroffenen Unternehmen neue Geschäftsfelder aufzubauen. Das könnten andere Außenhandelsregionen sein oder andere Produkte und Dienstleistungen.

Der Mittelstand bangt und wankt zwischen Sanktionen und Hilfen. Deshalb wird damit gerechnet, dass der Staat weitere Sicherheitsgarantien für Investitionen in Russland und der Ukraine übernimmt. Doch gleichzeitig drohen wieder Kurzarbeit und Produktionsausfall durch zerstörte Lieferketten, Materialmangel und den Wegfall von Produktionsstätten.

Doch auch die Inflation im eigenen Land drückt den Mittelstand und die Bevölkerung an die Wand. Es zeigt sich, dass wir derzeit die Energiewende im Fast-Forward-Modus erleben, wenn tatsächlich der Gashahn – von welcher Seite auch immer – abgedreht wird. Schon rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft mit einem Anstieg des Preisniveaus um fünf Prozent im kommenden Jahr, wenn der Gaspreis noch einmal um die Hälfte anzieht. Das würde das Wirtschaftswachstum hierzulande um 0,6 bis 1,6 Prozentpunkte reduzieren. Bliebe der Gaspreis – womit allerdings keiner ernsthaft rechnen kann – auf dem Niveau des vierten Quartals 2021, lägen die negativen Auswirkungen bei 0,2 bis 0,7 Prozentpunkten.

Schon warnt der BDI in einer Mittelstandsstudie, dass die hohen Energiekosten gerade mittelständische Unternehmen außer Landes treiben könnten, indem Produktionsstätten in Länder mit deutlich niedrigeren Energiekosten verlagert würden. Das klingt ein wenig unsolidarisch in Zeiten, da sich alle an Hilfen und Sanktionen beteiligen. Aber tatsächlich denken auch Grüne inzwischen darüber nach, die Laufzeit für die verbliebenen Atommeiler zu verlängern und die Braunkohle wieder stärker zu nutzen, um Zeit zugewinnen für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, die derzeit gut 40 Prozent des Energiebedarfs decken.

Doch darf man umgekehrt auch sehen, dass beispielsweise das 100 Milliarden Euro große Sondervermögen für Investitionen in die Modernisierung der Bundeswehr und die Erhöhung des Wehretats auf mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts selbst wie ein Konjunkturprogramm wirken. Armin Papperger, Vorstandschef der Rheinmetall – nun nicht direkt ein mittelständisches Unternehmen – rechnet bereits mit mehreren Tausend zusätzlichen Mitarbeitern. Und einen ersten Auftrag hat er auch schon erhalten. Er soll – und das ist kein Witz, wenngleich eine gute Pointe – Helme für die Bundeswehr produzieren.

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